Digitalpolitikerin Bär:Deutschland kann eine digitale Lücke füllen

Dorothee Bär wird Staatsministerin für Digitales.

Dorothee Bär (CSU) wird in der neuen Bundesregierung Staatsministerin für Digitales. (Archivbild)

(Foto: Getty Images)

Dafür muss die designierte Staatsministerin für Digitales Dorothee Bär sich aber von Lobbygruppen lösen und Datenschutz als Standortvorteil erkennen.

Kommentar von Andrian Kreye

Selten nur gibt es eine so günstige Gelegenheit, sich als Land einen Platz im Weltgeschehen auszusuchen, wie gerade jetzt. In der digitalen Geopolitik tut sich eine inhaltliche Lücke auf, die Deutschland füllen könnte. Deswegen ist es eine Besetzung mit Signalwirkung, wenn mit Dorothee Bär eine Politikerin als erste Staatsministerin für Digitales ins Kanzleramt einzieht, die sich mit dem Thema auskennt.

Dass sie aus der wertkonservativen CSU kommt, ist ein Vorteil. Die Partei hat Bayern in einen digitalen Standort verwandelt, auch wenn Image und Infrastruktur nicht immer gleichauf sind. Vor allem aber ist der Wertkonservatismus in der digitalen Entwicklung eine Kraft, die viele derzeit einfordern, obwohl sie vor Kurzem radikale Freiheiten für die digitale Welt predigten.

Die Lücke, die Deutschland und die Europäische Union jetzt schließen könnten, wird es nicht lange geben. Geöffnet hat sie sich in den vergangenen fünf Jahren. Nach Jahrzehnten der US-Dominanz im sogenannten Cyberspace kristallisierten sich in dieser Zeit mehrere Machtblöcke mit klar definierten Rollen heraus.

Bär kann Deutschland als Gegenspieler zu den USA und Asien profilieren

Die USA haben sich dabei von der Speerspitze der Innovation in eine Hochburg des digitalen Monopolkapitalismus der Großkonzerne wie Apple, Google und Amazon verwandelt. Bill Clinton hatte das in die Wege geleitet, George W. Bush fortgeführt, Barack Obama besiegelt.

China perfektioniert unterdessen die Überwachungsgesellschaft. Was das für Auswirkungen auf Asien und den Rest der Welt hat, ist noch nicht abzusehen. Russland und viele Länder der ehemaligen sowjetischen Einflusssphäre haben sich dagegen im beginnenden kalten Cyberkrieg als schlagkräftige Aggressoren etabliert. Das wird noch zu wenig wahrgenommen, weil die Siege der Hacker und Propagandisten in diesem Digitalkrieg nach traditionellen militärischen Gesichtspunkten Lappalien sind. Man beklagt ja keine Toten.

Dann gibt es noch die neuen Zentren der Innovation, Japan vor allem, Korea, Israel sowie Skandinavien und die baltischen Staaten, die allerdings alle zu vereinzelt agieren, um Macht zu entwickeln. Bleiben die Europäische Union, Deutschland und dessen Kraftzentrum Bayern. Die Deutschen haben jetzt die Chance, in der digitalen Sphäre eine Rolle als moralische Führungsmacht einzunehmen, welche die USA geopolitisch unter Trump so rasant verspielt haben.

Wertkonservatismus ist bei der Digitalisierung ein Standortvorteil

Betrachtet man die Debatten der vergangenen Monate, sind die Themen klar. Die Welt braucht soliden Datenschutz, künstliche Intelligenz, der ethische Werte in den Quellcode eingepflanzt werden, einen fairen Wettbewerb im Internet sowie eine digital aufgeklärte Gesellschaft, in der Bürger nicht zu Nutzern degradiert werden. Zunächst müssen Deutschland und Europa ihren Ruf als Standorte mit eingebauten Innovationsbremsen loswerden. Denn das ist ein überholtes Vorurteil.

Das World Economic Forum hat 2017 in einer Studie herausgefunden, dass es in Europa inzwischen mehr Entwickler als in den USA gibt, eine robustere Innovation, und auch beim Risikokapital holt die EU auf. Das entscheidende Alleinstellungsmerkmal der EU aber ist ihr stabiler Wertekanon. Der ist kein Widerspruch mehr zum Zukunftsoptimismus, der das Silicon Valley groß gemacht hat. Zu einem Zeitpunkt, an dem führende Forscher ein Moratorium für die Entwicklung künstlicher Intelligenz fordern, ist Wertkonservatismus ein Standortvorteil.

Die Staatsministerin muss sich von den Wünschen der Lobbyisten befreien

Dorothee Bär hätte in der EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager eine starke Verbündete. Noch aber steckt Bär zu tief in der "Laptop und Lederhosen"-Folklore ihres Bundeslandes. Da forderte sie eben noch folgsam eine Lockerung des Datenschutzes, weil das die Lobbyverbände seit Jahren predigen.

Überhaupt sind die Stärken, mit denen sie sich als Frau in der CSU behaupten konnte, auf der digitalen Weltbühne ein Hindernis. Der fränkische Charme, mit dem sie die Stammwählerschaft überzeugen konnte, wirkt da ungewollt komisch - wenn sie zum Beispiel Flugtaxis für alle fordert oder ihre Smartwatch "super" findet.

Zum Glück hat sie, was es in einer modernen Welt wie der digitalen Sphäre braucht, um sich letztlich durchzusetzen - Kompetenz. Seit Jahren schon engagiert sie sich für einen klaren Blick aufs Netz. Sie war in Deutschland eine der Ersten, die so etwas wie eine digitale Bildung forderten. Jetzt muss sie sich nur noch von den Wünschen der Interessensgruppen befreien. Und erkennen: Aus einer moralischen Führungsrolle erwächst irgendwann wirtschaftliche Macht.

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