Datenschutz in sozialen Netzwerken:Sehnsucht nach dem Facebook-Killer

Facebook

Wer kann schon Facebook ausstechen? Die Gesellschaft.

(Foto: dpa)

Kaum entsteht ein neues soziales Netzwerk, wird gehofft: Vielleicht kann das endlich gegen Facebook bestehen. Doch selbst angesichts des momentanen Hypes um Ello - daraus wird wohl nichts.

Von Hakan Tanriverdi

Die Ernüchterung ist noch ein paar Wochen entfernt, maximal Monate. Bis dahin werden die Zahlen längst verblasst sein, die beeindruckenden 50 000 Nutzer pro Stunde, die sich gerade noch beim alternativen sozialen Netzwerk Ello anmelden.

Doch wenn kleinere Start-ups versuchen, Facebook ein paar Nutzer zu stibitzen, dann ist die wichtige Frage nicht, ob sie das auch schaffen, sondern die nach dem Gefühl, das dieser Versuch verbreitet. Der vergangene Monat ist in dieser Hinsicht deutlich: Ello fühlt sich an wie ein Sieg. Die Seite hat so viele Menschen angezogen, dass Facebook reagierte und seine Klarnamen-Regelung anpasste. Nicht, weil Ello wirklich eine Konkurrenz für den Riesen wäre, dafür ist die Seite noch viel zu unbedeutend. Aber es wurde deutlich, dass Facebook ein größeres Problem hat. Es ist das Gefühl, das viele Menschen haben, wenn sie Facebook nutzen: Unbehagen.

Nathan Jurgenson formuliert es so: "Ich glaube, die Menschen wollen ganz grundsätzlich einen Facebook-Killer und nicht, dass ausgerechnet Ello dieser Killer sein muss." Jurgenson forscht seit Jahren über soziale Netzwerke, der Amerikaner ist Mitbegründer der jährlichen Konferenz "Theorizing the Web", in der analysiert wird, wie Internet und Gesellschaft sich gegenseitig beeinflussen. Jurgenson macht seinen Job so gut, dass er mittlerweile im Auftrag von Snapchat forscht, also ausgerechnet jener App, die als potenzieller Facebook-Killer für Jugendliche gehandelt wird.

Eine Zwangsjacke, aus der sich die Nutzer befreien wollen

Jurgenson sagt, die Menschen haben keine Lust mehr auf Facebook, weil es zum sozialen Netzwerk schlechthin geworden ist - und Facebook eine sehr genaue Vorstellung davon habe, wie das Leben von Menschen online organisiert werden müsse. Was gefällt, kriegt ein Like und wird geteilt. Gespeichert wird ohnehin alles: Fotos, Beiträge, Alter, Geschlecht. Eine Online-Welt mit mehr als einer Milliarde Mitbewohnern, aufgebaut nach den Vorstellungen von Facebook. "Wir haben einer einzigen Seite und damit einem Dutzend Menschen zu viel Macht, Kontrolle und Einfluss gegeben. Das merken wir gerade und versuchen, uns aus der Zwangsjacke, die wir tragen, zu befreien", sagt Jurgenson.

Dass aktuell ein Denkprozess stattfindet, sieht auch Sabine Trepte, die an der Universität Hohenheim forscht. Die Professorin hat in einer dreijährigen Studie untersucht, wie das Verhältnis von Menschen zu ihrer Privatheit ist. Privatheit unterscheidet sich von Privatsphäre dadurch, dass es mehr umfasst, als nur den physischen Raum, also die reine Sphäre an sich. Und eines ihrer Forschungsergebnisse lautet: Das Bedürfnis nach Privatheit hat sich in den vergangenen Jahren gesteigert (hier die Studie als PDF).

Facebook ist vergleichbar mit Zigaretten

Doch gleichzeitig lasse sich keine Änderung des Verhaltens feststellen, sagt Trepte: "Die Nutzer sagen, sie wollen mehr Privatheit, aber sie verhalten sich nicht dementsprechend." Das heißt: Sie schreiben, teilen und liken weiter. Das sei vergleichbar mit Menschen, die wissen, dass Zigaretten der Gesundheit schaden, aber das Rauchen selbst als wohltuend empfinden. Die Vorteile überwiegen. Kommunikation in Echtzeit, viele Bekannte an einem Ort, ein schneller Überblick - der Facebook-Account bleibt bestehen und wird gerne genutzt.

Dazu trage auch bei, dass den Menschen die nötigen Informationen für eine fundierte Entscheidung fehlen würden. Die Nachteile seien nicht klar erkennbar. "Facebook versucht, die Nutzer aktiv im Unklaren zu lassen darüber, was mit ihren Daten passiert", sagt Trepte. Die New York Times verwandelt diese Erkenntnis in eine Überschrift: "Wir wollen Privatheit, aber können nicht aufhören, uns zu beteiligen." Denn welche Daten wie genau verarbeitet werden, ist nicht nur das Geschäftsmodell von Facebook, es ist auch ihr Geheimnis. Zwar arbeitet das Unternehmen mittlerweile daran, den Datenschutz stärker herauszustellen, doch neun Jahre Untätigkeit lassen sich nicht mit einem Datenschutz-Dino aus der Welt schaffen.

Das Unbehagen ist also da und aktuell profitiert Ello davon. Jurgenson, der Snapchat-Forscher, beobachtet das Netzwerk seit Wochen. Ihm zufolge sind vor allem Menschen dort angemeldet, die gerne mehr Mitspracherecht hätten darüber, wie sie ihre Daten mit Werbetreibenden teilen. Ein kleiner, sehr spezifischer Kreis von Menschen also. Aber es gebe eine grundsätzliche Diskussion darüber, ob soziale Netzwerke anders aufgebaut sein müssten. Likes, Newsfeed und Timelines seien nur eine Antwort. Darüber nachzudenken sei sinnvoll, so Jurgenson. Unabhängig davon, ob Ello das leisten könne oder nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: