Digitalisierung des Staates:Wie der Staat seine Bürger Google & Co. ausliefert

Digitalisierung des Staates: Der Taxi-Dienst Uber wird in den USA als der Retter des öffentlichen Nahverkehrs gefeiert. Durch fahrerlose Autos kann das Unternehmen die Personalkosten extrem reduzieren.

Der Taxi-Dienst Uber wird in den USA als der Retter des öffentlichen Nahverkehrs gefeiert. Durch fahrerlose Autos kann das Unternehmen die Personalkosten extrem reduzieren.

(Foto: AFP)

Uber rettet den öffentlichen Nahverkehr in den USA, Airbnb baut Gemeindezentren in Japan und Alphabet will das Parkplatzproblem lösen. Diese neue Art der Privatisierung ist gefährlich.

Von Evgeny Morozov

Weiß man im Silicon Valley eigentlich, wie ironisch es ist, dass mit Uber ausgerechnet eine Firma, die von einem unverhohlenen Ayn-Rand-Verehrer betrieben wird, als Heilsbringer des öffentlichen Nahverkehrs in Amerika gefeiert wird? Uber arbeitet inzwischen mit vielen Kommunen zusammen, die damit eine privatwirtschaftliche Alternative zum staatlichen Personentransport anbieten können. In manchen Gemeinden bekommen die Bürger sogar beeindruckende Rabatte, wenn sie Uber nutzen. Warum soll man auch Steuergelder dafür ausgeben, die Infrastruktur zu erneuern, wenn man das ganze Geld auch einfach an Silicon-Valley-Firmen überweisen kann?

Smartes Altern? Airbnb baut inzwischen in Japan Gemeindezentren

Ubers Vorstoß in den öffentlichen Nahverkehr ist nur ein Beispiel für Technologiefirmen, die Gemeinden und Regionen in Geldnöten ihre Dienste antragen. Sie vermitteln sehr glaubhaft, dass sie mit den Daten, die sie so souverän sammeln, analysieren und in Handlungsanweisungen übersetzen, enorme Spareffekte für die öffentliche Hand erzeugen und dabei auch noch Innovation und Unternehmergeist fördern.

Das begann alles mit der explosiven Ausbreitung "smarter" Programme, wobei "smart" nichts anderes ist als ein nettes Wort für "Privatisierung". Von "smart cities" bis zu smarter Altenpflege - es ist immer das Heilsversprechen, dass man die maroden staatlichen Infrastrukturen mit funkelnden und privatwirtschaftlichen Technospielereien renovieren und die Aufgaben zum Spottpreis erledigen kann.

Airbnb baut zum Beispiel in Japan Gemeindezentren und setzt dabei offensichtlich darauf, dass die alternde japanische Bevölkerung irgendwann mal ihre Regierung drängen wird, nach einem "Uber für smartes Altern" zu suchen. Und mit all den Daten, die Airbnb schon über unsere Reise- und Lebensgewohnheiten gesammelt hat, wäre die Firma vielleicht wirklich in der Lage, Sozialwohnungen zu bauen, in denen man sogar angenehm leben kann.

Alphabet will Parkplätze in Echtzeit versteigern

Auch Googles Mutterkonzern Alphabet hat inzwischen Angebote für örtliche Regierungen. Sidewalk Labs, die Abteilung, die auf Stadtentwicklung spezialisiert ist, hat eine neue Software namens Flow entwickelt, die hartnäckige Probleme wie das Parken vielleicht nicht lösen, aber zumindest lindern kann. Und welche Stadt würde Alphabet nicht gerne eine kleine Gebühr zahlen, wenn die im Gegenzug um jeden freien Parkplatz eine supereffiziente Auktion in Echtzeit abhalten kann, die dann noch hilft, die Gemeindekasse zu füllen?

Vielleicht wird Alphabet die Parkprobleme aber auch ganz lösen, indem sie einen Großteil der Leute dazu bringt, gar nicht mehr selbst zu fahren. Der Konzern führt gerade seine eigene Mitfahrzentrale ein, die als direkte Konkurrenz zu Uber und Lyft positioniert ist und auf seinem Dienst für Verkehrsdaten-Analyse Waze basiert. Da geht es darum, Fahrgäste und Fahrer, die in die gleiche Richtung wollen, zusammenzubringen, was der Firma leichtfällt, weil sie ja schon so viele Daten über uns und unsere Bewegungen gesammelt hat.

Und dann gibt es auch noch Alphabets anderes Großprojekt Google Fiber. Das soll Gemeinden, die von traditionellen Internetanbietern vernachlässigt wurden, Highspeed-Internet-Zugänge anbieten. Als wäre das noch nicht großzügig genug, will Alphabet in Amerika auch noch Sozialwohnungsprojekte verkabeln, was darauf hinausläuft, dass die Firma die Internetzugänge einkommensschwacher Haushalte subventioniert, eine Taktik, welche die Firma ähnlich wie Facebook auch in Entwicklungsländern verfolgt.

Die Tech-Industrie setzt eher auf Demokraten - weil die mehr Aufträge vergeben

Solche Verflechtungen zwischen Silicon Valley und dem öffentlichen Sektor erklären auch, warum das Führungspersonal der Tech-Industrie eher Demokraten als Republikaner unterstützt. Weil die Technologiefirmen verstanden haben, dass man mit der öffentlichen Hand sehr viel Geld verdienen kann, wollen sie nicht, dass Staatsausgaben prinzipiell gesenkt werden. Warum sollten sie sich denn um lukrative Regierungsaufträge bringen? Ein aufgeblähter Regierungsapparat, der die Verwaltung und Umsetzung seiner Aufgaben der Privatwirtschaft überträgt, ist wunderbar.

Man darf allerdings dem Silicon Valley für solche Privatisierungswellen nicht die alleinige Schuld geben. Der öffentliche Sektor denkt ja selbst nur noch mit dem neoliberalen Vokabular der Konzerne, Märkte und Netzwerke. Er kann sich natürlich nicht so einfach selbst auflösen. Also rekrutiert er eben die Privatwirtschaft, um seine Angelegenheiten zu erledigen. Für Regierungen und Verwaltungen lautet das Versprechen Geschwindigkeit und Ersparnis. Für Silicon Valley bedeutet das zunächst einmal Einkommen, allerdings auch garantierten Zugriff auf Kundendaten, der langfristig sogar noch wichtiger sein könnte als momentaner Gewinn.

Obamacare war vielen Versicherungsgesellschaften zu teuer

Dieses Modell unterwirft Grundversorgung und Infrastruktur, einst Domäne des Sozialstaates und örtlicher Regierungen, den Launen und Konjunkturen von Konzernen und ihren Geschäftsmodellen. Solche Launen gibt es zuhauf: Vielversprechende Märkte entpuppen sich als Verlustgeschäft, und dann ziehen es die meisten Firmen vor, ihre Verluste abzuschreiben und sich still und leise aus dem Geschäft zurückzuziehen. Den Bürgern fehlt dann in der Regel ein wichtiger Teil der Versorgung.

Das scheint nun auch das Schicksal von Obamacare zu sein, dem amerikanischen Krankenversicherungsgesetz, das ein Musterbeispiel dafür ist, wie man sozialstaatliche Versorgung auf ein privatwirtschaftliches Modell umstellt. Versicherungen, die eigentlich darum kämpfen sollten, ihren Kunden die besten Angebote zu machen, sahen schon bald, dass nach dem Inkrafttreten des Gesetzes vor allem alte Leute an ihre Türen klopften, während die Jungen, die in der Regel gesünder sind und kaum Gesundheitsversorgung brauchen, davor zurückscheuten. Viele Versicherungsgesellschaften fanden es also zu teuer, an Obamacare teilzuhaben - und stiegen aus den Vermittlungsstellen aus, sodass es in manchen Gemeinden nur noch einen oder auch gar keinen Anbieter gab.

Die niedrigen Kosten verbergen Milchmädchenrechnungen

Es gibt für Silicon Valley noch kein Äquivalent eines derart gewaltigen Projekts wie Obamacare. Es ist allerdings anzunehmen, dass Techfirmen sehr viel effektiver und früher als die Versicherungsbranche abschätzen können, ob und wann ein Geschäftsmodell gegen die Wand fährt. Alphabet mag gehofft haben, die Welt zu retten, Google Fiber ist allerdings in der Klemme. Die Firma will gerade die Zahl ihrer Mitarbeiter halbieren und legt Expansionspläne für so manche Gegend auf Eis. Offensichtlich ist der Aufbau von Infrastruktur doch ein bisschen schwieriger, als Online-Anzeigen zu verkaufen.

Ein ähnliches Schicksal hat gerade einen ihrer anderen hochfliegenden Pläne ereilt. Project Ara, das modulare Smartphones entwickeln sollte, wurde gerade ausgesetzt und reiht sich erst einmal in die Liste der Pleiten wie Google Glass ein. Alphabets smartem Thermostat der Marke Nest geht es auch nicht besonders. Der ehemalige Chef der Firma wurde gerade versetzt, die Belegschaft auf "Smart Home"-Projekte gesetzt. Nest sollte ja auch mal dem Wohle aller dienen. Ein paar Versicherungsgesellschaften hatten schon Verträge mit Alphabet - sie würden ihren Kunden Nest als Gratis-Rauchmelder anbieten, wenn sie dafür ihre Daten abgreifen dürfen.

Ubers verlockende Angebote sind auch sehr viel unehrlicher, als sie scheinen. Die Fahrtkosten sind ja sehr niedrig, was sie für Konsumenten und örtliche Regierungen wirklich äußerst attraktiv macht. Die niedrigen Kosten verbergen allerdings alle möglichen Zuschüsse und Milchmädchenrechnungen, die sich vielleicht mal realisieren lassen. Oder eben nicht. Denn Ubers Niedrigpreise beruhen auf zwei Entwicklungen: Dass Uber mit selbstfahrenden Autos Fahrer abschaffen und damit Personalkosten extrem reduzieren kann und dass es seine beeindruckende und bislang konkurrenzlose Wachstumsrate in einem doch enorm wichtigen Markt halten kann.

Auch die erfolgsgewohnte Firma Uber hat sich schon verkalkuliert

Schon geringfügige Abweichungen reichen bei solchen Berechnungen, dass sich die versprochenen Einsparungen in nichts auflösen. Ubers Kunden in China lernten das auf die harte Tour, als Uber einen Deal mit seinem chinesischen Konkurrenten Didi Chuxing machte und sich die Preise, zumindest für einige Kunden, schon wenige Tage später verdoppelten. Wenn man dann noch den zu erwartenden Druck durch neue Regulierungen, Tausende wütende Fahrer, die um ihre Jobs bangen, und die aggressive Anti-Uber-Lobbyarbeit der Konkurrenz dazu nimmt, bleibt nicht mehr viel Stabilität in Ubers Nahverkehrsprogramm.

Doch was passiert, wenn Techfirmen konkurrenzlos werden sollten? Werden sie dann so agieren wie die berüchtigten Pharmafirmen, die äußerst gewinnbringende und schier unbegrenzte Deals mit der Regierung gemacht haben - dass sie also der öffentlichen Hand exorbitante Preise in Rechnung stellen dürfen, weil es ja keine Konkurrenz mehr gibt? Denn letztlich ist die Versorgung durch Konzerne vor allem eine Versorgung der Konzerne.

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