Dark Social Web:Streit um die wahren Giganten des Internets

Muss die Geschichte des Internets neu geschrieben werden? Im Netz wird derzeit über den Einfluss von E-Mails und Instant Messengern gestritten. Manche behaupten, der sei in Wahrheit viel größer als der Einfluss von Facebook und Twitter.

Niklas Hofmann

Dass der Begriff des "Dark Social" an den Dark Knight der populären Batman-Filme erinnert, dürfte ihm helfen, sich durchzusetzen. Auch wenn Alexis Madrigal, Technologieredakteur beim Atlantic, sich auf die geheimnisvolle Dunkle Energie bezog, als er die Metapher in der vorvergangenen Woche in die Welt setzte. Deren (höchst umstrittene) Existenz vermuten manche Astrophysiker als treibende Kraft hinter der Ausdehnung des Weltalls.

Madrigal hat sich den Nutzerverkehr genauer angesehen, der direkt zu einem der Artikel auf der Seite seines Magazins führt, bei dem Leser also offensichtlich einem Link folgen (denn derart lange Internetadressen tippt wohl kaum jemand selbst ein). Meist finden sie diesen aber nicht bei Facebook oder Twitter oder in der Google-Suche, denn dies würden entsprechende Analyse-Werkzeuge anzeigen.

Es muss sich also um Empfehlungen handeln, die sich Menschen in Chatprogrammen, über Messengerdienste und per E-Mail zuschicken. Dem Atlantic bringt dieses Dark Social, das unbekannte Element des sozialen Netzes, tatsächlich zweieinhalbmal so viel direkte Artikelaufrufe ein wie Facebook, so weisen es Zahlen der Web-Analysten des Unternehmens Chartbeat aus, die auch eine Reihe anderer Medien-Websites beobachten, darunter etwa die New York Times.

Bei der war der Effekt noch deutlicher: 69 Prozent der Empfehlungen laufen über die "dunklen" Kanäle abseits des eigentlichen Social Webs, gefolgt von Facebook mit 20 Prozent. Für Twitter bleiben nur 6 Prozent. Die großen Namen, die im Netz für das Teilen und Weiterempfehlen stehen, wären somit Scheinriesen.

Grundsätzliche Kritik vorgebracht

Nun könnte man meinen, dass die These vom dominanten Schattennetz des Dark Social vor allem für die Betreiber von Websites relevant wären, die erkennen müssten, dass die Optimierung ihrer Angebote für die Social Networks eine allzu schmalspurige Strategie wäre. Aber Madrigal will auf eine grundsätzlichere Kritik hinaus. Er sieht einen Anlass, die Geschichte des Internets neu zu schreiben, jedenfalls in der Form, in der sie bis in die Wikipedia hinein populär geworden sei.

Das Web 2.0 oder Social Web, das sich seit dem vergangenen Jahrzehnt entwickelt habe, habe den sozialen Charakter des Netzes nicht geschaffen, ihm jedoch eine Struktur gegeben. Der Handel, den die Nutzer mit den Sozialen Netzwerken eingingen, sei dadurch aber ein anderer als sie gemeinhin annähmen: "Wir geben unsere persönlichen Daten nicht im Austausch für die Möglichkeit her, Links mit Freunden austauschen zu können. Stattdessen tauschen wir unsere persönlichen Daten gegen die Möglichkeit ein, Aufzeichnungen dessen, was wir geteilt haben zu veröffentlichen und zu archivieren."

Social Web fungiert auch als Beschleuniger

Dagegen ließe sich einwenden, dass die Dienste des Social Web wohl doch auch Beschleuniger des Teilens sind. Denn natürlich ist die Streuung, die ein einziger geteilter Link bei Facebook oder in einem Tweet erreicht, per E-Mail nur durch regelrechte Rundumschläge durch das Adressbuch zu erzielen. So regt sich denn auch Widerspruch. Matt Buchanan von der auf das Aufspüren viraler Internet-Hits spezialisierten Seite Buzzfeed verweist auf eine Generationenkluft bei den Nutzern.

Unter den 12- bis 17-Jährigen nutzten lediglich 37 Prozent zumindest einmal in der Woche E-Mails und nur die Hälfte Instant Messenger; 66 Prozent hingegen die Messaging-Dienste von Facebook oder Myspace. Buzzfeeds Daten würden zudem einen erheblichen Rückgang des Anteils von E-Mail am Traffic belegen. Bei der viralen Ausbreitung von Meme und Youtube-Hits spiele das, was Madrigal Dark Social nennt, dann in Wahrheit keine Rolle.

Womit dessen Existenz nach einer guten Woche bereits ähnlich umstritten ist wie die der Dunklen Energie. Der Name aber, der ist wirklich schön.

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