Das Internet (2):Beim nächsten Datenkreuz links ab

Unaufhaltsame Intelligenz der Vernetzung: Was die Erfolgsgeschichte von "Google" über die Suche der Zukunft erzählt.

Tobias Kniebe

(SZ vom 7.9.2002) - Die Story der Zukunft beginnt mit Verspätung: Die Claims scheinen abgesteckt im April 1998, die Milliarden fließen, um die Großen größer zu machen - so lautet das Dogma. Wer jetzt anfängt, heißt es, kann die Sieger nicht einholen. Aber Larry Page und Sergey Brin, Studenten an der Stanford University, spielen ein anderes Spiel. Sie sind an Theorie interessiert, an mathematischen Strukturen, fasziniert von einem Netz, das jede Sekunde größer und komplexer wird. Sie zeigen ihre Forschungen auf der WWW7-Konferenz im australischen Brisbane: "The Anatomy of a Large-Scale Hypertextual Web Search Engine". Eine von tausend Ideen. Niemand sieht Potenzial darin, bei der Preisverleihung gehen sie leer aus, auch der Name ihres Prototyps klingt seltsam: Google.

Heute ist Google das Netz, und das Netz ist Google. Die alten Regeln sind wertlos, die neuen werden gerade erst geschrieben. Nicht nur, weil jeder diese Suchmaschine benutzt, weil sie das Werkzeug ist, das derzeit wie wenig andere das digitale Dasein prägt. Damit das Internet in Millisekunden erforschbar bleibt, wird es bei Google praktisch verdoppelt: Mehr als zehntausend Server bilden die größte Rechnerfarm der Erde, mehr als zwei Milliarden Webseiten sind indexiert und gespeichert, dazu eine Milliarde weitere Dokumente. Die Nutzerzahlen wachsen wie nirgends sonst: Nielsen Netratings sieht die Marke weltweit auf Platz 5, mehr als 70 Prozent aller Suchanfragen laufen laut StatMarket über Google-Engine - auch solche, die bei Yahoo! eingetippt werden, und seit neuestem bei AOL. Bald wird alles, was nicht bei Google verzeichnet ist, für ein großes Publikum fast unsichtbar sein.

Wie diese Vormachtstellung entstanden ist, in einem Medium, das gegen Machtkonzentration resistent sein sollte - das ist eine Erzählung aus dem Lehrbuch des Darwinismus. Eine Spezies raubt den anderen die Lebensgrundlage: Ruhe in Frieden, Altavista. Das Model Google muss also schon die DNA enthalten, die unsere Zukunft im Internet prägen wird, eine Formel für's Überleben. Was gab es davor? Eine Horde aufgeblähter Konkurrenten. Wenn Internetseiten auch Modelle dafür sind, wie wir Wissen speichern und wiederfinden, Vernetzung organisieren und Bedeutung schaffen, dann war die herrschende Spezies dumm. Sie operierte auf der Stufe von Erbsenzählern. Je häufiger ein Wort wiederholt wurde, desto leichter war eine Seite zu finden. Wer tausendmal "Fakten, Fakten, Fakten" sagte oder auch "Ficken, Ficken, Ficken", war im Web vorn. Es wurden auch Verzeichnisse angelegt, Link für Link. Auf jeden Fall schien es geraten, Worte zusammenzuballen zu Content-Klumpen. Das nannte man Portal - und Portale, so hieß es, würden Ordnung schaffen und Reichtum für ihre Besitzer.

Dabei geht es gerade um den Verlust der Kontrolle. Um die kollektive Intelligenz eines Verbunds, der mehr ist als eine Summe seiner Teile. Ein lebendiger Organismus ohne zentrale Steuerung, am Rand des Chaos, aber stets fähig zur Selbstorganisation. Man findet eine Website und setzt auf der eigenen Page einen Link darauf: Schon das ist ein Akt der Auswahl, der Bedeutung konstruiert und Pfade durch den Informationsdschungel bahnt - nennen wir es eine Empfehlung. Diese Empfehlung wird, wenn man seinerseits von zehn Freunden empfohlen wurde, für andere Menschen wichtiger: Hier spricht ein angesehener Ratgeber. So entsteht ein Netz von Verweisen und Gewichtungen. Niemand kann dieses Netz kontrollieren oder Bedeutung darin festschreiben - alles entwickelt sich. Und das, ganz allein, ist die geniale Entdeckung von Larry Page und Sergey Brin: Dass man dem Netz der Empfehlungen folgen und es mathematisch nachbilden kann, in einer Gleichung mit 500 Millionen Variablen und mehr als zwei Milliarden Ausdrücken, mit verschiedenen Indikatoren für Bedeutung. Eine gigantische Rechenoperation bestimmt, welche Seiten bei Google für wichtig gehalten werden - und diesen Intelligenzvorsprung merkt man als Mensch, als Suchender, sofort. Das setzt Standards: Das Netz der Zukunft muss Fortschritte bieten, die niemand übersehen kann - oder es wird keine Zukunft haben.

Googles Erfolg ist unaufhaltsam, weil er unaufhaltsame Kräfte nutzt. Weil Kontrolle abgegeben wird an einen, der es besser weiß: das Kollektiv der User, das von Einzelnen nicht manipulierbar ist. Weil selbst Werbekunden für viel Geld die Bedeutung einer Suche nicht verfälschen können. Weil zum ersten Mal der Versuch gelungen ist, Komplexität vom Benutzer fern zu halten - es gibt bekanntlich nur ein Eingabefenster - aber zugleich eine höhere Ordnung der Komplexität zu schaffen. Das Modell nähert sich der Struktur des Netzes selbst - und kann damit überleben: Seit einem Jahr macht Google Gewinn. Was auch bedeutet: Suchmaschinen werden immer kostenlos sein. Gefährdet sind nur die Saurier, die simplen Modelle, die halb durchdachten Versuche. Die Website der Zukunft, will sie global bedeutsam sein, wird man an klaren Strukturen erkennen: Einfachste Oberfläche, komplexes Innenleben, definitive Problemlösung, grenzenloser Informationsfluss, ehrliche Ergebnisse, und am wichtigsten: die Abgabe der Kontrolle ans Netz.

Fressen und gefressen werden

Wie sieht es also aus mit dem Web der Information, das demnächst etwas kosten muss - Nachrichten, Datenbanken, Lexika? Vieles läuft, nichts läuft richtig. Schon die Grundlagen stimmen nicht - denn wenn es überhaupt funktionieren kann, dann nur wie eine Art Google mit kostenpflichtigen Inhalten. Die einfache Oberfläche zum Beispiel: Das wäre ein einziges Suchfenster, hinter dem der wertvolle Content eines ganzen Sprachraums liegt, ein einziges Protokoll, das überall authentifiziert - kein ständiges An- und Abmelden auf tausend Seiten, die das Gesuchte dann doch nicht haben. Komplexes Innenleben - das heißt, das der User gar nicht mehr wissen will, bei welchem Medienkonzern er gerade surft - auf welchen Wegen Informationen und Gebühren fließen, müsste unsichtbar geregelt werden. Definitive Problemlösung - das kann nur bedeuten, das sich alle Content-Produzenten der Welt zusammenschließen, in einer selbstregulierten, dezentralen Gemeinschaft. Kein Anbieter dürfte ausgeschlossen sein, kein Konzern die Algorithmen der Bedeutung verfälschen - und auch die Preise würden ständig neu definiert: Nur das Dokument, das einen echten Bedarf erfüllt, wird profitabel sein - Info-Schrott wäre nicht zu verkaufen. Keiner hätte Kontrolle. Aber gerade dann wären gute Inhalte endlich finanzierbar.

Man weiß aber auch: Medienkonzerne sind nicht so. Und die Anwälte, die das verhandeln sollten, wären in hundert Jahren nicht fertig. Bisher gibt es nur zwei Strategien: Alles zu verschenken, um Aufmerksamkeit zu gewinnen, was auf Dauer nicht finanzierbar ist. Oder kleine, sorgsam eingezäunte Reservate zu bauen, die nur für Spezialisten bezahlbar sind. Über größere Lösungen wird, wie man so sagt, nachgedacht. Derweil wächst dort, wo die Dinge nicht kostenlos sind, die Verhandlungen aber auch nicht vorankommen - bei Musik, Filmen und Software - eine längst nicht mehr geheime Parallelstruktur. Sie funktioniert schon heute so, wie alle Netzorganisation in Zukunft funktionieren wird: Dezentral, ohne Steuerung, selbstorganisiert und selbstregulierend: Peer-to-Peer Filesharing, der massenhafte, intelligente, kostenlose Datentausch. Fasttrack heißt die Technologie dafür: Sie ist ähnlich smart wie die Google-Engine und schreibt die zweite große Erfolgsgeschichte der Stunde. Sobald die kostenlosen Informationen versiegen, werden auch die kostenpflichtigen in diesem Tauschnetz kursieren, das längst größer ist als Napster es je war. Das wird am Geschäft mit Wissen und Entertainment nagen, bis sich die Geschädigten zusammentun, klüger werden - oder untergehen.

Die Kräfte, die da wirken, sind nicht legal - aber ihr Spiel ist nicht mehr einzugrenzen. Das wäre, als wolle man das Prinzip der natürlichen Auslese verbieten: Sie handelt vom Fressen und Gefressenwerden, sie setzt alle unter Druck - aber sie ist die stärkste Schöpfungskraft, die wir haben. Das Internet von morgen wird sein wie das Leben selbst, und seine Geschichte beginnt jeden Tag neu. Schon die nächste Mutation kann alles verändern.

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