Debatte über Urheberrecht:Heiliger Firefox

Vom christlichen Mythos in die digitale Gegenwart: Eine Wolke war früher Emanation des Heiligen, heute redet man von der "Cloud". Und der Katechismus für das Internet ist das Urheberrecht. Dessen Gegner behaupten, es sei in der finalen Existenzkrise. Es wäre wohl das erste Mal in der Menschheitsgeschichte, dass das Recht vor einer neuen Technik kapitulieren müsste. Und es wäre eine Katastrophe für die Gesellschaft.

Heribert Prantl

Weihnachten, Ostern, Pfingsten: Von den drei großen christlichen Festen ist Pfingsten das geistreichste. Im Mittelpunkt steht der Heilige Geist, eine Kraft, die in den Menschen fährt und ihn verändert. Die Veränderung in biblischer Zeit bestand darin, dass die Anhänger des Jesus sich fünfzig Tage nach Ostern auf einmal wieder auf die Straße trauten und dort zu predigen begannen. Pfingsten gilt daher als Geburtstag der Kirche. So viel zum Kirchlichen.

Neues Fenster zur Browser-Welt - Ausprobieren kann sich lohnen

Womöglich holt man sich mithilfe eines Webbrowsers neues Wissen, vielleicht auch die Kraft zur Veränderung. Die Bedeutung, die das Internet und der Zugriff darauf hat, erklärt die Heftigkeit des Streits, der darüber geführt wird.

(Foto: dpa-tmn)

Mit diesem Heiligen Geist können heute immer weniger Menschen etwas anfangen. Die alte Symbolik ist verbraucht: Da waren, so die Apostelgeschichte, Feuerzungen, die sich unter gewaltigem Brausen auf jeden Menschen setzten und ihn erleuchteten. Das Wort vom Brausen allerdings führt vom christlichen Mythos in die digitale Gegenwart: Es weiß zwar heute kaum einer, was der Heilige Geist, aber fast jeder, was ein Browser ist: Man braucht ihn zum Surfen im Internet. Der Browser ist ein Computerprogramm, das einem das World Wide Web aufsperrt.

Urheber, Recht und 21. Jahrhundert

Anders gesagt: Ein Browser macht den Menschen schlauer. Womöglich holt man sich mit seiner Hilfe neues Wissen, vielleicht auch die Kraft zur Veränderung. Der brausende Geist heißt heute Internet Explorer, Mozilla Firefox, Safari oder Google Chrome; das sind die Namen, die die Softwarehersteller ihren Webbrowsern gegeben haben. Die Bedeutung, die das Internet und der Zugriff auf die dort gespeicherten Schätze hat, erklärt die Heftigkeit des Streits, der darüber geführt wird: Es handelt sich um die Glaubensstreitigkeiten des neuen Zeitalters. Die Sprache ist bezeichnend: Eine Wolke war früher Emanation des Heiligen, heute redet man von der "Cloud", wenn es um das im Irgendwo gespeicherte Datenmaterial geht.

Das Urheberrecht, über dessen Zukunft derzeit fast hysterisch gestritten wird, ist der Katechismus für das Internet, eine Zusammenfassung der Regeln, die bei dessen Nutzung gelten. Sie schaffen die Infrastruktur der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Es gibt zwei Grund- und Ausgangspositionen: Die einen wollen den freien, möglichst auch kostenfreien Zugriff auf möglichst alles, was sich im Internet befindet - also so wenig Regeln wie möglich. Die anderen wollen, dass möglichst viel möglichst gut geschützt bleibt - also möglichst viele Regeln, auf dass demjenigen, der etwas erdacht, geschrieben, gefilmt, fotografiert oder komponiert hat, ein Recht an seiner Schöpfung auch und erst recht dann verbleibt, wenn es im Internet leicht kopiert werden kann.

Schon das Wort Kopie ist aber nicht mehr zeitgemäß und zeigt Glanz und Elend der neuen Zeiten: Kopien, wie sie das alte Copyright der analogen Epoche kannte, erreichten selten die Qualität des Originals; je öfter kopiert wurde, umso schlechter wurde die Kopie. Das war ein quasi natürlicher Schutz für den Schöpfer des Originals. Der Interessent kaufte sich letztlich doch das vom Berechtigten hergestellte ordentliche Produkt.

Diesen Schutz gibt es nicht mehr: In digitalen Zeiten schafft ein Mausklick, immer und immer wieder, die perfekte Kopie, die vom Original nicht zu unterscheiden ist - er produziert also eigentlich einen Klon; und noch der x-te Klon ist so gut wie das Original. Deshalb ist die Forderung all derer, die von ihres Geistes Arbeit leben, nach mehr Schutz und Gesetz so inbrünstig und drängend geworden. Weil aber die Klontechnik so simpel ist und viele Internetnutzer sehr kreativ damit umgehen, halten Radikalkritiker die Stärkung des Urheberrechts für einen untauglichen Versuch, die alten Zeiten wieder herbeizubeten und herbeizustrafen.

Eine Facebook-Seite im Wert von 15.000 Euro

Das Recht des schöpferischen Geistes, eine der großen Schöpfungen der Aufklärung, ist in einer Krise. Seine Gegner behaupten, es sei die finale Existenzkrise: Das Internet sei zu komplex, zu schnell und zu originell, um mit dem hölzernen Handschuh des Rechts gepackt zu werden. Es wäre aber wohl das erste Mal in der Menschheitsgeschichte, dass das Recht vor einer neuen Technik kapitulieren müsste. Das ist unwahrscheinlich und auch nicht wünschenswert; das wäre eine Katastrophe für die Gesellschaft. Diese träte ein, wenn sich das Recht wirklich als hölzerner Handschuh erwiese.

Ein Recht, das nicht sensibel sowohl den Interessen der Internetnutzer als auch denen der Urheber gerecht werden könnte, wäre erbärmlich. Um nicht ins Stadium der Erbärmlichkeit hineinzugeraten, muss das Recht zum Beispiel lernen, dass es die Internetwelt nicht einfach strikt in Konsumenten (also User) und Produzenten (also Urheber) trennen kann, sondern viele Nutzer zugleich konsumtiv und produktiv tätig, sie also "Prosumenten" sind - wenn sie aus ein paar Filmen, Bildern, Musiken etwas Neues schaffen oder eine schon existierende Geschichte fortschreiben.

Das alles ist nicht unlösbar. Es sieht auch fast jeder ein, dass es der Dichter nicht dulden muss, dass sein Doktor Schiwago auf einmal Held eines Pornofilms ist. Und der Schöpfer des rosaroten Panthers muss es sich nicht gefallen lassen, dass Neonazis seine Trickfigur als virtuellen Führer durch ihre Mörderwelt missbrauchen.

Recht war und ist immer ein Interessenausgleich. Das heißt aber nicht, dass bestehende krasse Illegalitäten, die Usus geworden sind (Benutzung der illegalen Tauschbörsen), einfach legalisiert werden sollen. Es gibt kein Recht auf kostenlose Konsumgüter, ganz gleich welcher Art. Es gibt ein Recht auf Zugang zu Informationen, nicht aber zu den Werken, die daraus gemacht werden. Das Urheberrecht als Arbeitsrecht der geistigen Arbeiter muss neu justiert und gesichert werden: nicht nur gegen die Klonierer, sondern auch gegen Großkonzerne und (Wissenschafts-)Verlage, die die Interessen ihrer Partner, also der Urheber, zu wenig beachten.

Vom Poesiealbum zu Facebook

Das Ringen um einen Interessenausgleich in Internetzeiten ist unter anderem wegen des Abmahnwahns in eine hysterische Phase geraten. Bestimmte abzockende Abmahnanwälte haben eine ganze Generation gegen das Urheberrecht aufgebracht. An der Universität Bayreuth, die sich intensiv der Zukunft des Urheberrechts widmet, hat kürzlich ein Anwalt die Facebook-Seite seiner 14-jährigen Nichte vorgeführt: Die Seite hatte einen virtuellen Wert von 15.000 Euro - errechnet aus Gebühren und Schadenersatz, den sie für kopierte Fotos, Texte und Videos, die sie auf ihrer Seite stehen hat, eigentlich zahlen müsste. Was Jugendliche früher mit der Schere aus der Bravo ausgeschnitten und ins Album geklebt haben, kopieren sie heute auf ihre Facebook-Seite. Das Urheberrecht darf daraus kein Skandalon machen, welches das Familieneinkommen gefährdet.

Das Urheberrecht braucht Einheitlichkeit in der EU; in Zeiten des Internets kann man nicht mit zwei Dutzend verschiedenen nationalen Schutzkonzepten operieren. Eine Kulturflatrate braucht man aber nicht; sie wäre nur das Eingeständnis, dass man unfähig ist zu einer praktikablen rechtlichen Regelung. Das Urheberrecht braucht ein Pfingsterlebnis, eine Erleuchtung; es braucht den Geist, dessen Schutz es zum Inhalt hat.

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