E-Book:Die Daten des jungen Werthers

Deutsche Verlage bekennen sich zum elektronischen Buch - die Technik dafür ist reif und der Erfolg in den USA überzeugend.

Helmut Martin-Jung

Das Gerät ist etwa so groß wie ein Taschenbuch, aber kaum mehr als einen halben Zentimeter dick. Mit seinem Gehäuse aus poliertem Metall sieht es durchaus edel aus. Die Menschen, die sich am Donnerstag im Münchner Literaturhaus darum drängten, es einmal in die Hand zu nehmen, faszinierte aber vor allem eines: Wie auf der umweltpapiergrauen Anzeige Buchstaben dargestellt werden - fast so, als seien sie leicht erhaben.

E-Book: Amazons Lesegerät Kindle kann nicht nur elektronische Literatur anzeigen, sondern auch digitale Inhalte von Zeitungen und Blogs.

Amazons Lesegerät Kindle kann nicht nur elektronische Literatur anzeigen, sondern auch digitale Inhalte von Zeitungen und Blogs.

(Foto: Foto: ddp)

Gestochen scharf steht die Schrift auf dem elektronischen Lesegerät, nichts flimmert, nichts spiegelt, nichts leuchtet. Es ist, als befände sich hinter der mattierten Glasscheibe eine in hoher Qualität bedruckte Papierseite. Seit 2007 gibt es Geräte die auf der E-Ink (elektronische Tinte) genannten Technik basieren, und es spricht vieles dafür, dass sich diese längst begonnene Entwicklung in eine regelrechte Lawine verwandelt. Die Technik ist reif, das elektronische Buch wird ein Massenprodukt.

Größter E-Book-Kongress

Dass dies so sein wird, daran zweifelte kaum jemand der mehr als 130 Verlagsmanager, Technik-Dienstleister und Buchhändler, die sich in München auf Einladung der Akademie des deutschen Buchhandels zum bisher größten E-Book-Kongress im deutschsprachigen Raum trafen.

Schließlich gibt es mittlerweile, was Manager in aller Regel am meisten beeindruckt: Harte Zahlen. Seit vor rund einem Jahr der Online-Versandhändler Amazon sein Lesegerät Kindle in den USA auf den Markt brachte, sind dort die Umsätze mit elektronischen Büchern in einem nie gekannten Ausmaß gestiegen, allein vom ersten bis zum dritten Quartal 2008 von zehn auf knapp 14 Millionen Dollar. Das berichtet Johannes Mohn, der bei Bertelsmann für das elektronische Geschäft verantwortlich ist.

Wer aber mitmachen will bei diesem Markt, der muss sich einlassen auf eine Welt, mit der viele Verlage bisher nicht viel zu tun hatten. Ralf Müller, Geschäftsführer des Verlages Droemer-Knaur, hat wenig Berührungsängste. Wenn man ihn von Workflows, Master-Datenbanken und Webcrawlern reden hört, will man kaum noch glauben, dass es um das Kulturgut Buch geht.

"Ein Buch ist ein Buch, egal ob gedruckt oder elektronisch", sagt zwar Ronald Schild, der für den Börsenverein des deutschen Buchhandels die Online-Plattform Libreka aufgebaut hat. "Aber die Produktionskette in den Verlagen muss umgestellt werden", fordert er. Die Entwicklung beginne jetzt, in ein, zwei Jahren sei es zu spät. Digitale Märkte, sagt Schild, neigten zur Konzentration auf wenige große Anbieter, "Amazon hat jetzt schon einen Riesenvorsprung mit Kindle."

Die Daten des jungen Werthers

Was aber erwartet die Leser? Bücher werden auch von deutschen Verlagen längst nicht mehr in Blei gesetzt, sondern elektronisch verarbeitet, in aller Regel dienen Dateien im Dokumenten-Format PDF als Druckvorlage. Das aber könne nicht die Basis für elektronische Bücher werden, erklärt Mike Röttgen vom Technik-Dienstleister Arvato: "Oft haben nur die Druckereien die endgültigen PDF-Dateien." "Ein PDF ist noch lange kein E-Book", bestätigt Droemer-Knaur-Chef Müller.

Ein Text, viele Formate

Die Bildschirme der E-Ink-Geräte sind unterschiedlich groß, einige davon erlauben es außerdem, Schriftart und -größe zu ändern. "Die Inhalte müssen aber für alle Geräte passen", sagt Johannes Mohn, "eine Seite ist eben nicht mehr eine Seite." Die Daten müssten medienneutral in zentralen Datenbanken gehalten werden, sagt IT-Experte Röttgen. Nur so könnten sie für jedes denkbare Lesegerät zur Verfügung gestellt werden.

Die Bildschirmdiagonalen der E-Books variieren derzeit schon zwischen 15 und 25 Zentimetern, die Geräte sind zwischen 170 und gut 500 Gramm schwer. Momentan dauert das Umblättern noch relativ lange - bis zu eineinhalb Sekunden -, und die Anzeige ist nur in Schwarzweiß möglich. Die Erfahrung mit Digitalkameras zeige aber, dass die Entwicklung schnell Fortschritte mache, sagt Johannes Mohn. "Die Geräte werden besser werden", und auch die sogenannten Smartphones, Handys mit großem Bildschirm, seien im Prinzip Lesegeräte: "Apple-Chef Steve Jobs könnte das iPhone morgen mit einem Software-Update zum E-Book machen", sagt Mohn.

Der Name Jobs fiel nicht ohne Grund mehrere Male auf dem Kongress. Ihm war es vor einigen Jahren als Außenstehendem gelungen, ein Geschäft an sich zu reißen, das die etablierte Branche zu lange gefürchtet hatte wie der Teufel das Weihwasser: Musik aus dem Internet.

Dass Apple mittlerweile nicht nur der größte Download-Laden Amerikas ist, sondern der größte Musikvertrieb weltweit, zeige, wie schnell und gründlich ein neuer Markt von einem großen Player dominiert werde, warnt Ronald Schild von Libreka: "Die Buchbranche muss den Markt selbst beackern, oder aber es gibt ein Duopol aus Amazon und Google."

Die Daten des jungen Werthers

Apple war es auch, die der zaudernden Musikindustrie zeigte, dass es ein Fehler war, aus Angst vor Raubkopien keine eigenen oder nur durch Kopierschutz bis zur Unbrauchbarkeit verkrüppelten elektronischen Versionen von Musikstücken anzubieten. "Wenn es kein legales Angebot gibt, kommen die Bücher eben illegal auf die Lesegeräte", warnt Pascal Zimmer vom Großhändler Libri.

Libri ist einer der Partner des japanischen Unterhaltungs-Konzerns Sony, der im Frühjahr ein Lesegerät in Deutschland einführen will. Das Gerät, das in Frankreich oder Großbritannien bereits erhältlich ist, wird bei Libri zu bestellen sein, aber auch Buchhändler können es verkaufen. Die Preise elektronischer Bücher liegen in England und Frankreich unter dem Ladenpreis für gedruckte Ausgaben. Das Lesegerät kostet etwa 300 Euro. 2500 (Frankreich) beziehungsweise 6000 Titel (England) stehen bereits zur Verfügung.

Noch keine Europa-Offensive

Amazon, das mit dem Lesegerät Kindle und mehr als 200.000 im Internet bestellbaren Buchtiteln den amerikanischen Markt für E-Books dominiert, hat noch keine Europa-Offensive angekündigt. Doch dass der weltgrößte Versandhändler wartet, bis Sony oder andere Konkurrenten sich in Europa etabliert haben, ist aber nicht zu erwarten. Zudem hat das Kindle getaufte US-Lesegerät ein Merkmal, das es von allen anderen abhebt: ein eingebautes Funkmodul, das sich wie ein Handy in das UMTS-Mobilfunknetz einklinkt, ohne dass dafür zusätzliche Gebühren fällig würden.

"Unsere Vision ist es, dass man jedes Buch, das je gedruckt wurde, in 60 Sekunden herunterladen kann", sagt Anne Stirnweis, die bei Amazon für digitale Medien zuständig ist. Das klingt verdächtig nach der Diktion eines weiteren Giganten im Online-Geschäft: Auch Google könnte versuchen, am Geschäft mit der digitalen Literatur teilzuhaben.

Seit Jahren lässt der Suchmaschinenbetreiber weltweit Bücher einscannen, weit mehr als eine Million sind bereits erfasst. Ende Oktober folgte ein wichtiger Meilenstein: Der Konzern legte gegen Zahlung von 125 Millionen Dollar den Streit mit der Vertretung der US-Autoren bei. Sollte Google rechtefreie Bücher werbefinanziert, aber kostenlos zum Herunterladen anbieten, träfe das Verlage und Handel schwer.

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