Datenschutz im Internet:Anonym und illegal?

Wer surft, hinterlässt Spuren - Spuren, die Terrorfahnder für ihre Arbeit nutzen. Kein Wunder, dass ihnen Dienste ein Dorn im Auge sind, die diese Spuren verwischen. Aber wo bleibt dann der Datenschutz?

Christiane Schulzki-Haddouti und Nicola D. Schmidt

AN.ON ist auch bekannt unter dem Programmnamen JAP und gilt weltweit als einer der zuverlässigsten Anonymisierungsdienste. Er verschlüsselt über eine Reihe von Servern die Ausgangsdaten der Nutzer so, dass beim Zielserver nicht mehr identifiziert werden kann, woher ursprünglich die Anfrage kam.

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(Foto: Foto: dpa/Montage: sde)

Nun gab es eine deutliche Kampfansage an den Anonymisierungsdienst: "Steuergelder für ein Projekt bereitzustellen, das Terroristen und Straftätern aller Art ermöglicht, unentdeckt Straftaten zu begehen" sei nicht mehr zu verantworten, sagt Schleswig-Holsteins Justizminister Uwe Döring.

Umgehend stieß er damit auf heftigen Widerspruch beim Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD), das den Anonymisierungsdienst AN.ON gemeinsam mit den Universitäten Dresden, Berlin und Regensburg und dem Chaos Computer Club unterhält.

Zurzeit sind ständig etwa 3500 bis 4000 Menschen über den Anonymisierungsdienst online. Die Software wurde bereits mehr als eine Million Mal herunter geladen, monatlich rufen die Nutzer von AN.ON mehr als 250 Millionen Internetadressen anonym ab.

Da die Projektförderung durch das Bundeswirtschaftsministerium Ende des Jahres ausläuft, soll der bislang kostenlose Dienst dann gegen Bezahlung verfügbar sein.

Das Projekt ist nicht zum ersten Mal in der Diskussion. Der Versuch des Bundeskriminalamts, eine Speicherung von Verbindungsdaten zu erzwingen, scheiterte vor Gericht. Im letzten Jahr erst überlegte das Bundesinnenministerium, Anonymisierungsdienste zur Protokollierung von Verbindungsdaten verpflichten.

Die Überwachung einer Reihe verschlüsselnder Server, einer so genannten Kaskade, funktioniert aber nur, wenn alle Server die Daten mitprotokollieren.

Noch schwieriger wird die Überwachung, wenn Nutzer die neue Forwarder-Funktion der Software am Arbeitsplatz verwenden. "Damit dient der Rechner in einer Art Peer-to-Peer-Netz als alternativer Zugangspunkt zu unserem Anonymisierungsdienst", erklärt Entwickler Stefan Köpsell. "Wir wissen von etwa 50 bis 100 freiwilligen Teilnehmern, die ihren Rechner zur Umgehung von Sperrmaßnahmen bereitstellen", berichtet Köpsell.

Da die Nutzer aus sehr vielen Ländern kommen, werden Sperrungen des Dienstes durch einzelne Länder "extrem aufwändig und damit praktisch unmöglich" - AN.ON gilt deshalb als "zensurresistent".

Die Zugangssoftware für AN.ON können Nutzer übrigens auch für den beliebten Anonymisierungsdienst TOR der Electronic Frontier Foundation verwenden. TOR leitet den Datenverkehr über immer neue Routen durch zahlreiche Computer weltweit.

Bei TOR ist das Bereitstellen des eigenen Computers für die Anonymisierung Pflicht. TOR wird unter anderem auch von einem Teil der US-Marine verwandt, um anonym in offenen Quellen im Internet zu recherchieren.

Alle anderen Anonymisierungsdienste wie Anonymizer, Proxyblind oder The Cloak hält Andreas Pfitzmann, der für AN.ON technisch verantwortlich ist, nicht für vertrauenswürdig.

Sie handelten allein nach dem Prinzip der Gutgläubigen: "Wir sind die Guten und vertrau uns." "Aus Sicht von Geheimdiensten wäre es sogar eine sinnvolle Strategie, einen Anonymisierungsdienst unter einem Decknamen zu betreiben", fügt Pfitzmann hinzu, "weil dann eventuell auch verdächtige Personen den Dienst nutzen werden."

Doch nun wird der Ruf nach einem Verbot der aus Nutzersicht zuverlässigen Dienste laut. Der schleswig-holsteinische Landesdatenschützer Thilo Weichert zeigt sich erstaunt über Dörings Vorstoß: "Wir haben eine technische Möglichkeit vorgesehen, im Fall einer rechtlichen Anordnung nach der Strafprozessordnung kurzfristig für bestimmte verdächtige Adressen die Kommunikation mitzuloggen."

Der Dienst sei nicht nur zulässig, wie bereits von Gerichten bestätigt wurde, sondern nach dem Teledienste-Datenschutzgesetz sogar rechtlich geboten. Gerade die Wirtschaft nutze das Angebot des ULD, um sich vor Wirtschaftsspionage zu schützen.

Weichert: "Ich hoffe nicht, dass es das Interesse von Herrn Döring ist, der Wirtschaft diesen Schutz vorzuenthalten, der bei ausländischen Angeboten nie garantiert werden kann."

Auch der SPD-Medienpolitiker Jörg Tauss unterstützt AN.ON weiterhin: "Anonymität im Internet ist in einem globalen unsicheren Netz für den Datenschutz eine fundamentale Voraussetzung. Niemand hat hier - ohne solche vertrauenswürdige Dienste -Kontrolle darüber, wer die Bewegungen im Internet überwacht."

Für die SPD-Fraktion stellt er fest, dass eine Einschränkung der freien Verwendung solcher Verfahren nicht gerechtfertigt sei. Die vertrauliche Kommunikation rechtstreuer Bürger und Unternehmen würde dadurch eingeschränkt, ohne die öffentliche Sicherheit spürbar zu erhöhen.

Weichert will mit Justizminister Döring auch über dessen Forderung nach Begrenzung von Verschlüsselung reden: "Diese wäre technisch nicht nur unrealistisch, sondern auch ein Sicherheitsrisiko für Privatpersonen wie Wirtschaft."

Auch Tauss hält ein Kryptoverbot für "absurd": "Bei Verschlüsselungsverfahren handelt es sich inzwischen um eine Standardanwendung, ohne die es heute keine vertrauliche Geschäftskommunikation beispielsweise in der Bankwirtschaft gibt."

Ein Verbot oder eine zentrale Schlüsselhinterlegung sei "wirtschaftspolitische kontraproduktiv" und "verfassungsrechtlich problematisch".

Die Umgehungsmöglichkeiten eines Kryptoverbots sind einfach - Verschlüsselungssysteme sind nämlich weltweit verfügbar. Der Dresdner Informatikprofessor Andreas Pfitzmann gibt auch gleich Verhaltenstipps für den Fall eines Verbots: "Für Anonymisierungsdienste gehe man mit einem verschlüsselten Tunnel über einen ausländischen "harmlosen" Proxy zum Anonymisierungsdienst, für Krypto verwende man Steganographie*."

Weitere Anonymisierungsdienste: http://www.anonymouse.org http://www.proxyblind.org/ http://www.the-cloak.com/ http://www.guardster.com http://www.anonymizer.com http://www.anonymization.net http://www.anonymsurfen.com http://www.rewebber.com

(sueddeutsche.de)

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