Datenschützer Thilo Weichert:Ein Mann wie eine Firewall

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Grundbedürfnis nach Anonymität: Datenschützer Thilo Weichert.  (Foto: ULD)

Von der Volkszählung bis Facebook - Datenschützer Thilo Weichert streitet gegen alle. Die Frage ist nur, ob nicht auch Internet-Nutzer beschützt werden, die gar keinen Schutz haben wollen.

Von Ralf Wiegand

Wenn irgendwo auf der Welt wieder einmal bekannt wird, dass ein Geheimdienst seinen Datenstaubsauger angeworfen hat, um sich aus den Netzwerken zu ziehen, was nicht niet- und nagelfest ist, dann wissen sie in der Kieler Fußgängerzone: Es geht wieder los. Umgehend klingelt in der dritten Etage des schmalen Baus zwischen Back-Factory und Telekom-Shop das Telefon Sturm - im Vorzimmer von Thilo Weichert, 57.

Der bekommt an solchen Tagen einen Zettel reingereicht, auf dem alle Sender und Zeitungen draufstehen, die Rang und Namen haben und auch ein paar von denen, die man nicht kennen muss. Im Viertelstundentakt wollen sie Auskunft von ihm: Was bedeutet das, ist es rechtens, wie schützt sich der Verbraucher? "Die wissen halt, was sie von mir bekommen", sagt Weichert und schmunzelt. Ganz Profi.

An diesem Freitag Anfang Juni ist es mal wieder so weit, es ist der letzte Tag vor Weicherts Urlaub, ausgerechnet. Den Schreibtisch hätte Deutschlands bekanntester Datenschützer jetzt gerne noch aufgeräumt, ehe er ein paar Offline-Tage einschiebt, im Paddelboot auf der Kieler Förde. Aber dummerweise war über Nacht bekannt geworden, dass der US-Geheimdienst NSA fast nach Belieben in den Datensammlungen amerikanischer Internet-Konzerne wie Google oder Facebook stöbern kann, im Namen der Abwehr von Terror und sonstiger Gefahr.

Davon sind auch deutsche Nutzer betroffen, weil sich die Amerikaner nicht um das deutsche oder europäische Recht scheren: US-Konzern, US-Recht. Es ist also wieder an der Zeit für Weichert, die Leute aufzuklären: Finger weg von Facebook und Co., "wir empfehlen, amerikanische Dienste überhaupt nicht zu nutzen". Für ihn basiert deren Geschäftsmodell "auf einer illegalen Praxis".

Gegen Facebook-Button "Gefällt mir"

Es sind solche sehr deutlichen Statements, die Weichert bekannt gemacht haben. Als deutschen Widerstandskämpfer gegen Facebook. Als menschgewordene Firewall. Ein Leiter einer 40-Mann-Behörde mit dem sperrigen Namen "Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD)", also in nördlicher Randlage der Randlage der Republik, schafft es ja nicht unbedingt in die Schlagzeilen aller großen Tageszeitungen, in alle Fernsehmagazine und ins Bewusstsein der Bevölkerung.

Der Datenschutzbeauftragte Weichert, der öffentlichkeitswirksam und gerichtlich unter anderem gegen den Facebook-Button "Gefällt mir" streitet, ist durch seinen Feldzug gegen internationalen Datenmissbrauch bekannter geworden als alle anderen seiner Kollegen in den Ländern und auch bekannter als der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, ein gewisser Peter Schaar mit Sitz in Bonn.

Thilo Weichert leitet die Kieler Behörde seit 2004, Datenschützer aber ist er schon lange: "Ich habe schon gegen die Volkszählung gestritten", sagt er, das war 1987. Weichert war Rechtsanwalt, Friedensbewegter, Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg, Datenschützer in Niedersachsen, wo ihn der Ruf seines Kieler Vorgängers Helmut Bäumler erreichte, an die Küste zu wechseln. Er weiß einerseits, wie es ist, Widerstand zu organisieren - selbst geriet er einst ins Visier des Verfassungsschutzes. Und er weiß, wie es ist, aus dieser Wehrhaftigkeit heraus tatsächlich Veränderungen herbeizuführen. Das hat er in der Politik gelernt.

Aus dieser Erfahrung muss auch die Gelassenheit herkommen, mit der Weichert ein an sich großes Dilemma schildert: "Der Etat meiner Behörde ist seit zehn Jahren gleich." Ungefähr 1,9 Millionen Euro macht das Land für das ULD locker. Nun kann man einerseits sagen, in Zeiten sich jagender Sparbeschlüsse ist schon das ein Luxus. Andererseits sagt Weichert: "Datenschutz ist eine ungeheuer dynamische Geschichte. Die Dimension der Datenverarbeitung nimmt wahnsinnig zu, und damit auch die Bedrohungs- und Missbrauchslage." Die Frage sei eben, wie viel eine Gesellschaft in den Datenschutz zu investieren bereit sei, "und da ist das, was Deutschland macht, schon viel. Leider."

Wenn man Weichert richtig versteht, dann ist er in seiner Eigenschaft als Datenschützer so eine Art Freiheitskämpfer. Er kämpft zum Beispiel für die Freiheit, auch im Netz das tun zu dürfen, was man möchte, ohne dabei beobachtet zu werden. Dass man angesichts der Zahl von über 25 Millionen deutschen Facebook-Nutzern der Meinung sein könnte, da würde jemand beschützt, der gar nicht beschützt werden möchte, lässt Weichert nicht gelten: "Das ist eine völlig falsche Vorstellung." Schon immer habe es Hedonisten, Exhibitionisten und Telekommunikations-Freaks gegeben, die sich um Privatsphäre nicht scherten. "Uns aber geht es um ein gesellschaftliches und individuelles Grundbedürfnis nach Privatsphäre. Man muss auch mal etwas verbergen können."

Deswegen streitet Weichert zum Beispiel darum, sich anonym bei Facebook anmelden zu dürfen. Das ist momentan nicht erlaubt: Wer das soziale Netzwerk nutzen will, erscheint dort mit Klarnamen. Wer Alias-Namen verwendet und auffliegt, fliegt raus - was dem deutschen Telemediengesetz widerspricht. "Anonymität muss man dort aufheben können, wo es nötig ist"; aber nicht generell, sagt Weichert.

Die großen Debatten etwa um die Spuren, die Google von seinen Nutzern für kommerzielle Zwecke sammelt, laufen erst seit ungefähr fünf Jahren - Datenmissbrauch aber hat eine viel längere Tradition. Schon zu seligen Telefonbuchzeiten hatten Auskunfteien Konjunktur und handelten mit gesammelten Adressen. Die Schufa, die "Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung", gibt es seit 1927, seitdem bunkert sie Daten über die Kreditwürdigkeit von Menschen.

Die Basis war also schon da, "das große Geschäft wurde daraus in den 1990er-Jahren", sagt Weichert. Erst durch das Internet ist es zum Beispiel möglich geworden, eine Art Bonitäts-Spiegel zu erstellen. Jetzt kann es passieren, dass jemand einfach in der falschen Gegend wohnt, Tür an Tür mit so vielen nicht kreditwürdigen Nachbarn, dass ihn ein gut gefüttertes System gleich automatisch rausschmeißt, wenn er ein Auto auf Pump kaufen will oder einen Mobilfunk-Vertrag abschließen möchte. Auch gegen so etwas geht Weichert mit seiner Behörde vor.

Transparenz in Deutschland

Inzwischen gibt es Erfolge. "Die staatliche Datenverarbeitung ist nirgendwo so transparent wie in Deutschland", sagt Thilo Weichert, Exzesse finden hauptsächlich im privatwirtschaftlichen Sektor des Internets statt. Weichert selbst hat kein Smartphone und nutzt Facebook nicht, "mir reichen E-Mails", sagt er. Das Netz verdammen aber will er nicht, "dafür sind die Segnungen der modernen Kommunikation einfach zu groß." Momentan gehe immerhin die Zahl der jungen Nutzer bei Facebook zurück, dort stelle sich ein Bewusstsein über den Umgang mit den eigenen Informationen ein. Dafür steigt die Zahl älterer Menschen, die sich anmelden. "Sie sind fasziniert von den Möglichkeiten und entsprechend sorglos", sagt Weichert.

Deswegen hat sich seine Behörde auf Prävention verlegt. Medienkompetenz heißt da das Stichwort, das etwa die Kieler Datenschutzakademie mit ihren Kursen vermitteln will, außerdem vergibt das ULD Zertifikate, nachdem sie Software und Hardware auf deren theoretische Datensicherheit getestet hat. So hat etwa ein Kassensystem von Lidl dieses Zertifikat erhalten; an diesen Kassen könnten Kunden spurlos bezahlen, auch mit Karte. "Ob Lidl das System dann auch so einsetzt, ist aber eine andere Frage", sagt Weichert. Die Forschungsabteilung seines Hauses wiederum hat einen Anonymisierungsdienst entwickelt, um sich frei und unerkannt im Internet bewegen zu können.

Aber es bleibt ein Bohren dicker Bretter. Weichert will die großen Streits mit Google oder Facebook auch nicht als Gegnerschaft, sondern "als pädagogische Arbeit" verstanden wissen. Je früher Datenschützer mitsprechen dürften, um so sicherer würden die Systeme für die Nutzer. Solange das noch nicht so ist, warnt er aber vor Facebook - manchmal vergeblich. Ausgerechnet die Staatskanzlei von Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) ist - anders als etwa Grüne oder Piraten - immer noch dabei. "Er sagt, er sehe keine Alternative", bedauert Weichert. Und will dranbleiben.

© SZ vom 22.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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