Debattenbeitrag zum Urheberrecht:Warum Apple und Google eine Bedrohung sind

Heute organisieren Künstler, Fans und Unternehmen ihre eigenen Öffentlichkeiten und so wuchern viele neue kulturelle Nischen. Doch Google, Apple, Facebook und Co. bedrohen diese - durch den Aufbau kommerzieller Hierarchien.

Felix Stalder

Die kulturellen Ökonomien des Internets werden von zwei unterschiedlichen, ja sogar entgegengesetzten Dynamiken bestimmt. Zum einen können wir ein Aufblühen neuer kultureller Gemeinschaften und horizontaler Organisationsformen beobachten. Zum anderen erleben wir die Entstehung sozialer Fabriken, in der jede unserer Handlungen Arbeit für den Profit der Eigentümer der hochgradig zentralisierten Plattformen darstellt.

Die Digitalisierung hat den Kreis derjenigen, die Inhalte aller Art produzieren, vertreiben und nutzen, enorm verbreitert. Die Produktionskosten vieler kultureller Werke sind gesunken - der Laptop, der als Musikstudio dient und ein umfangreiches, jedoch illegal erworbenes, Archiv der Musikgeschichte enthält, steht exemplarisch für diese Entwicklung. Es stehen mit Suchmaschinen, sozialen Netzwerken und kooperativen Plattformen Werkzeuge bereit, die ermöglichen, diese enorme Vielfalt an kulturellem Material zu navigieren.

Eine Folge davon ist unglaubliches Wuchern der kulturellen Nischen. Hatte früher jedes Dorf seinen eigenen Dialekt, so hat heute jeder Dialekt sein eigenes Dorf, jede kulturelle Praxis seine eigene Gemeinschaft. Künstler, Fans und Unternehmen organisieren ihre eigenen Öffentlichkeiten, in denen spezialisierte kulturelle Produkte zirkulieren und sich entsprechende Referenzsysteme ausbilden.

Bindungskraft und Nähe

Soziale Medien sorgen für Bindungskraft und Nähe - oder zumindest deren Simulation. Die klassischen Massenmedien können dies strukturell nicht leisten. Der "Long Tail", das weite Feld marginaler Kulturproduktion, wird nicht nur länger, sondern auch nachhaltiger, weil neue Verwertungsmöglichkeiten entstehen - wenn etwa Fans die Tourneen von Musikern (mit)organisieren. Es lässt sich durchaus leben in der Nische.

Hier entsteht eine neue soziale Ökonomie. Diese unterscheidet sich von einer kommerziellen Ökonomie dadurch, dass Geldflüsse eingebettet sind in komplexe soziale Austauschbeziehungen, die nicht nur die geldwertigen Dimensionen kultureller Leistungen berücksichtigen und die das Produktive und das Reproduktive neu verbinden. Eine solche Einbettung kultureller Werke in ihre sozialen Kontexte setzt kontinuierliche, offene Kommunikation vieler mit vielen voraus. Das lässt sich an den Wühltischen der Kaufhäuser nicht realisieren, aber genau das ermöglichen digitale Medien.

Auch wenn viele dieser kulturellen Gemeinschaften noch klein sind, muss das nicht zwingend so sein. Wikipedia etwa ist groß. Das aktuelle Jahresbudget beträgt rund 28 Millionen Dollar. Dabei hat die Wikipedia Foundation weder ein Produkt noch Kunden, noch ist sie subventioniert von der öffentlichen Hand. Es ist eine soziale Ökonomie: Eine große Gemeinschaft von Personen und Institutionen trägt dazu bei, dass Wikipedia existieren kann. Die Art, wie Beiträge zu diesem Vorhaben gemacht werden können, ist vielfältig. Rund eine Million Menschen zahlten beim letzten Spendenaufruf insgesamt mehr als 20 Millionen Dollar ein.

Das sind keine mildtätigen Spenden mit dem typischen Verhältnis zwischen Spender und Empfänger. Wikipedia bittet, aber bettelt nicht. Wer zahlt, wird aber auch nicht als Kunde betrachtet. Vielmehr sind Spenden Teil einer kollektiven Leistung. Wer sich nicht als Teil dieses Projekts versteht, ist nicht motiviert, etwas beizutragen - weder einen Texteintrag noch eine Spende. Deshalb muss er aber nicht ausgeschlossen werden, denn das digitale Gut wird ja durch die Nutzung nicht verbraucht. Ganz im Gegenteil. Kultur - sofern sie nicht als Statussymbol verstanden wird - gewinnt immer mit ihrer Nutzung an Wert.

Gänzlich anders funktioniert die zweite zentrale Dynamik. In den letzten zehn Jahren ist eine hochgradig zentralisierte Infrastruktur entstanden. Mit Apple, Facebook, Google, Twitter & Co. sind mächtige Akteure einer neuen Industrie entstanden, die nicht mehr auf die Produktion und Vervielfältigung kultureller Inhalte ausgerichtet sind, sondern auf das Herstellen und Verwalten von Beziehungen, sei es zwischen Personen oder zwischen Personen und Gütern.

Hier, auf der Ebene der Plattformen, wirken ökonomische Größenvorteile der Vielfalt entgegen. Zum einen, weil Grundinvestitionen in solche Plattformen hoch sind, aber es wenig Kosten verursacht, weitere Nutzer aufzunehmen. Zum anderen weil Netzwerkeffekte dazu führen, dass große Plattformen attraktiver sind als kleine. Es entstehen selbstverstärkende Trends der Konzentration. Wer Facebook heute beitritt, tut das in erster Linie, weil alle andere bereits dort sind, und weil immer mehr Prozesse des Alltags dorthin verlagert werden.

Problematische Entwicklung

Diese Entwicklung ist problematisch. Es entstehen neue Monopole, die ihre Marktmacht zu Ungunsten der Anbieter und Nutzer kultureller Produkte ausnützen. Sowohl Apple, mit iTunes und App Store, als auch Google, besonders mit Google Books, zeigen deutlich, dass die Inhaber dominanter Plattformen sehr viel Macht gegenüber ihren Nutzern (Produzenten und Rezipienten) gewonnen haben, und sich auch nicht scheuen, diese Macht in ihrem eigenen Interesse einzusetzen.

Während diese Form des Monopols konventionell ist, haben andere Quellen der Macht eine neue Qualität erreicht. Digitale Kommunikation kann sehr viele Spuren hinterlassen und die Plattformen sind dahin konstruiert, um die Menge und Qualität dieser Spuren zu optimieren. Dadurch gelingt es den Eigentümern der zentralen Plattformen, detailliertes, umfassendes Wissen über die Dynamiken der Gesellschaft in Echtzeit zu erlangen.

Dieses ist klassisches Herrschaftswissen, denn mit dem zeitnahen Wissen über die Dynamiken sozialer Prozesse gehen Möglichkeiten des Eingriffs einher. Besonders Suchmaschinen erweisen sich nicht nur als Mittel der Echtzeitbeobachtung, sondern liefern auch ganz neue Grundlagen zur Vorhersage kollektiven Handelns. So lassen sich etwa die Ergebnisse des für Blockbuster-Filme kommerziell so wichtigen Eröffnungswochenende erstaunlich gut aus Suchanfragen der Vorwochen prognostizieren.

Drei Klassen an Produkten

Man kann nur vermuten, auf welche anderen Gebiete sich dieselben statistischen Methoden noch anwenden lassen. Dass diese ungenutzt bleiben, sollte man nicht erwarten. Diese Plattformen sind soziale Fabriken, gebaut um immer größere Teile der Aktivitäten der Nutzer so zu organisieren, dass sie Produkte herstellen, mit denen die Eigentümer dieser Räume Handel betreiben und deren Mehrwert sie sich aneignen können.

Die Produkte lassen sich in drei Klassen einteilen: erstens die Profile der Nutzer, zweitens die Vermittlung des Zugangs zu den Nutzern und drittens die Generierung von Wissen über Vergangenheit, Gegenwart sowie nahe Zukunft der Nutzer. All diese Produkte dienen dazu, die Aktivitäten der Nutzer in eine für die Käufer der Produkte gewünschte Richtung hin zu lenken. Ob diese Beeinflussungsversuche, dort wo sie sichtbar werden, immer sehr effektiv sind, ist eine andere Frage.

Beruhen die kulturellen Gemeinschaften auf kontinuierlicher, offener Kommunikation vieler mit vielen, so beruhen die sozialen Fabriken auf einer klaren Hierarchie zwischen Betreiber und Nutzer, zwischen dem fabrikartigen Backend, von Betriebsgeheimnissen geschützt, und dem sozialen Frontend mit all seinen netten Features. Damit dringt paradoxerweise eine kommerzielle Logik in immer mehr Bereiche sozialer Interaktion ein, genau in dem Moment, wo sie sich aus der kommerziellen Umklammerung der alten Kulturindustrien zu lösen scheint.

Es lauert also im Kern der digitalen Kultur ein Widerspruch zwischen divergierenden sozialen Logiken, kulturellen Praktiken und Wertesystemen. Dieser Konflikt ist heute noch sehr unartikuliert, weil sich beide noch in einer Phase des starken Wachstums befinden. Beide können noch expandieren, ohne sich ins Gehege zu kommen. Das wird aber nicht ewig so bleiben.

Felix Stalder ist Professor für digitale Kultur an der Zürcher Hochschule der Künste und forscht am World-Information Institute in Wien.

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