Debatte über schärfere Sicherheitsgesetze:Gabriel nutzt NSU-Morde als Argument für Datenspeicherung

Sigmar Gabriel

Der Justizminister ist dagegen? Die Verfassungsrichter sind skeptisch? Egal! SPD-Chef Sigmar Gabriel pocht auf die Vorratsdatenspeicherung.

(Foto: AFP)
  • Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel ist überzeugt, dass die Vorratsdatenspeicherung bei den Ermittlungen gegen den NSU geholfen hätte. Die Mordserie hätte damit früher gestoppt werden können.
  • Gabriel versichert, dass die SPD jetzt "ein verfassungskonformes Gesetz machen" werde.
  • Seine wiederholten Forderungen, die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen, sind parteiintern umstritten: Justizminister Maas gilt als vehementer Gegner dieser Pläne.
  • Das Verfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof hatten bestehende Gesetze kassiert, da sie grundrechtswidrig und unverhältnismäßig seien.

Von Simon Hurtz

Die Vorratsdatenspeicherung hätte weitere NSU-Morde verhindert

Dass deutsche Politiker nach Terroranschlägen die Vorratsdatenspeicherung fordern, ist nicht neu. Neu ist dagegen, dass der SPD-Chef die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) als Argument für die Wiedereinführung des umstrittenen Gesetzes benutzt. Sigmar Gabriel glaubt, dass die Zwickauer Terrorzelle früher gestoppt worden wäre, wenn es damals die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland gegeben hätte. Damit "hätten wir weitere NSU-Morde vermutlich verhindern können", sagte er in einem Interview mit der Rheinischen Post. Deshalb werde die SPD nun dafür sorgen, dass Kommunikationsdaten für die Strafverfolgung zugänglich gemacht werden.

Ermittlungsbehörden unter Verdacht

Das NSU-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hat zwischen 2000 und 2006 mutmaßlich neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordet. Seit 2013 läuft der NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht, der nicht zuletzt die Verstrickung der Verfassungsschutzbehörden und die zahlreichen Ermittlungspannen aufklären soll. In den vergangenen Monaten waren erneut Vorwürfe laut geworden, dass der Verfassungsschutz bereits 2003 von den Nazi-Terroristen erfahren habe.

Vor diesem Hintergrund bezeichnet das Blog Netzpolitik.org die Forderung Gabriels als "Pietätlosigkeit". Es mache "sprachlos", dass Gabriel keine Konsequenzen aus der Rolle der involvierten Behörden ziehe und mit der Vorratsdatenspeicherung stattdessen "genau diesen Diensten ein sehr mächtiges Überwachungsinstrument" an die Hand geben wolle. Tatsächlich hatten Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Akten über mögliche NSU-Helfer vernichtet, das System der V-Leute ist umstritten - die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und der AK Vorrat bezweifeln deshalb, ob mehr Daten automatisch zu besseren Ermittlungsergebnissen geführt hätten.

Gabriel machte sich wiederholt für die Vorratsdatenspeicherung stark

Seit Anfang des Jahres hat sich Gabriel bereits mehrfach öffentlich für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung stark gemacht. Nach den Anschlägen auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo sagte er, die Vorratsdatenspeicherung könne "ein geeignetes und verhältnismäßiges Instrument zur Strafverfolgung sein". Im März machte er seine Position erneut in einem Interview im Deutschlandfunk deutlich und behauptete unter anderem, die Vorratsdatenspeicherung habe bei den Ermittlungen gegen Anders Breivik geholfen - das Gesetz war damals allerdings noch nicht umgesetzt, die norwegische Polizei konnte also gar nicht darauf zugreifen.

Innerhalb der SPD ist die Forderung umstritten

Parteiintern geht Gabriel damit auf Konfrontationskurs zu Bundesjustizminister Heiko Maas, der die Vorratsdatenspeicherung kategorisch ablehnt und es "fahrlässig" genannt hatte, "den Leuten weiszumachen, dass Anschläge damit zu verhindern seien". Auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann trat in Sachen Vorratsdatenspeicherung zuletzt auf die Bremse, warnte vor "hektischem Aktionismus" und erinnerte daran, dass "die beiden höchsten Gerichte in Deutschland und der EU" diesbezüglich sehr strenge Auflagen erteilt hätten.

Gabriel und Maas

SPD-intern ist die Vorratsdatenspeicherung umstritten: Heiko Maas lehnt sie ab, Sigmar Gabriel fordert sie.

(Foto: dpa)

BVerfG und EuGH sind skeptisch

Deutschland hatte im Jahre 2008 beschlossen, dass Verbindungsdaten für ein halbes Jahr auf Vorrat gespeichert werden sollten. Zwei Jahre später kassierte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz, da es gegen das grundgesetzlich garantierte Fernmeldegeheimnis verstoße. Seitdem gibt es in Deutschland keine Vorratsdatenspeicherung.

Union und SPD haben aber im Koalitionsvertrag vereinbart, das Instrument wieder einzuführen. Dabei müssen sie nicht nur das Karlsruher Urteil beachten, sondern auch die Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs: Der hat 2014 die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für unverhältnismäßig erklärt und es den nationalen Regierungen damit deutlich erschwert, schärfere Sicherheitsgesetze zu verabschieden. Wie ein "verfassungskonformes" Gesetz aussehen könnte, das sich Gabriel vorstellt, sagte er im Gespräch mit der Rheinischen Post nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: