Digitale Zeitungen:Danke für die Kunden

Das iPad von Apple galt vielen Verlegern als Heilsbringer. Doch der Konzern ist ein launischer Kontrollfreak - und die Verlage mit dem neuen Kanal noch überfordert.

Jörg Häntzschel und Johannes Kuhn

Niemand hat Apples iPad sehnlicher erwartet als die Verleger von Zeitschriften und Zeitungen. Mit dem Zauber des neuen, flachen Tablet-Computers schienen plötzlich erfolgreiche Bezahlmodelle im Netz möglich. Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner (Bild, Welt) rief die Verleger gar zu Dankgebeten für Apple-Chef Steve Jobs auf.

Doch knapp fünf Monate nach dem Verkaufsbeginn des iPad, das inzwischen auch gegen etliche Konkurrenzprodukte antritt, ist von der Euphorie wenig geblieben. Apple, der vermeintliche Retter der Presse, erwies sich als gnadenloser und launischer Control-Freak.

Dabei klang es so gut. Gewinnen würden, so das Versprechen, beim iPad alle: Den Nutzern böten die Anwendungen ("Apps") ein Leseerlebnis, das die besten Seiten von Print und Online vereine und weit über das hinausgehe, was im Internet möglich sei. Die Verlage könnten dank der Verbesserung ihre Kunden mit gutem Grund zum Zahlen zu bitten. Und sie könnten sich dazu einer bewährten Infrastruktur zum Abrechnen bedienen, mit der die Verkaufsplattform iTunes schon bei Musikdownloads arbeitet. Apple, das 30 Prozent des Verkaufspreises der Apps kassiert und nebenbei viele interessante Daten der App-Konsumenten sammelt, war sowieso zufrieden.

Teilkastriertes Netz

Ein raffinierter Schachzug half Apple, das Geschäft mit den Apps zusätzlich in Schwung zu bringen. Es verbannte die Software Flash vom iPad, die bewegte Bilder auf Websites möglich macht. Flash sei der Fluch des Internet, erklärte Steve Jobs bei der Einführung des iPad, nicht ganz unberechtigt. Es bringe Computer zum Abstürzen und sei maßlos in seinem Speicherplatzhunger. Doch die Teilkastration des Internet auf dem iPad, die daraus resultierte, war Apple mutmaßlich hochwillkommen. Statt sie sich auf dem beliebten Filmportal Hulu gratis anzusehen, müssen Nutzer des iPads zum Beispiel amerikanische TV-Serien nun bei iTunes kaufen. Und weil statt der Videos und Bilder-Slideshows, mit denen die New York Times Gäste ihrer Website verwöhnt, auf dem iPad nur graue Flächen erscheinen, werden diese sanft genötigt, sich das App herunterzuladen - und damit Kunden von Apple zu werden.

Apple und die Verleger - das sind zwei Welten, deren Interessen sich nur teilweise überschneiden. Der Konzern ist nicht der Freund der Printbranche, wie viele nun schmerzlich erfahren mussten. Die meisten Apps, mit denen Verlage versuchten, die Abrechnung ihrer Angebote selbst in die Hand zu nehmen, scheitern an den rigiden Wächtern des App-Stores. Am Ende geht es um sehr viel Geld.

Der bislang bekannteste Fall war eine aufwendige neue App der amerikanischen Zeitschrift Sports Illustrated, die im Juli in letzter Minute von Apple abgelehnt wurde. Der Grund lag offenbar darin, dass dabei eine Abo-Funktion freigeschaltet werden sollte, bei der die Abrechnung direkt über den Verlag erfolgt wäre. Time Inc., dem Verlag von Sports Illustrated, blieb nichts übrig, als seine iPad-Ausgabe weiter im Einzelverkauf anzubieten. Seitdem mehren sich in den USA und Europa Befürchtungen, dass Steve Jobs den App-Store in iTunes zum einzigen Abovertriebsweg für Apps machen will - um damit die Kontrolle über die Kundenbeziehung zu behalten.

Digitale Bleiwüsten

Für die Verlage wäre das auf mehrfache Weise schädlich. Der Kontakt zu den Kunden gehört zu ihrem Kerngeschäft. Nur wenn sie die Kontrolle über die Abo-Daten behalten, können Verlage zum Beispiel ihren Print-Abonnenten die App als Dreingabe oder verbilligt anbieten. Außerdem enthalten die Daten wichtige Informationen über die eigene Leserschaft, die nicht zuletzt für das Anzeigengeschäft unverzichtbar sind. Doch an dem Fiasko, das der Vertrieb von Zeitschriften auf dem iPad bisher darstellt, ist Apple nicht alleine schuld.

Offenbar setzen die Verlage darauf, dass die in ihr neues Spielzeug verliebten Kunden jede Vernunft fahren lassen. Denn viele Magazin-Apps laden nichts anderes als um ein paar Extras erweiterte, aber in sich starre Dateien des gedruckten Produkts. Wer auf dem iPad kürzlich zum Beispiel die Geschichte von Sports Illustrated über die amerikanische Fußballnationalmannschaft las, der musste zusätzlich im Internet suchen, um deren aktuelle Spielergebnisse zu finden. Viele der digitalen Magazine sind außerdem Datenriesen: Eine Ausgabe des Technikhefts Wired ist irre 500 MB groß. Das Monat für Monat herunterzuladen macht wenig Spaß, vor allem wenn der iPad nur 16 Gigabyte Speicher besitzt.

Dass die meisten Magazine auf dem iPad zurzeit keine Chance haben, liegt jedoch auch an der seltsamen Preispolitik ihrer Verleger. Während die iPad-Ausgabe von Time 4,99 Dollar kostet - soviel wie die Druckversion -, ist das Jahresabo mit 56 Print-Ausgaben für nur 20 Dollar zu haben. Eine Wired-Ausgabe kostet auf dem iPad 3,99 Dollar, zwölf gedruckte Ausgaben jedoch nur zehn. Entsprechend wütend sind die Online-Kommentare im App-Store: "Sie kapieren's nicht", "Wer ist so verrückt, das zu bezahlen?", "Idioten".

Undurchsichtiges Gebaren

Einige Ausnahmen hat Apple aber doch gemacht. Wie dem Wall Street Journal erlaubt Apple auch dem deutschen Spiegel, Abos selbst abzuwickeln. "Wir haben sehr früh Wert darauf gelegt, die Abo-Beziehung mit unseren Kunden zu kontrollieren", sagt Spiegel-Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron, "wir wollen wissen, wer unsere Kunden sind." Umso weniger kann er nachvollziehen, warum Apple so streng mit Sports Illustrated umging: "Apples Schritt hat uns sehr irritiert. Bei uns gab es keinerlei Probleme mit der Zulassung der Apps." Ob Apple von Fall zu Fall oder länderspezifisch entscheidet, dazu will sich bei dem Konzern bislang niemand äußern.

Wie man Apple zu flexibleren Modellen bewegen kann, darüber zerbrechen sich viele Verleger die Köpfe. Die Stimmung ist gereizt, vor allem in den USA. Die Chefs von Time Inc. würden darüber "wahnsinnig", zitiert der Medienblogger Peter Kafka eine Quelle aus dem Unternehmen. Ein Condé-Nast-Verantwortlicher sagt genervt: "Bringen Sie mich nicht auf dieses Thema." Und bei Hearst (Cosmopolitan) will man sich damit behelfen, mehrere Magazin-Ausgaben als Paket zu verkaufen, wenn Abos schon nicht drin seien. Das sei zumindest besser als nichts. Immerhin erlaubte Apple kürzlich dem Magazin People, das auch bei Time Inc. erscheint, seine Digitalausgabe an Print-Abonnenten kostenlos abzugeben. Time, Sports Illustrated und Fortune sollen folgen.

Ein eigener Kiosk

Indes plant der deutsche Bertelsmann-Konzern noch in diesem Jahr unter Federführung von Gruner+Jahr einen eigenen "E-Kiosk", auf dem Magazine und Zeitungen verschiedener Verlage angeboten werden. "Uns ist es wichtig, eine direkte Kundenbeziehung zu pflegen und in der Preisgestaltung frei zu sein", sagt G+J-Sprecher Christian Merl. Die App soll dabei nur als Eingangstor zum Verkaufsportal fungieren. Die 30 Prozent Umsatzbeteiligung, die Apple für Verkäufe über iTunes berechnet, könnten sich die deutschen Betreiber so sparen. Bei Gruner+Jahr gibt man sich optimistisch, dennoch die iPad-Zulassung zu erhalten. Vorgespräche hätten ein "positives Ergebnis" gebracht, heißt es.

Auch in den USA plant das Joint Venture Next Issue Media, zu dem sich Time Inc., Hearst, Condé-Nast und Rupert Murdochs News Corporation zusammengeschlossen haben, eine eigene Vertriebsplattform. Wie der deutsche E-Kiosk dürfte diese darauf zielen, die Abhängigkeit von Apple zu verringern und Magazine auch für andere mobile Endgeräte als das iPad bereitzustellen. "Auch wenn es manchmal so scheint: Die Welt besteht nicht nur aus Apple", sagt der Analyst Nick McQuire vom Marktforschungsunternehmen IDC. Sein Rat: "Medienfirmen sollten sich auch darauf konzentrieren, auf anderen Plattformen vertreten zu sein." Bei den sogenannten Smartphones gewinnen derzeit Handys mit dem Google-Betriebssystem Android stetig Marktanteile, von Herbst an soll die Google-Software auch einige iPad-Konkurrenten antreiben. Doch auch die neue Generation von Geräten garantiert vorerst keine ausreichenden Einnahmequellen für die Verlage, zumal für deutschsprachige Angebote.

Die Zahl der Nutzer der Spiegel-App für das iPad liegt bislang noch im vierstelligen Bereich - Marktforscher rechnen damit, dass Tablet-Computer in Deutschland erst in etwa drei Jahren einen Massenmarkt erreichen. In den USA ist man schon weiter. Gerade erst kündigte Murdoch eine neue, eigens für digitale Lesegeräte ("Reader") produzierte Zeitung an, die die Leser selbstverständlich bezahlen müssen. Die New York Times, die für ihre bisher rund 400 000 Mal heruntergeladene kostenlose iPad-App von 2011 an ebenfalls Gebühren erheben will, hat indes ein neues Geschäftsmodell gefunden: Die Zeitung bietet einen Entwicklungs-Baukasten an, mit dessen Hilfe andere Verlage ihre Apps gestalten und programmieren können. Neben einem einmaligen Lizenzbetrag erhält die Times dafür auch monatliche Nutzungsgebühren. Als ersten Großkunden konnte der Verlag die britische Telegraph Media Group gewinnen.

Mit diesem Schritt bewegt sich die New York Times weg von einem klassischen Medien- hin zu einem Technologieunternehmen, das nicht vom digitalen Vertrieb und dem Wohlwollen eines Konzerns wie Apple abhängig ist. Es könnte sich als Königsweg herausstellen.

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