Digitale Zukunft Europas:Fliegende Autos statt 140 Zeichen

Im Silicon Valley gibt es all das, wovon Europa für seine digitale Zukunft noch träumt: mehr Mut, mehr Geld, mehr Talente. Das kann man beklagen. Das kann man kopieren. Man kann sich aber auch fragen, wo unsere eigenen Stärken liegen.

Kommentar von Varinia Bernau

Zu zögerlich, zu vage, zu zaghaft. Das ist das Bild, das deutsche Politiker wie Unternehmer in der Debatte um ihre digitale Agenda derzeit bieten. Auch weil sie sich dabei am Silicon Valley messen lassen müssen. Dort gibt es nämlich schon all das, wovon hier noch geträumt wird: mehr Mut, mehr Geld, mehr Talente. Das kann man beklagen. Das kann man kopieren. Man kann sich aber auch fragen, wo unsere eigenen Stärken liegen - und wo es Deutschland, wo es Europa insgesamt besser machen kann.

Es ist richtig und wichtig, sich anzusehen, was im Silicon Valley passiert. Gefährlich aber wird es, wenn daraus blinde Bewunderung wird. Denn dann gerät aus dem Blick, dass es durchaus auch Zweifel daran gibt, ob das Tal der Tüftler die richtigen Antworten auf die drängendsten Fragen der Zukunft hat. "Wir haben von fliegenden Autos geträumt", so höhnt beispielsweise Peter Thiel, immerhin einer der einflussreichsten Risikokapitalgeber im Silicon Valley, "und gekriegt haben wir 140 Zeichen." Warum also wird in Europa nur an einer weiteren App getüftelt, statt sich den wichtigen Dingen zuzuwenden? Warum Twitter hinterherhecheln, statt den ehrgeizigen Kampf gegen den Klimawandel mit klugen Ideen von vernetzten Städten zu verbinden?

Einfach wird das nicht. Denn um etwa den Verkehr in einer Metropole so zu steuern, dass weniger Schadstoffe in die Luft gepustet werden und weniger Pendler die Nerven verlieren, dazu braucht es nicht nur kluge Ingenieure. Es braucht auch eine Kultur des Miteinanders. Viele verschiedene Unternehmen müssen anderen ihre Ideen offenlegen; Zweifel müssen erlaubt sein - ohne dass der andere sie für seine Zwecke ausnutzt; Gewinne müssen fair geteilt werden; und schließlich müssen alle Partner bereit sein, sich von manch einer bequemen Einnahmequelle, von manch einer Routine zu verabschieden. Die Internetkonzerne aus dem Silicon Valley machen ja gerade deshalb ein so glänzendes Geschäft, weil sie erst mit der Digitalisierung entstanden sind - und den Ballast der alten Welt nicht mit sich schleppen.

Die Mächtigen aus dem Silicon Valley diktieren die Spielregeln

Sie sind aber auch deshalb so erfolgreich, weil es ihnen gelingt, der Old Economy weiszumachen, dass nichts von dem, was sich in der Vergangenheit bewährt hat, in der Zukunft noch wichtig wäre. Der Internethändler Amazon zum Beispiel ist so groß geworden, weil er den Einkauf so bequem gemacht hat. Dabei kann ein klassischer Händler, der im Viertel verankert ist, seine Kunden besser beraten, als es jeder Algorithmus könnte. Und mit einem gutem Netz an Filialen erreichen große Händler ihre Kundschaft auch besser, als es eine Drohne jemals könnte. Weil aber der Handel seine eigenen Stärken viel zu wenig ausgespielt hat, konnte sich Amazon dessen Schwächen zunutze machen.

Die drängenden Fragen der Zukunft, die nach den fliegenden Autos, nicht die nach den 140 Zeichen, sind zu schwierig, als dass einer allein sie lösen könnte. Es braucht in Zukunft mehr, nicht weniger Miteinander. Europa hat gezeigt, dass sich dieser Kontinent auf Kompromisse und auf Solidarität versteht. Er sollte sich nicht einreden lassen, dass dies eine Schwäche ist. Es ist an der Zeit, Partnerschaften für die digitale Welt von morgen zu knüpfen. Zwischen Managern und Bürgern, Politikern und Wissenschaftlern - und Europa könnte dabei auch jene Menschen gewinnen, die anderswo mit Unbehagen beobachten, mit welcher Arroganz die Mächtigen aus dem Silicon Valley anderen ihre Spielregeln aufdrängen.

Gibt es eine Garantie, dass diese Bemühungen zum Erfolg führen? Nein, natürlich nicht. Aber besser als nur zu jammern, besser als in Ehrfurcht vor dem Silicon Valley zu erstarren, ist dies allemal.

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