Debatte um Netzneutralität:Es geht um mehr als um Technik

Datennetz

Überholspur im Netz: Gegen Geld oder Umsatzbeteiligung werden bestimmte Daten künftig schneller durch die Leitungen geschickt.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Europa hat sich gegen eine strikte Netzneutralität entschieden, ein Zwei-Klassen-Internet droht. Doch noch ist es nicht zu spät.

Gastbeitrag von Jürgen Brautmeier

Europa hat sich gegen eine strikte Netzneutralität entschieden - das ist bedauerlich. Knapp zwei Jahre wurde debattiert, gerungen und an Formulierungen für den Verordnungsentwurf gefeilt. Am vorletzten Dienstag wurde der im sogenannten Trilog zwischen EU-Kommission, nationalen Regierungen und Europäischem Parlament ausgehandelte Kompromiss mit einer Zweidrittelmehrheit im Europäischen Parlament verabschiedet.

Weniger als vierundzwanzig Stunden später meldete sich die Deutsche Telekom zu Wort und bestätigte mit einem Vorschlag für eine Internetmaut alle Befürchtungen, dass es ein Zweiklassen-Internet unterschiedlicher Qualität geben wird: Kleine Unternehmen, die kein Geld für schnelle Datendurchleitung haben, könnten mit "einer Umsatzbeteiligung von ein paar Prozent" bezahlen, lautete der Vorschlag. Wie ungeschickt, ging es doch in der Diskussion genau darum, dass Spezialdienste nur eine Ausnahme und in öffentlichem Interesse sein sollten.

Der Autor

Jürgen Brautmeier, 61, ist Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen. Derzeit ist er zugleich Vorsitzender der Direktorenkonferenz der 14 deutschen Landesmedienanstalten.

Es muss eine Gleichberechtigung im Netz geben

Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, betont: "Qualitätsdifferenzierung ist keineswegs eine Revolution im Netz, sondern die natürliche Weiterentwicklung." Diese Meinung lässt sich teilen, wenn es um die Nutzung besonders großer Datenmengen geht. Denn das kann den Nutzer durchaus auch irgendwann mehr Geld kosten. Der Haken: Handelt es sich dabei um die Einspeisung von Inhalten, also um die Anbieterseite, dann ist dem keineswegs zuzustimmen.

Hier muss es eine Gleichberechtigung im Netz geben, denn es kann nicht sein, dass sich finanzstarke Marktteilnehmer Überholspuren im Internet kaufen können, die zulasten kleinerer Anbieter gehen. Es geht hier um klassische Vielfaltsfragen, also darum, dass die Angebote auch junger, innovativer Unternehmen einen möglichst gleichberechtigten "Durchlass" zum Smartphone oder PC des Endnutzers erhalten.

Es kann und darf ebenfalls nicht sein, dass ein Infrastrukturanbieter darüber entscheidet, welcher Inhalteproduzent im Markt bevorzugt wird, vor allem, wenn dessen Inhalte meinungsrelevant sein können. Zwar ist es eine hübsche Idee, dass die Telekom als Gegenleistung für den Zugang zur Überholspur im Rahmen einer Umsatzbeteiligung Start-ups berücksichtigen will. Aber ist es wirklich die Rolle des Transporteurs auszuwählen, wer erfolgsversprechende Inhalte anbietet und wer nicht? Wollen sich Start-ups überhaupt einen Umsatzanteil abhandeln lassen? Ist dieser Vorschlag nicht sogar ein Beweis dafür, dass im Netz unterschiedliche Klassen geplant sind, die mit dem offenen Internet konkurrieren und es als Ganzes infrage stellen?

Nur die Bundesnetzagentur zu Verhandlungen einzuladen, genügt nicht

Die Verordnung ist verabschiedet, daran lässt sich zunächst einmal nichts ändern. Relevant werden nun die Richtlinien des "Gremiums Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation" (GEREK), das die Verordnung in ihren Einzelheiten genauer definieren soll. Dieses Gremium setzt sich aus Vertretern der jeweiligen "nationalen" Regulierungsbehörden aller EU-Staaten zusammen.

Im Gegensatz zu den anderen europäischen Ländern, bei denen eine einzige Institution die Regeln für Telekommunikation und audiovisuelle Medieninhalte aufstellt, sind in Deutschland die Zuständigkeiten getrennt. Es gibt auf Bundesebene die Bundesnetzagentur (für die Telekommunikation) und auf Länderebene die Aufsicht für die Medieninhalte. Bisher ist beim entscheidenden Gremium auf EU-Ebene, dem GEREK, nur die Bundesnetzagentur an dem wichtigen Prozess beteiligt, in dem die Netzneutralität umgesetzt wird.

Es soll ein "nationaler Regulierer" dabei sein - den es im föderalen Deutschland so nicht gibt. Daher genügt es nicht, dass nur die Bundesnetzagentur beteiligt ist. Nein, im Sinne des Grundgesetzes müssen auch die Freiheit der Meinung und die Vielfalt in den Verhandlungen eine Rolle spielen. Diese Rolle muss die Gemeinschaft der Landesmedienanstalten übernehmen.

Die öffentliche Debatte kommt zu spät

Die Landesmedienanstalten haben längst nicht mehr nur die Aufsicht über Fragen von Jugendschutz und Werbung im privaten Rundfunk, sondern auch bei Angeboten im Internet, die dem Rundfunk ähnlich sind. Sie verstehen sich als Aufsicht, die für inhaltliche Vielfalt eintritt. Das ist ein Aspekt, der in der bisherigen Debatte in Deutschland eine zu kleine Rolle spielt.

Denn Netzneutralität ist eben auch ein Thema von gesellschaftlicher Vielfalt und Offenheit. Und wer, wenn nicht die Medienanstalten mit ihrem Blick für Inhaltsvielfalt sollte die Position eines "Anwalts der Nutzer" einnehmen, der noch andere als rein wirtschaftliche Argumente vorbringt?

Oettinger gibt den Kritikern indirekt recht

Wenn es Spezialdienste im Netz geben soll, dann müssen sie möglichst eng definiert und begrenzt sein, damit Netzneutralität nicht ins Leere läuft und nur für einen kleinen Rest des Netzes gilt, sondern der Normalfall bleibt. Das ist unter den Gremien der Landesmedienanstalten und der ARD Konsens, die dazu eine gemeinsame Erklärung in Richtung Europa gesandt haben. Leider wurde dieses Signal überhört.

Wenn der zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger jetzt per Twitter seine Verwunderung über die Äußerungen von Timotheus Höttges äußert, gibt er dem Misstrauen der Kritiker am Verordnungsentwurf im Nachhinein recht. Und es ist gut zu wissen, dass er bereit ist, über eine "Nachbesserung" zu reden, wenn sich die Bedenken bestätigen sollten.

Die ablehnenden Kommentare in den deutschen Medien nach der Entscheidung in Brüssel, diese Kritik muss erlaubt sein, kommen leider zu spät. Was lange, zu lange ein Thema für Spezialisten und Netzaktivisten war, hat plötzlich eine breitere Öffentlichkeit erreicht - nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist. Auch die AG Netzneutralität der Bund-Länder-Kommission für eine konvergente Medienordnung hat bisher noch nicht getagt, ein symptomatischer Beleg für die mangelnde öffentliche Aufmerksamkeit und politische Bedeutung des Themas hierzulande.

Die Bundesländer müssen jetzt deutlich machen, dass sie bei der Frage der Netzneutralität ihrer wichtigen Aufgabe der Sicherung von Vielfalt und freiem Zugang zu meinungsbildenden Medieninhalten nachkommen wollen. Sie müssen darauf dringen, dass dies in die Arbeit des GEREK einbezogen wird, und das sofort. Die Medienanstalten müssen mit an den Tisch.

Sonst werden die anstehenden Netz-Richtlinien von deutscher Seite wieder von technischen und wirtschaftlichen Interessen bestimmt, und die Vielfaltssicherung wird außer Acht gelassen. Das dürfen die Bundesländer nicht zulassen.

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