"Deus Ex: Mankind Divided":Die Maschinenmenschen wollen raus aus ihrem Ghetto

"Deus Ex: Mankind Divided": Knifflig: "Deus Ex: Mankind Divided"

Knifflig: "Deus Ex: Mankind Divided"

(Foto: AP)

"Deus Ex: Mankind Divided" schreibt die tiefsinnige Hintergrundgeschichte über die Spaltung zwischen Cyborgs und Bio-Menschen fort. Das ganze Schleichen, Schießen und Hacken ist aber kompliziert.

Von Markus C. Schulte von Drach

Wer sind die Guten, wer die Bösen? Wer macht alles mit in dem großen Spiel um die Kontrolle von Politik und Wirtschaft? Auf wessen Seite wollen wir stehen, und sind die Leute tatsächlich das, was sie vorgeben, zu sein? Es sind viele Fragen, die uns in der Rolle des Adam Jensen beschäftigen. Und dies umso mehr, als er äußerst gefragt ist bei verschiedenen Parteien in diesem Konflikt, der am Ende die ganze Menschheit spaltet. So wie der Held selbst gespalten ist, seit er im Jahre 2029 ohne es zu wollen in einen Cyborg verwandelt wurde: halb Mensch, halb Maschine.

Nach einem Anschlag schwer verletzt, erwachte er mit künstlichen Gliedmaßen, Computerchips im Gehirn und erweiterten Sinneswahrnehmungen aus dem Koma - eine lebende Waffe, ein buchstäblich stählerner Rächer gewissermaßen, der sich auf die Suche nach seiner von Terroristen entführten Geliebten machte. Das war "Deus Ex: Human Revolution", an dessen Ende ein Ex-Philanthrop einen globalen Massenmord auslöste, indem er die mit Augmentierungen ausgestatteten "Optis" wie Jensen weltweit über ein Funksignal kurzzeitig Amok laufen lässt. Millionen Menschen sterben, teils getötet von eigenen Angehörigen.

Vor dem sogenannten "Aug-Incident" im Jahre 2027 war die Gesellschaft bereits tief gespalten: Auf der einen Seite standen jene, die ihren Körper und sogar ihren Geist mit teuren Prothesen künstlich aufrüsten können. Auf der anderen Seite die, die dies als verabscheuungswürdigen Eingriff in die Natur ablehnen, oder als Möglichkeit der Reichen, sich weitere Vorteile vor den Armen zu verschaffen. Die ethischen Fragen, die hier bereits im ersten Spiel der Reihe aus dem Jahr 2000 angesprochen wurden, greifen eine Diskussion aus der Realität auf.

Der Umgang mit den "Augs" erinnert an die Situation der Flüchtlinge

Im neuen Nachfolgespiel "Deus Ex: Mankind Divided" allerdings haben die Vorzeichen wegen des "Aug-Incident" gewechselt. Die nun als gefährlich betrachteten "Augs" oder "Optis" werden von den Mehrheitsgesellschaften aus nicht augmentierten "Naturals" diskriminiert. Sie werden ausgegrenzt, in Ghettos gezwungen wie jenem in Prag, in dem Adam Jensen nun lebt. 2029, zwei Jahre nach dem weltweiten Massaker, schikanieren schwer bewaffnete Sicherheitskräfte die Augmentierten in ihren Vierteln, halten sie an allgegenwärtigen Kontrollstellen auf, scannen sie mit Drohnen aus der Luft. Immer wieder stößt auch Jensen persönlich auf die Ablehnung durch "Naturals". Es ist nur ein Spiel, aber der Umgang mit den "Augs" erinnert an das, was Flüchtlinge gegenwärtig in manchen europäischen Ländern erleben.

Das alles bekommt die Spielfigur selbst allerdings nicht so sehr zu spüren. Denn Jensen ist Angehöriger einer von den Vereinten Nationen eingerichteten geheimen Task Force 29, einer Spezialeinheit zur Bekämpfung des Terrorismus gegen, aber auch von "Augs". Es hat deshalb ganz andere Freiheiten und Möglichkeiten als die übrigen Augmentierten und kann das Ghetto verlassen. Der erste Auftrag führt ihn nach Dubai, wo das Außenteam der Task Force in der Bauruine eines Luxushotels gegen die Waffengeschäfte der aus dem Irak stammenden Jinn vorgehen soll. Es wird mysteriös: Eine dritte Gruppe, schwer bewaffnet, augmentiert, Gesichter hinter Goldmasken verborgen, versucht, an den Hubschrauber der Jinn zu kommen, inklusive der Ladung von Augmentierungen an Bord. Das muss verhindert werden - aber wo sind die Gegner in dem Sandsturm, der plötzlich alles in einen braunen Brei verwandelt, überhaupt?

Ein schwieriges Spiel, das frustrieren kann

Die erste Mission ist zugleich Tutorial, und das ist dringend nötig. Auch wer vor fünf Jahren den Vorgänger "Human Revolution" gespielt hat, muss sich erst wieder in die Spieltechnik gewöhnen, an die verschiedenen Strategien, wie sich die Gegner ausschalten lassen: Anschleichen, um sie mit einem Schlag bewusstlos zu machen oder mit einer Klinge aus dem Unterarm zu erstechen? Mit einem wilden Feuergefecht? Welche Waffe, welche Augmentierung ist am besten geeignet?

Vor allem aber ist die Frage: Wo entlang führt der beste Weg? Denn meist bietet das Spiel immer noch irgendwo einen Lüftungsschacht an, um im Verborgenen einen Teil der Strecke zu bewältigen. So lange die Energie reicht, kann Jensen sogar unsichtbar sein. Eine weitere Möglichkeit kann sein, sich in die Sicherheitssysteme von Wohnungen zu hacken, um verschlossene Türen zu öffnen. Und dann sind da schließlich noch Mauern und Dächer, die immer wieder einen Weg an Gegnern vorbei oder in Gebäude bieten.

Es ist schnell klar, dass "Mankind Divided" ein relativ schwieriges Spiel ist, selbst auf der leichtesten Stufe. Die vielen verschiedenen Möglichkeiten machen ein komplexes Gameplay notwendig. Nicht nur auf die Munition muss geachtet werden - selbst Betäubungsschläge verbrauchen Energie, und ohne entsprechende Biozellen ist man schnell ziemlich hilflos. Dann bleibt manchmal nur noch die Möglichkeit, Gegenstände herumzuwerfen - davon gibt es überall genug - um Gegner abzulenken, zu fliehen und die Aufgabe zu verschieben, bis man bei einem Händler wieder Nachschub gekauft hat.

Hacken ist anspruchsvoll

Auch das Hacken, das sich mit nachgerüsteter Augmentierung und gelegentlich herumliegender Extra-Software vereinfachen lässt, ist eine größere Herausforderung als das Schlösserknacken mit Dietrich, das man aus anderen Spielen kennt.

Je nachdem, was Spieler erwarten, kann "Mankind Divided" deshalb frustrieren oder eine tolle Herausforderung sein. Auf welchem PC ist das richtige Passwort für die Tür mit der hohen Sicherheitsstufe zu finden? Oder befindet es sich auf einem der PDAs, die herumliegen? Wie kommt man nach dem unbefriedigenden Gespräch mit dem Chef der tschechischen Mafiafamilie noch an das dringend benötigte Upgrade für die Augmentierungen in dessen Safe? Und welche spezielle Fähigkeit sollte überhaupt als nächste verbessert werden?

Antworten auf solche Fragen, aber auch interessante Informationen über die Welt, in der Jensen sich bewegt, lassen sich finden, wenn man nur ein wenig sucht. Prag etwa stellt ein riesiges Szenario bereit, in dem jeder Winkel Hinweise auf die kleinen und großen Dramen der Bevölkerung birgt. Ein Gespräch kann den Einstieg in eine der Nebenmissionen liefern. Die sind kaum weniger interessant und anspruchsvoll als die eigentliche Suche nach den Hintermännern des Terrors. Unvermittelt arbeitet man etwa für eine kleine Untergrundorganisation, die die Machenschaften des weltbeherrschenden Medienkonzerns Picus aufdecken will.

Natürlich mischen auch die Illuminaten wieder mit

Alles in allem ist "Mankind Divided" einerseits ungeheuer komplex und bietet ausgehend von seinen Vorgängern eine der interessantesten und tiefgründigsten Hintergrundgeschichten, die in der Welt der Videospiele zu finden sind. Da sind die verschiedenen Fraktionen wie die Task Force 29, die Hacker des Juggernaut-Kollektivs, der Jensen sich verbunden fühlt, sein alter Chef David Sarif, der plötzlich wieder Kontakt mit ihm aufnimmt, und natürlich mischen auch die Illuminaten wieder mit. Bei keiner Organisation ist sicher, dass der erste Eindruck der richtige ist. Andererseits lotet das Spiel den Hintergrund weniger tief aus als der Vorgänger. Und das Ende schließt die Geschichte nicht befriedigend ab, sondern lässt den Weg offen in die noch düsterere Welt des ersten Deus Ex, das im Jahre 2057 spielt.

Die Cyber-Punk-Umwelt, in der der Spieler sich bewegt, ist beeindruckend detailreich, die Grafik wird auch von etwas älteren Rechnern gut verkraftet. Die Figuren allerdings bewegen sich manchmal etwas künstlich, die Synchronisation liegt immer wieder daneben. Im Vergleich zum Vorgänger sind die Verbesserungen hier so gering, dass jeder, der "Human Revolution" noch nicht gespielt hat, getrost zuerst nach diesem Spiel greifen kann.

Noch einmal Adam Jensen sein

Für Fans von Deus Ex ist "Mankind Divided" dagegen einfach die Möglichkeit, noch einmal Adam Jensen zu sein. Im Vergleich zu den meisten verfügbaren Ego-Shootern ist das für intellektuell anspruchsvolle Spieler auf jeden Fall eine attraktive Aussicht. Insbesondere für jene, die auf tödliche Gewalt gern mal verzichten. Denn mehr noch als die Vorgänger betont "Mankind Divided" diese Möglichkeit.

Wem übrigens die Rollenspiel-Elemente zu viel sind, kann den Zusatzmodus "Breach" ausprobieren. Hier ist der Spieler ein Hacker, der seine Missionen im Cyberspace erfüllt. Es geht darum, geheime Daten von den Servern einer Bank zu stehlen, die auch im eigentlichen Spiel vorkommt.

"Deus Ex: Mankind Divided" kann zwei, vielleicht drei Dutzend Stunden oder mehr dauern, je nachdem, in welchem Schwierigkeitsgrad gespielt wird und wie intensiv man die Umwelt erkundet. Es ist freigegeben ab 18 Jahre und lässt sich auf Xbox One, Playstation 4 und PC spielen.

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