Daniel Domscheit-Berg:Chaos Computer Club schließt Ex-Wikileaks-Sprecher aus

Eigentlich wollte Daniel Domscheit-Berg auf dem Treffen des Chaos Computer Clubs nur sein neues Projekt Openleaks präsentieren. Doch es kam zu Eklat: Der weitweit bekannte Hacker-Verein hat den Wikileaks-Aussteiger ausgeschlossen und schaltet sich damit in den Machtkampf zwischen Domscheit-Berg und Wikileaks-Gründer Julian Assange ein.

Janek Schmidt

Es hätte der Start werden sollen für das Zeitalter nach Wikileaks. Vergangenen Mittwoch war Daniel Domscheit-Berg, ehemaliger Sprecher der Veröffentlichungsplattform, auf den stillgelegten Militärflughafen Finowfurt in Brandenburg gefahren. Dort fand das sogenannte Chaos Communication Camp statt, ein internationales Hacker-Treffen, das der Chaos Computer Club (CCC) alle vier Jahre organisiert.

Vor den 3000 Teilnehmern wollte Domscheit-Berg ein neues Projekt präsentieren: die Plattform Openleaks. Doch noch vor Ende des Camps am Sonntag schlug die Euphorie um in einen Eklat: Ein alter Konflikt brach auf und der CCC schloss Domscheit-Berg aus. Damit wendet sich der weltweit bekannteste Hacker-Verein gegen Deutschlands berühmtesten Informatiker - ein Streit mit Folgen für die Zukunft aller Enthüllungsplattformen.

Die offizielle Begründung für den Ausschluss war der Vorwurf, Domscheit-Berg habe den Club als Prüfer für Openleaks missbraucht. Doch der Ursprung des Streits liegt weiter zurück. Vor einem Jahr hatte Domscheit-Berg den alleinigen Führungsanspruch von Wikileaks-Chef Julian Assange hinterfragt und war daraufhin von seiner Position als Sprecher der Gruppe suspendiert worden. Mitte September war Domscheit-Berg dennoch ins Ruhrgebiet gefahren, um dort einen Wikileaks-Server zu reparieren. Assange bemerkte den Zugriff auf das Netzwerk der Organisation und schloss seinen bisherigen Mitstreiter endgültig aus.

Der Streit spaltete die Hacker-Gruppe und führte nicht nur dazu, dass Domscheit-Berg und weitere Aussteiger schon zwei Tage später Openleaks gründeten. Zugleich nahmen sie vor ihrem Abschied auch eine Festplatte mit geheimen Dokumenten mit. Zwar versprachen sie, diese nicht selbst zu veröffentlichen, doch sagte Domscheit-Berg: "Die Papiere sind im beschädigten Netzwerk von Wikileaks nicht mehr geschützt, und sie werden erst zurückgegeben, wenn garantiert ist, dass die Identität der Quellen nicht entdeckt werden kann."

Nur eine Art Babyklappe

Seitdem entwickelte Domscheit-Berg mit einer Handvoll Computer-Experten in verschiedenen deutschen und ausländischen Städten das System Openleaks - und sie versuchten aus früheren Fehlern zu lernen. So ist Openleaks nur eine Art Babyklappe: Zuträger können ihre Dokumente damit hochladen und selbst entscheiden, welcher Medienpartner von Openleaks die Papiere - anonymisiert und befreit von Herkunftsspuren - erhält. "Wir bestimmen nicht mehr, wer Papiere zugespielt bekommt", sagt Domscheit-Berg. Die einzige Entscheidung ist, welcher Partner Teil dieses Netzwerks wird.

Eines Tages könnten dies mehr als 100 Zeitungen und etwa Menschenrechtsgruppen sein, hoffen die Macher. Doch während der Testphase sollen fünf kleine Organisationen teilnehmen, die nach Aussage von Domscheit-Berg leichter in das System einzufügen sind: die deutschen Zeitungen taz und Freitag sowie das portugiesische Wochenblatt Expresso, die dänische Tageszeitung Dagbladet Information und die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch.

Nach elf Monaten Entwicklungsarbeit ist Openleaks nun bereit für den ersten öffentlichen Test. Dafür erschien das Hacker-Camp der ideale Ort. So präsentierte Domscheit-Berg am Mittwoch sein System vor der Fachwelt und bot den Experten Zugang, um es auf "Penetrierbarkeit" zu prüfen.

Schon an dem Test-Verfahren gab es Kritik, da einzelne Hacker beklagten, dass Domscheit-Berg nur einigen Experten seines Vertrauens kompletten Einblick in sein Programm gewährte. Der Vorstandsvorsitzende des Chaos Computer Clubs, Andy Müller-Maguhn, ging weiter. "Der CCC ist kein TÜV", sagte er dem Spiegel, "Wir lassen uns nicht vereinnahmen." Danach trafen sich die fünf Vorstände zu einer Sondersitzung. CCC-Mitgliedern zufolge debattierten sie bis zum frühen Sonntagmorgen. Um 2.30 Uhr machten sich vier von ihnen auf zum Zelt von Openleaks und überbrachten Domscheit-Berg ein DIN-A4-Blatt mit dem einstimmigen Beschluss: Du bist ausgeschlossen.

Gescheiterte Vermittlungsversuche

Die Nachricht verbreitete sich noch in der Nacht, die sonst für die Abschluss-Party reserviert ist. Dabei traten sofort jene Gräben zutage, die den Club seit einem Jahr spalten und letztlich auch zum Zerwürfnis von Domscheit-Berg und CCC-Vorstand Müller-Maguhn geführt haben: der Kampf von Wikileaks gegen Openleaks oder von Assange gegen Domscheit-Berg.

Dabei hatte Müller-Maguhn zunächst versucht, zwischen den beiden zerstrittenen Enthüllern zu vermitteln. Vor allem ging es um die Rückgabe der Festplatte mit Wikileaks-Dokumenten. Doch das Bemühen scheiterte, wie der Blogger und CCC-Mitglied, Felix von Leitner, berichtet: "Der CCC hat die Zusage von Daniel gekriegt, dass wir die Platte innerhalb von zwei Wochen übergeben kriegen. Das war vor 11 Monaten", klagt er, "seitdem ist nichts passiert."

Andere CCC-Mitglieder bestätigen diese Darstellung, doch geben sie zu Bedenken, dass immer wieder strittige Punkte auftauchten, die eine Rückgabe der Dokumente erschwerten. "Deswegen muss sich der Vorstand nicht wie ein Polit-Büro gerieren", bemängeln sie, "wenn man 600 Meter von Daniels Zelt entfernt ist, kann man ja auch mal mit ihm reden, bevor man ihn ausschließt." Daher zeige der Beschluss: "Das war eine sehr persönliche Sache."

Jedoch sind die Auswirkungen des Streits deutlich größer als ein persönliches Zerwürfnis. "In der Welt der Hacker sind zwei Dinge entscheidend", sagen mehrere Teilnehmer des Camps. Einerseits müssten Systeme technisch fehlerfrei funktionieren. "Da hat Daniel noch immer viele Anhänger, auch im Club, die ihm bei Tests helfen", vermuten Kenner. Doch ebenso wichtig sei bei Veröffentlichungsplattformen das Vertrauen. "Die Mehrheit der Clubmitglieder ist zwar mit dem Beschluss des Vorstands nicht einverstanden", berichten Teilnehmer, "aber für den Ruf von Daniel ist die ganze Geschichte sicherlich ein Problem."

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