E-Sport:Mit diesem Team will Schalke 04 Weltmeister werden

FC Schalke 04 Esports stellt neuen League of Legends Kader vor

Schalkes E-Sports-Team: Tamás "Vizicsacsi" Kiss, Milo "Pridestalker" Wehnes, Erlend "Nukeduck" Holm, Elias "Upset" Lipp, Oskar "Vander" Bogdan (v.l.).

(Foto: FC Schalke 04 Esports/PR)

Der Verein baut eine neue Profi-Abteilung auf - im Computerspiel "League of Legends". Für den Erfolg arbeiten die E-Sportler genauso hart wie Schalkes Fußballer.

Von Philipp Bovermann

In der dritten Runde des Relegations-Matches muss es den "Ninjas in Pyjamas" gedämmert haben, dass sie den Abstieg wohl nicht mehr verhindern können. Schalke 04 war einfach zu stark. Die fünf Jungs des Gelsenkirchener Teams überrannten die Festung von "NiP", töteten deren "Minions", zerstörten die Verteidigungstürme und schließlich das Hauptgebäude, den "Nexus", womit die Sache entschieden war: In der kommenden Saison spielt Schalke um die Qualifikation zur Weltmeisterschaft - im Computerspiel "League of Legends" (LoL).

Arne Benninghof, CEO des Medien-Unternehmens MTGx, hat sich letztes Jahr mit der Bemerkung verewigt, LoL sei "wie Schach auf Crack". Vor Beginn einer Partie wählen die Spieler für sich eine von zahlreichen Spielfiguren ("Champions"), die unterschiedliche magische Spezialfähigkeiten mitbringen. Diese gilt es, möglichst geschickt miteinander zu kombinieren. Beide Seiten verfügen außerdem über computergesteuerte Fußsoldaten ("Minions"), sozusagen das Pendant zu den Bauern im Schach. Gezogen wird nicht rundenweise, sondern von allen Spielern gleichzeitig, in Echtzeit. Je schneller, desto besser.

Die meisten Profikarrieren enden daher mit Mitte zwanzig schon wieder. Denn wer auf die dreißig zugeht, ist nicht mehr fix genug. Laut einer Untersuchung der Sporthochschule Köln führen E-Sportler über 400 asynchrone Bewegungen pro Minute aus, über sechs pro Sekunde, und fällen Entscheidungen innerhalb des sehr komplexen Spielgeschehens.

Für das ungeübte Auge sieht ein Gefecht während eines Profi-Matches in LoL daher aus wie der Nachthimmel an Sylvester: Die Figuren verkeilen sich ineinander, klopfen mit Nahkampfwaffen aufeinander ein, Zaubersprüche werden gezündet, taktische Vorteile innerhalb von Sekundenbruchteilen errungen oder aus der Hand gegeben. Nach wenigen Augenblicken ist schon wieder alles vorbei. Die Teams formieren sich neu, verstreuen sich über das Spielfeld - bis wieder alles ganz schnell geht.

Etliche Bundesligavereine investieren in E-Sport-Teams

Schalke 04, ja, genau: der Verein aus Gelsenkirchen, schafft Fakten in der Diskussion darüber, ob E-Sport eigentlich richtiger Sport ist. Der Verein hat eine eigene Abteilung eingerichtet. Und er ist nicht der einzige. Denn jeder dritte Bundesbürger zwischen 14 und 35 Jahren spielt laut einer Studie der Beratungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers inzwischen wettkampfmäßig Computerspiele. Die Bolzplätze der Zukunft sind virtuelle, sie liegen im Internet.

Deshalb wollen auch die großen Fußballclubs dorthin, neben RB Leipzig, dem VfB Stuttgart, dem VfL Wolfsburg, Bayer Leverkusen und Hertha BSC Berlin auch einige Zweitligavereine. Diese Teams spielen "FIFA", eine Fußballsimulation, weil das relativ nah an deren Kerngeschäft dran ist. Nur Schalke 04 ist verrückt genug, daneben auch für das eher nerdige LoL eine eigene Mannschaft zu unterhalten.

Kurz vor Weihnachten wurde der Kader für die kommende Saison vorgestellt, in der Veltins Arena "auf Schalke", wie man hier sagt, vor Anpfiff des DFB-Pokal Spiels gegen Köln. Fünf junge Männer aus allen Teilen Europas standen da auf dem Rasen, artig in Reih und Glied und mit den Händen hinter dem Rücken, wie junge Matrosen beim Appell oder Fußballspieler beim Anhören der Nationalhymne, schmächtig, in den dicken Daunenjacken in königsblauer Vereinsfarbe gekleidet. Sagen sollten sie bei diesem Termin nichts, dafür waren sie dann doch ein bisschen zu eingeschüchtert von der großen Kulisse. Dabei sind in den virtuellen Arenen, in denen sie sonst spielen, ein paar Zehntausend Zuschauer eigentlich ein Witz.

In Asien sind Computerspieler Popstars

Denn wenn alles glatt läuft und die Qualifikation zur Weltmeisterschaft gelingt, werden die Jungs bald ganz andere Zuschauerzahlen haben. Schon das nur europaweit interessante Relegations-Match gegen die "Ninjas in Pyjama" sahen etwa Hunderttausend Menschen. Allein in China gibt es mehr als Hundert Millionen E-Sport-Fans. Asien ist die Wiege der Games-Popkultur.

Südkoreanische E-Sportler werden wie Rockstars verehrt, Feuerwerk zündet, wenn sie die Bühne betreten, Mädchen kreischen, verkleiden sich als Elfenkriegerinnen, die Jungs kommen als Ritter oder Roboter, am Ende des Tages geht jemand mit Millionenbeträgen an Siegprämie nach Hause und kauft sich davon einen Lamborghini.

Computerspieler ermitteln Weltmeister

Die Weltmeisterschaft im Computerspiel „League of Legends“ – hier das Finale 2015 in Berlin – ist das Ziel der E-Sportler von Schalke 04.

(Foto: Paul Zinken/dpa)

Danach sieht es in der winterlichen Kälte "auf Schalke" noch nicht ganz aus. Die Jungs sind gerade beim Training. Vor dem Fenster liegt dichter Nebel und schirmt den gewaltigen Betonbau gegen die Außenwelt ab. Die fünf Spieler sitzen in einer Reihe vor ihren Bildschirmen, geben sich mit ruhiger Stimme eigene und gegnerische Bewegungen per Headset durch und traktieren wie wild ihre Computermäuse.

Der Trainerstab verfolgt das alles, der 27-jährige Chef-Coach protokolliert und wacht wie ein Drachen, dass man sich den Sportlern nicht nähert und sie eventuell ablenkt. Für dieses Trainingslager hat der Verein eine Loge in der Arena reserviert. Die Jungs sitzen in ergonomisch optimierten "Gaming-Stühlen" mit dem Vereinslogo drauf. Einer hat sich die Schuhe ausgezogen.

Profi-Gamer können es mit Kampfpiloten aufnehmen

Ganz entfernt erinnert das noch an die Kultur der Lan-Parties, aus denen die E-Sport-Szene entstanden ist: Als Internetverbindungen noch zu langsam waren, um vernünftig darüber spielen zu können, trugen Jungs (Mädchen sind im Profi-Bereich bis heute rar) ihre Röhrenmonitore und ihre Rechner gemeinsam auf irgendeinen Dachboden, verbanden sie altmodisch durch Kabel miteinander, tranken Energy Drinks, blieben lange wach und zockten blutrünstige Ballerspiele, bis ihre Augen viereckig wurden. Oder was die Eltern sich halt sonst so ausmalten.

Heute steht hinter den Spielern eine Schale Obst. Sie haben einen Ernährungsplan, kriegen Physiotherapie und müssen regelmäßig zum Fitness-Training. Man sieht es ihren Körpern nicht an, weil Muskelaufbau nicht auf dem Trainingsplan steht, wozu auch, aber die Burschen sind fit. Anders geht es nicht, denn eGamer rufen im Wettbewerb Reaktionsgeschwindigkeiten und Konzentrationsleistungen ab, die jenseits der Werte von Kampfpiloten der U.S. Air Force liegen.

"Wenn dein Körper gesund ist und das Gehirn vernünftig durchblutet wird, hast du viel höhere Aufmerksamkeitsspannen", erklärt Tim Reichert, "Chief Gaming Officer" bei Schalke. Der 38-Jährige war früher selber "Gamer" und gründete mit seinen beiden Brüdern das bis heute erfolgreiche Team "SK Gaming". Dann wurde er Profifußballer, spielte mit Rot-Weiß Oberhausen in der 2. Bundesliga. Sein Bruder Ralf Reichert betreibt heute die größte und älteste E-Sport-Liga der Welt, die "Electronic Sports League".

Essen, schlafen, zocken, alles gemeinsam

Seit vergangenem Jahr arbeitet Tim Reichert nun bei Schalke daran, die Infrastruktur und die Erfahrung eines solchen Vereins für die optimale Entwicklung der Computersportler nutzbar zu machen. Schalke übernahm ein bestehendes Team, steckte es in blaue Trainingsjacken und spendierte Reichert eine Wohnung in Berlin, in der Nähe des Studios, aus dem die europäischen Top-Matches übertragen werden.

Die Behausung war als "Gaming House" konzipiert, in dem die Spieler zugleich leben und trainieren. So machen es die meisten Teams. Von dem Geld, das sie vom Ligen-Betreiber erhalten, das Sponsoren zuschießen und das sie mit Merchandising-Artikeln umsetzen, mieten sie sich großzügige Wohnungen, die meist so gut wie kahl bleiben, oder zumindest sehr zweckmäßig von jungen Männern bewohnt aussehen: Essen, schlafen, zocken, alles gemeinsam, alles innerhalb derselben vier Wände. In guten wie in schlechten Zeiten.

Wenn die schlechten Zeiten kommen, gibt es in so einem "Gaming House" keine Rückzugsmöglichkeiten aus der sportlichen Krise. Und natürlich kommen schlechte Zeiten. Die erste Spielzeit in der europäischen Top-Liga begann für das Schalker LoL-Team vielversprechend. Doch dann gingen plötzlich Matches verloren. Es gab Gerüchte, einige der Spieler führten einen ungesunden Lebensstil. Weitere, entscheidende Niederlagen folgten. "Man kann sich vorstellen, wie sich die Kommunikation untereinander ändert, wenn fünf junge Leute um die zwanzig in einen Abwärtsstrudel geraten", sagt Reichert. Am Ende stand der Abstieg. "Da brauchte es ein externes Ergreifen."

Schalkes E-Sport-Team trainiert in der Veltins-Arena

Dieses "externe Eingreifen" war halb herbergsväterliche Erziehungsmaßnahme, halb folgte es den gnadenlosen Mechanismen des Profisports. Der Team-Manager wurde entlassen, die Verträge der meisten Spieler nicht verlängert. Die Verantwortlichen formierten eine neue Mannschaft und holten sie nach Gelsenkirchen. Die E-Sportler bekamen eigene Wohnungen. Das Training findet in der Veltins-Arena statt, bis ein Trainingszentrum in Berlin bezugsfertig ist. Das wird dann kein "Gaming House" mehr sein.

Einstweilen unterstreicht es den Ernst der Aufgabe, wenn die jungen Männer nun jeden Morgen vor den riesigen Toren des Stadions stehen. Andererseits haben sie so einen Freiraum ohne Leistungsdruck, ohne LoL, in dem sie sich entspannen können. Ein Stab von Betreuern und Analysten kümmert sich darum, dass das Klima stimmt, dass die Jungs in Stresssituationen produktiv kommunizieren, dass sie mental fit sind, sich vernünftig ernähren und ihre Fitness-Übungen machen. Nie wieder Lan-Party-Modus.

Die fünf jungen Männer, die an einem nebligen Wintertag schweigend auf dem Fußballfeld standen, als Vorprogramm zu einem DFB Pokal-Achtelfinale, gehören zu der ersten Generation, die E-Sport unter den Bedingungen eines klassischen Sportvereins betreibt. Tonnenschwer scheint dieses Stadion, diese Kulisse auf den schmächtigen Schultern zu lasten. Sie blinzeln ins Flutlicht wie Rehe. Aber wie sehr entschlossene Rehe. Vielleicht ist es der Druck, der Profis schafft.

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