Debatte um Leistungsschutzrecht:Streit mit Kettensäge statt Florett

In der Diskussion um die "Lex Google" gewinnen die Emotionen den Kampf gegen die Fakten. Die Verlage haben sich einen ideellen Schaden zugefügt, der nur mühsam wiedergutzumachen ist. Das umstrittene Gesetz könnte auch ihnen mehr schaden als nutzen.

Ein Kommentar von Johannes Boie

Am Mittwoch wurde im Rechtsausschuss des Bundestages über ein Gesetzesvorhaben verhandelt, das den Spitznamen "Lex Google" bekommen hat. Es waren neun Sachverständige und Vertreter aus Branchen eingeladen, die - wie Google - von dem Gesetz betroffen sein könnten. Ein Vertreter von Google war nicht eingeladen. Das ist eine neuer, absurder Höhepunkt in der Debatte um das geplante Leistungsschutzrecht.

Man könnte das alles längst im Wohnzimmersessel als Unterhaltungsprogramm genießen, mit einem Bildschirm, auf dem Twitter läuft. Dort zofft sich zum Beispiel Google-Sprecher Kay Oberbeck mit den Strategen des Axel-Springer-Verlags, Christoph Keese und Dietrich von Klaeden. Im Sessel sitzend bräuchte man auch einen Bildschirm mit geöffnetem Browser, um die Beiträge vieler geifernder Blogger zu lesen, die im Kampf gegen das Leistungsschutzrecht längst das Florett gegen die Kettensäge eingetauscht haben. Und wichtig wären noch ein paar Tageszeitungen, in denen in den vergangenen Monaten zum Teil grob verfälschte Aussagen zum Leistungsschutzrecht erschienen sind und Interviews mit "Experten", die sich gleichzeitig als Lobbyisten auf der einen oder anderen Seite engagieren. Und ein paar Chips wären noch gut.

Ja, man könnte drüber lachen, wäre die Sache nur inhaltlich nicht so ernst, wäre das Niveau der Diskussion in weiten Teilen nicht so erbärmlich niedrig. Davon ausgenommen sind nur wenige Akteure, wie zum Beispiel die naturgemäß parteiische, aber sachorientierte "Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht" (Igel).

Verleger suchen nach Weg, im Internet Geld zu verdienen

Ansonsten aber: Längst kann jedes Argument für das Leistungsschutzrecht in einer Tageszeitung von Bloggern als "Verlagsstrategie" der Zeitungsbesitzer verdammt werden, längst fordert Google seine gesamte Nutzerschaft und Tausende Leser von Zeitungen in Anzeigen dazu auf, "ihr Netz" zu "verteidigen", als ginge es um globale Zensur in chinesischem Stil. Und längst beruft sich auf der anderen Seite der Verband deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) in seinen öffentlichen Statements auf "den vom deutschen Volk gewählten Bundestag", ohne dass im Parlament irgendeine Entscheidung zu dem Gesetzesvorhaben gefällt worden wäre. Eine Auseinandersetzung ist also schon entschieden: Die Emotionen haben den Kampf gegen die Fakten gewonnen.

Was um alles in der Welt ist das für ein Gesetzesvorschlag, der die Gemüter so dermaßen erhitzt und wie konnte es dazu kommen? Geplant war das Leistungsschutzrecht schon im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP im Jahr 2009, ein Gesetzesentwurf ging im August 2012 durch die Regierung und landete schließlich Ende 2012 im Bundestag. In der Regierung läuft die gesamte Initiative unter dem Stichwort "Schutz von Presseerzeugnissen im Internet". Doch im Grunde geht es darum, dass die deutschen Verleger von Zeitungen und Zeitschriften nach einem Weg suchen, im Internet Geld zu verdienen.

Google verdient im Netz bereits sehr viel Geld und bietet unter anderem einen Nachrichtendienst unter der Marke "Google News" an. Dort können Leser Nachrichtenangebote aus nahezu allen deutschen Verlagen finden. Die einzelnen Texte sind jeweils auf der Google-Seite mit einem kleinen Textanriss versehen, in der Fachsprache heißen diese Sätze "Snippet". Leser, die auf das Snippet klicken, landen dann auf den Internetangeboten der Verlage, wie zum Beispiel auf spiegel.de oder auch diesem Angebot, sueddeutsche.de.

Gesetzesentwurf ist handwerklich ungenau

Mehrere Verlage, allen voran der Berliner Springer-Verlag, aber auch der Süddeutsche Verlag, in dem die Süddeutsche Zeitung erscheint, möchten, dass Google für die Snippets künftig bezahlen muss. Was sich die Verlage also schaffen wollen, ist ein Geschäftsmodell per Gesetz.

Tatsache ist, dass Google derzeit sehr viele Besucher auf die Webseiten der Verlage schickt, und dabei nur sehr kleine Textausschnitte verwendet. Würde das Leistungsschutzrecht wie geplant kommen, wäre es vorstellbar, dass Google die Leser einfach nicht mehr auf die Seiten der Verlage weiterleitet. Das wäre dann für deren Nachrichtenportale schlecht, denn weniger Leser bedeuten weniger Reichweite und damit auch weniger Werbeerlöse.

Außerdem äußern Urheberrechtsexperten signifikante, grundsätzliche Kritik an dem Vorhaben, sie sehen die Kommunikationsfreiheit gefährdet. Auch handwerklich ist der Gesetzesentwurf ungenau: Welche Konzerne außer Google noch betroffen wären, wie genau eine Vergütung der Snippets aussehen könnte und nach welchen Kriterien ein Snippet kostenpflichtig oder gratis wäre - all dies ist offen. Zu befürchten steht dagegen, dass kleinere Verlage und einzelne Journalisten unter dem Gesetz sogar leiden könnten, nämlich dann, wenn Snippets je nach Anzahl der Klicks vergütet werden würden. Dies könnte die Marktmacht der großen Nachrichtenproduzenten, die mehr Klicks erzielen, massiv stärken.

Leser erwarten kritische Berichterstattung

Unabhängig davon, ob das Leistungsschutzrecht kommt oder ob es in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet wird: Der ideelle Schaden, den sich die Verlage in der Debatte zugefügt haben, muss mühsam wiedergutgemacht werden.

Über das Internet hinaus, wo die Diskussion vor allem stattfindet, hegen Leser Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Berichterstattung ihrer Blätter in Sachen Leistungsschutzrecht. Zum Teil, weil die Presse hier automatisch unter dem Verdacht steht, in eigener Sache parteiisch zu berichten - verdächtigt von einer Lesergeneration, die mit den hypertransparenten Maßstäben des Netzes aufgewachsen oder zumindest vertraut ist und die von Journalisten eine ostentativ kritische und distanzierte Berichterstattung erwartet, gerade dann, wenn die eigene Branche betroffen ist.

Zum Teil aber auch, weil es für Leser und Kritiker der Zeitungen und Nachrichtenportale eben sehr einfach ist, Argumente für das Leistungsschutzrecht als Verlagsstrategie zu geißeln, anstatt sich inhaltlich mit der Gegenseite auseinanderzusetzen.

Das Vertrauen muss wiederhergestellt werden. Schon alleine, damit es den Journalisten wieder möglich ist, ohne Verbindungen zur Leistungsschutzrecht-Diskussion über Google zu berichten. Denn das ist ganz sicher auch im Interesse aller Internet-Nutzer.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: