Digitaler Wandel:Das Web ist mit uns

Der Mensch verschmilzt immer mehr mit dem Internet: Zwischen Datenstrom und Wirklichkeit navigieren uns Geräte, die unsere künftige Sicht auf die Welt revolutionieren werden.

Bernd Graff

Wenn in diesem Jahr Abertausende Smartphones und Netbooks, netzfähige iPods und Buchlesegeräte mit Internetanbindung zu Weihnachten verschenkt werden, dann erfreut man die Beschenkten nicht lediglich mit einem Stück neuester Technologie. Man verschenkt: Zugang.

Digitaler Wandel: Wir alle bewegen uns künftig im Netz, denn das Netz ist überall

Wir alle bewegen uns künftig im Netz, denn das Netz ist überall

(Foto: Foto: iStock)

Die neuen Geräte sind so etwas wie die Schweizer Messer der Kommunikation und Informationsbeschaffung. Mit ihnen können wir in einem Laden die Angebote mit den Konkurrenz-Produkten vergleichen. Wir erfahren die Busfahrpläne in der Stadt, wissen, wo der beste Kaffee serviert wird, auch wenn wir nie zuvor in der Stadt waren. Denn wir erfahren, was unsere Freunde von dem gehalten haben, was wir gerade erleben, weil sie uns digitale Kassiber für diese Orte hinterlassen haben.

Tausende kleine, oftmals kostenlose Programmen, die sogenannten Apps, erweitern die Funktionalität der Geräte. So kann man aus dem Smartphone eine Taschenlampe, einen Währungsrechner, eine Wetterstation, eine Wasserwaage, eine Dunkelkammer und ein Musikerkennungsgerät machen, das man nur vor den Lautsprecher hält, um zu erfahren, was der DJ aufgelegt hat.

"Schneller, schneller" ist vorbei

Anders also als in den Jahren zuvor ist neueste Technologie nicht einfach die Überbietung von etwas Vorhandenem. In der Ära der ersten Digitalisierung wurden Computer mit jedem Jahr schneller. Das galt als Fortschritt. Doch konnten diese schnelleren Computer im Grunde auch nur das, was die Vorläufermodelle konnten: Auf Schreibtischen Staub ansammeln, eine Textverarbeitung oder Tabellenkalkulation öffnen und ein wenig im Netz surfen, um Stoff für die Textverarbeitung oder Tabellenkalkulation zu recherchieren.

Die neuen Geräte unterscheiden sich grundlegend: Sie stellen nicht lediglich eine Verbindung zum Netz her, sie integrieren es in das Leben. Das mobile Netz, das allgegenwärtige Gebrauchsnetz verändert unseren Alltag damit noch wesentlich deutlicher als es das alte Web der Arbeitszimmer und Büros getan hat.

Aus Surfern, die auf html-Wellen reiten, werden Nutzer, die im digitalen Informationskosmos wie mit dem Chirurgenskalpell operieren. Man sendet und empfängt: pragmatisch, situativ und je nach Bedarf. Das, was jeweils relevant ist, bestimmt der Nutzer.

Darum verändern die neuen Kommunikatoren auch das Netz: Aus dem Schaufensternetz, über das man wenig mehr als Firmenseiten erreichte, ist ein Beteiligungsnetz geworden, über das man kommuniziert. E-Mail, Tweets, Skype-Nachrichten, Facebook-Einträge. Zufälligerweise immer über das Internet. Der Überbegriff "Internet" also, der Technologien der Vernetzung und ein Arsenal an Protokollen beschreibt, interessiert nicht mehr in seiner globalen Gesamtheit. Interessant wird das individuell genutzte Gebrauchsnetz.

Was das Netz uns bescheren wird

Alles ist im Netz, jeder ist im Netz. Und das Netz ist bei uns. Man mag all dies für ein Überangebot, auch für überfordernd halten. Aber dann muss man auch die gesammelten Informationen in den guten alten Bibliotheken für überfordernd halten.

Sie sind es nicht, weil man nicht die Bibliothek in der Fülle ihres Gesamtbestandes nutzt, sondern einzelne, relevante Bücher. Allem Kulturpessimismus zum Trotz: So, wie der Mensch gelernt hat, mit Büchern umzugehen, so wird er auch lernen, selbstbestimmt mit den Möglichkeiten des Internet umzugehen.

Von all den Buzzwords der letzten Monate, den Etiketten für das "nächste große Internetding", wird man sich drei merken müssen: Die "Augmented Reality", das "Cloud Computing" und wohl auch den "Tablet PC". Der letzte Begriff beschreibt noch kaum mehr als ein Gerücht, das vor allem Apple-Jünger gern verwirklicht sähen.

Zwar gibt es "Tablet PCs" schon länger, doch von dem iPod-Erfinder erwartet man die endgültige Revolution: den intuitiv mit Fingern und Wischbewegungen, vielleicht auch schon mit der eigenen Stimme zu bedienenden Computer mit neuen Web-Services.

Ein Gerät, das im Netz sucht, arbeitet und speichert, ein Lesegerät für Zeitungen und Web-Magazine, die Multimedialität und Texte auf neue Weise kombinieren. Der Tablet-PC wäre ein tragbares Fenster für die Virtualität, gewissermaßen das iPhone für Große. Noch gibt es ihn so nicht. Aber man ahnt schon, was er wäre.

Daten, erreichbar von überall

"Cloud Computing" erlöst den Nutzer von lokalen Rechnern und lokal installierter Software. Erste Ansätze liefert - wie immer - Google, das mit Google Docs ein Set von netzbasierten Funktionen für die Dokumentenbearbeitung ins Web legt. Sie sind über einen gewöhnlichen Browser aufzurufen.

Die Vorteile: Man kann von jedem Ort aus darauf zugreifen. Denn die Dokumente werden online gespeichert. Auch andere Personen können damit arbeiten und gleichzeitig Änderungen daran vornehmen, sofern sie legitimiert sind. Die Nachteile: Was genau geschieht mit den extern abgelegten Daten? Welche Algorithmen werden von Google darauf losgelassen, um welche (vermarktbaren) Informationen für den Suchgiganten daraus zu ziehen?

Die spannendste Veränderung unseres Alltags ist von der "Augmented Reality" zu erwarten. In der "erweiterten Realität" wird der Blick auf das Display eines Foto-Handys bereichert um Informationen zu dem Ort, den man aktuell sieht. Der Blick auf ein Renaissance-Schloss erzählt dessen Geschichte. Man nutzt die Internetfähigkeit und Ortbarkeit des Smartphones, um virtuelle und reale Welt übereinander zu legen. Die eingeblendeten Informationen sind editier- und speicherbar.

Das heißt, man kann digitale Botschaften an Orte binden und für andere dort hinterlegen. "Air Tags" nennt man diese Realitätsmarkierungen. Man spricht von der "klickbaren Welt" und nennt sie die "lebende Internet-Umwelt." Die neuen Geräte also sind gemacht für den kleinen Grenzverkehr zwischen Information und Wirklichkeit.

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