Design in iOS 7:Digitale Fastenzeit

iOS 7, das neue Betriebssystem für iPhones und iPads ist ein Meilenstein des Designs: Verschwunden sind die Symbole in 3-D, die Wölbungen und Schatten. Die Menschen fühlen sich im Digitalen so zu Hause, dass nichts mehr an die Realität erinnern muss.

Von Jörg Häntzschel

Der grüne Filz ist weg, das handgenähte Schweinsleder, das hölzerne Bücherregal. Und der Kompass sieht auch nicht mehr aus wie der von Captain Jack Sparrow. Sehr gut. Mit dem neuen Betriebssystem iOS7 für iPhone und iPad, das heute veröffentlicht wird, hört Apple auf, dem Benutzer Analoges vorzugaukeln, wo nur Digitales ist. Das neue iOS soll ehrlich, luftig, erwachsen sein - "flat".

Wie bitte? Flach? War flach nicht eben noch schlecht, altmodisch? Hatten wir uns nicht eben erst aus der gutenbergschen Flachheit erhoben in eine Welt, in der sich uns alles verführerisch entgegenwölbte wie lauter feuchte Lippen? War das Aufpumpen sämtlicher Konzernlogos der Welt nicht noch in vollem Gange? Doch ja - flach sind diese Icons tatsächlich, um nicht zu sagen banal. Der alte Homescreen verhält sich zum neuen wie eine raffiniert ausgeleuchtete Theaterbühne zu einer unter fahlem Arbeitslicht. Der ganze Zauber aus scheinbaren Lichtreflexen, vermeintlichen Schlagschatten, vorgetäuschten Spiegelungen, all diese glänzenden Bonbons: verschwunden zugunsten matter Flächen in Farben, die allesamt die Freundlichkeit von Türkis haben. Die fotorealistischen Miniaturen, der E-Mail-Briefumschlag vor Magritte-Himmel, die warme Sonne: radikal abstrahiert zu Piktogrammen im Stil der "Clip Art" früher Word-Versionen.

Wie radikal das neue Design ist, zeigt sich noch deutlicher innerhalb der Apps. Bislang kompensierte das iPhone die anfangs irritierende Doppelrolle des Touchscreen als Leinwand und Armaturenbrett, indem es Information und Kontrollfunktionen grafisch unterschied. Fast überall, wo es etwas zu drücken, wählen, wischen gab, erschienen simulierte Tasten.

Design in iOS 7: Das neue Symbol für den Apple-Browser Safari.

Das neue Symbol für den Apple-Browser Safari.

Grafische Hilfestellung wird verweigert

In iOS 7 hingegen fehlt nicht nur die Vertiefung dieser Schaltflächen, Grafik wird häufig durch Text ersetzt, am auffälligsten auf dem Start-Screen, wo nur noch ein subtiler Lichteffekt darauf hindeutet, dass der Finger hier nach rechts fahren soll. Ein neuer Kalendereintrag erfordert die Berührung eines schlichten "+", das so filigran in der Ecke steht, dass man es schon aus Rücksicht auf die Größenverhältnisse nur zögernd mit dem Finger zu berühren wagt.

Das Beherrschen der Klaviatur des Smartphones wird also vorausgesetzt, grafische Hilfestellung wird verweigert. Dass damit das Einstiegsalter der iPhone-Nutzer über das Kleinkindalter steigen dürfte, ist das eine. Schwerer wiegt, dass sich auch routinierte User zunächst fühlen werden, als habe man ihnen die Wände ihrer Wohnung weggenommen.

Das alte iOS mit seinen Skeumorphismen, wie die digitalen Trompe-l'œil-Effekte heißen, war nichts anderes als die konsequente Weiterentwicklung der grafischen Benutzeroberfläche, die Steve Jobs mit dem Macintosh-Computer zum Standard gemacht hatte. Von der Metaphorik der "Ordner" und des "Papierkorbs" führte ein direkter Weg zur Notiz-App, die aussah wie ein Notizblock, samt fransiger Abrisskante. Es ging darum, dem Benutzer das neue digitale Gerät vertraut zu machen, indem man dessen Funktionen mit Reminiszenzen an die Gegenstände der Analogwelt kostümierte, die gerade obsolet geworden waren. Ein fauler Trick natürlich, doch er funktionierte. In den gelackten, das Kind in uns ansprechenden Oberflächen der Apple-Ikonografie fühlte man sich aufgehoben und abgesichert.

Dieses ikonografische Händchenhalten sei nicht mehr nicht nötig, hatten schon seit längerem viele gefunden. Und so begeisternd die Hyperpräsenz der Grafik anfangs war - sie war mit der Zeit peinlich geworden wie eine übertrieben geschminkte Frau. Steigern ließen sich die Effekte ohnehin nicht mehr. Dass die Konkurrenz sich von der 3-D-Seligkeit längst abgewandt hatte, erzeugte zunehmenden Druck. Erst kam Google mit Android, dann preschte Apples alter, schlechter Epigone Microsoft mit dem radikal flachen Windows 8 vor.

Jubel in der Design-Welt

Der Bruch mit der alten Designideologie gelang erst nach einem Apple-internen Machtkampf. Nach dem Tod von Steve Jobs setzte sich Jony Ive, der gefeierte Hardware-Virtuose, gegen Scott Forstall durch, der für das Design der Software verantwortlich war. Als Ives Zuständigkeit auf beide Sphären der Apple-Welt ausgeweitet wurde, jubelte die Design-Welt.

Ive, der seit den bunten iMacs alle Apple-Geräte gestaltet hat, ist der Held der Gestalterzunft. Es ist nicht nur sein Verdienst, dass das Erbe von Bauhaus, Ulmer Schule und Dieter Rams bis heute weiterlebt. Sondern auch, dass Apple als einziger Weltkonzern bei der Gestaltung seiner Produkte beweist, dass es Alternativen gibt zu Retro-Herzigkeit auf der einen und jener zähnefletschenden Fiesheit auf der anderen Seite, die das Fehlen eines zeitgenössischen ästhetischen Ideals überspielen soll. Nicht Steve Jobs Nachfolger Tim Cook ist dessen wahrer Erbe, sondern der sensible Ive, der so langsam und suchend spricht, als entwerfe er auch jedes Wort vor dem Aussprechen neu. Umso irritierender ist, dass das Ergebnis von so viel Geschichtsbewusstsein und Geschmack so enttäuscht.

Was Ive mit seinem Hardware-Design will, sieht man auf den ersten Blick. Intelligenz, Funktionalität, Langlebigkeit, Gefälligkeit. Worauf er mit seiner Software-Ästhetik hinauswill, weiß er offenbar selbst nicht. Das alte iOS hatte einen klaren, wenn auch fragwürdigen Auftrag: Es simulierte die Geräthaftigkeit des iPhone, am klarsten zu sehen bei der Rechner-App. Dem neuen iOS7 hingegen fehlt so eine Idee. Einerseits stampft es seine Icons in die Zweidimensionalität, andererseits lässt es sie dank eines neckischen Levitationseffekts auf der Homescreen schweben.

Warum nur diese grellen Farben?

Und warum die Widersprüchlichkeit bei der Gestaltung der Icons? Mal wurde die bisherige Version vereinfacht, so bei Mail und iTunes. Mal wurden unnötige Details ergänzt wie bei der Facetime-Kamera. Mal war extreme Schlichtheit das Prinzip wie beim Telefonhörer, mal verliert sich die Grafik in Einzelheiten wie beim Zeitungskiosk. Das alte Kamera-Icon sah genauso aus wie die iPhone-Linse selbst. Nun wurde sie durch das Bild einer altmodischen Spiegelreflexkamera ersetzt. Das Game Center entging rätselhafterweise der Flatness-Ideologie: auf dem Icon blubbert es, hübsch beleuchtet. Und warum nur diese Farben, die so grell und dabei so unfrisch aussehen?

2007, als das iPhone auf den Markt kam, hieß es, der Blackberry sei protestantisch, das iPhone katholisch. Angesichts von so viel barockem Zierat leuchtete das sofort ein. Doch nun beginnt auch für das iPhone die Fastenzeit. Es ist Aschermittwoch. Auf der Homescreen liegt plattgetrampelt noch das Konfetti vom Vorabend herum, doch einen Wischer weiter hört der Spaß auf. In den ersten iOS-Versionen sah man vom Himmel aus wie Gott auf die Erde. Auf der Startscreen von iOS 7 ist der Blick demütig von unten ins Firmament gerichtet.

Ives grafische Hungerkur entschlackt das iPhone, doch der Funktionalität hilft das nicht. Mit seiner Präferenz für Typografie über Grafik agiert er genauso dogmatisch wie sein Vorgänger. Eine brauchbare, eigenständige Gestalt für die digitalen Fortsätze unserer Körper hat Ive nicht gefunden. Und Hilfe, unser noch immer ungeklärtes Verhältnis zu ihnen zu definieren, leistet er auch nicht.

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