Computerspiel "Fifa 14":Die Liga der Simulanten

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Immer realistischer: Fifa 14 (Foto: dpa-tmn)

Schwitzen mit dem digitalen Abbild: Mit jeder neuen Version rückt das Computer-Fußballspiel "Fifa" näher an die Wirklichkeit heran. Damit das so bleibt, muss ein gigantischer Aufwand getrieben werden. Für die Fußballprofis gehen dabei Kindheitsträume in Erfüllung.

Von Helmut Martin-Jung

Den Ball mit dem Ventil nach oben ablegen, dorthin, wo der Rasen noch gut ist, bloß nicht in eine Kuhle. Alles ist wichtig jetzt, das kleinste Detail kann den Unterschied ausmachen. Nun, da ein Freistoß aus 22 Metern vielleicht das Spiel entscheidet. Ein paar Schritte zurückgehen, so als würde man den Anlauf in Zeitlupe rückwärts abspulen, dann sich breitbeinig hinstellen, die Hände in die Hüften gestemmt. Ja, das ist seine Art, die Art, wie Cristiano Ronaldo, der portugiesische Ausnahmefußballer, Freistöße zelebriert. Was nun kommt, ist filigrane Feinarbeit, die man nur durch ausdauerndes Training erreicht: Welche Steuersticks wann zu bewegen sind und wie lang, welche Knöpfe man dazu noch drücken muss und wann.

Sticks, Knöpfe? Nun, es ist nicht der echte Cristiano Ronaldo, der da zum Freistoß antritt. Auch wenn man das kaum bemerkt. Das aufgeregte Stakkato des Kommentators, die Spannung unter den Zehntausenden im Stadion und natürlich das Bild auf dem Fernseher - alles kommt der realen Fußballübertragung fast beängstigend nahe. Aber es ist eben doch nur eine Computersimulation, es ist das Spiel "Fifa", bei dem der Spieler mit einem Controller virtuelle Kicker über den Rasen dirigieren kann.

Szenenwechsel. Eine schmucklose Halle irgendwo im Großraum London. Ein dunkel gekleideter junger Mann läuft mit einem Fußball darin herum. Aber es ist keine Sporthalle. Auf den Boden hat man ein Gitter aus weißen Linien im Abstand von etwa einem Meter gemalt, an der Decke und an den Wänden sind in regelmäßigen Abständen rötlich strahlende Lampen an Metallschienen befestigt. An einer Wand steht ein Fußballtor - es ist neben dem Ball das einzige, was an den Sport erinnert, für den der Mann in dem seltsamen Anzug berühmt geworden ist. Gareth Bale, seit Kurzem in Diensten von Real Madrid und durch den Wechsel teuerster Spieler der Welt, sieht reichlich komisch aus in seinem eng anliegenden, grauschwarzen Ganzkörperdress samt Käppi. Und empfindet es trotzdem als "große Ehre", wie er sagt, in der Halle auf und ab zu laufen.

Wie Gollum aus "Der Herr der Ringe"

Das Ziel der ganzen Prozedur ist schließlich - ein Stück Ewigkeit. Es geht darum, sein digitales Abbild zu erschaffen. Auf dem seltsamen Anzug kleben leuchtende Punkte. Mehrere Kameras gleichzeitig erfassen detailliert, wie sich Bale beim Laufen bewegt, wie er einen harten Schuss ansetzt, wie er sanft einen Ball über eine imaginäre Abwehrreihe chippt. Ein solchen Anzug hat auch der Schauspieler getragen, nach dessen Bewegungen die Kreatur Gollum aus Peter Jacksons Verfilmung von "Der Herr der Ringe" gestaltet wurde. Und mit derselben Technik werden nun Bales Laufstil und Schusstechnik erfasst - nahezu alles, was ihn als Fußballer ausmacht.

Zunächst erscheint er wie ein Strichmännchen auf dem Bildschirm, dann legt der Computer ein Gittermodell um sein Abbild herum. Und dieses kann - natürlich wieder mit Computerhilfe - sozusagen tapeziert werden. Mit Hose und Trikot, mit Haut und Haar.

Haut und Haar: Für Perspektiven, bei denen man einen Spieler nur aus der Ferne sieht, würde die Genauigkeit leicht ausreichen, die sich mit diesem Verfahren erzielen lässt. Aber das Spiel bietet ja viel mehr: Schießt ein Spieler zum Beispiel ein Tor, posiert er wie seine Vorbilder aus Fleisch und Blut, reckt die Faust nach oben oder tanzt Samba. Und ist dabei ganz aus der Nähe und in Zeitlupe zu sehen.

Ein EA-Team reist um die Welt, um Spieler zu scannen

Damit das noch realer aussieht, unterzieht Electronic Arts (EA), der Hersteller von "Fifa", die Spieler noch einer weiteren Prozedur, genannt 3 D Head Scanning. Zuerst wurden nur die Stars großer Mannschaften en détail abgelichtet, doch nach und nach will EA alle Spieler großer Ligen in 3 D erfassen, natürlich auch die Kicker der Bundesliga.

Nur zu diesem Zweck reist deshalb ein EA-Team mit einer speziellen Ausrüstung um die Welt. Es ist ein Zelt mit so viel Technik darin, dass einem fast schwindlig werden könnte. Aber was heißt hier Zelt. Das Material des Kunststoff-Doms wirkt als Diffusor, verteilt also das Licht gleichmäßig, das sechs Hochleistungsblitzgeräte abgeben. Der Kandidat im Inneren wird von 18 digitalen Spiegelreflexkameras beäugt, die rundherum angebracht sind. Damit sie alle gleichzeitig auslösen, haben die EA-Techniker eigens eine Steuerbox entwickelt. Zwei High-End-Laptops nehmen die digitalen Rohdateien in Empfang, woraufhin sie mit Modellierungssoftware in einem aufwendigen Prozess in dreidimensionale Abbilder umgewandelt werden.

Für den Fußballer dauert die Fotosession nur ein paar Minuten, doch für die Bildbearbeitungsspezialisten bei EA beginnt danach erst die Arbeit. Einen ganzen Tag muss einer von ihnen investieren: "Manche Spieler, die nicht mehr so viele Haare haben, wollen, dass ich ihr Haar dichter mache", erzählt der EA-Fotograf Nigel Nunn. "Oder sie sagen, ich hab' mich heute Morgen nicht rasiert, kannst du das wegmachen? Aber mein Job ist es, sie so zu fotografieren, wie sie am Tag des Shootings aussehen." Für Details ist dann das Bildbearbeitungsteam zuständig. Nicht bloß, um den Eitelkeiten der Stars Genüge zu tun. Die Mitarbeiter müssen auch reagieren, wenn sich ein Spieler eine neue Frisur zulegt - was gar nicht so selten vorkommt.

Das gilt auch während der Saison. Denn das Besondere an "Fifa" ist, dass die Informationen über die Ligen und die Spieler ständig aktuell gehalten werden. Mit der Version des Spiels aus dem Vorjahr, "Fifa 13", hat EA die sogenannte Virtuelle Bundesliga eingeführt. Das ist nicht nur ein Wettbewerb, bei dem "Fifa"-Spieler für ihren Verein antreten können, auch die Informationen über die Spieler werden up to date gehalten. Stürmer X steckt in einer Formkrise, Verteidiger Y fällt wegen einer schwerwiegenden Verletzung für einige Monate aus? Und wie steht es eigentlich um den Teamgeist? So gut wie nichts bleibt außen vor, denn "Fifa" wird zwar vom EA-Studio in Kanada entwickelt, die Datenbank für die virtuelle Bundesliga aber aktualisieren Mitarbeiter bei EA Deutschland in Köln.

Einen Ligawettbewerb durchzuspielen, ist aber nicht die einzige Möglichkeit, die Fußballsimulation zu verwenden. Man kann auch Freundschaftsspiele mit beliebigen anderen Mannschaften austragen, kann Spieler kaufen und verkaufen - am Bildschirm kann man sich regelrecht verlieren in dieser Welt des Fußballs. Im Spielmodus "Seasons" etwa fängt man mit seiner eigenen Mannschaft ganz unten im Amateurbereich an und kann sich Liga für Liga hocharbeiten, bis man schließlich in der höchsten Spielklasse angekommen ist. Und dann macht es natürlich am meisten Spaß: "Wenn man mit Ribéry spielt, dann fühlt sich das auch so an", sagt EA-Pressesprecher Ralf Anheier, "der kann eben Tricks, die andere nicht draufhaben."

Und die virtuellen Kicker lernen ständig dazu. Um immer wieder einen neuen Anreiz zu schaffen, damit die Computerspiele-Fans um die 50 Euro für das jeweils neue Spiel ausgeben, kauft EA nicht nur für viel Geld die Rechte an zurzeit 33 Ligen mit etwa 600 Vereinen. Auch die Weise, wie sich das Spiel auf dem Bildschirm darstellt, ändert sich laufend. Für "Fifa 14", das seit Donnerstag auf dem Markt ist, wurde eine neue Engine entwickelt, wie die Programmierer sagen, der technische Unterbau, der sozusagen die Gesetze der Spielewelt festsetzt: Wie fliegt ein Ball, wenn ein Spieler in einer bestimmten Weise dagegen tritt? Was passiert, wenn ein Kicker plötzlich die Laufrichtung wechselt? Bei "Fifa 14" haben die Entwickler versucht, solche kinetischen Aspekte noch stärker zu berücksichtigen als in früheren Versionen.

Das Ziel: Noch mehr Realismus

Das Schwierige dabei: "Fifa", als Reihe das erfolgreichste Computerspiel überhaupt, läuft auf vielen unterschiedlichen Plattformen: Auf Sonys Playstation 3, auf Microsofts Xbox 360 und auf Windows-Computern. Das erfordert Kompromisse - auch deshalb, weil Playstation und Xbox mittlerweile schon acht Jahre alt sind - in der Welt der Computer eine kleine Ewigkeit. Erst in einem Monat kommen die Nachfolger auf den Markt, die Xbox One und die Playstation 4. Noch sind die "Fifa"-Versionen für diese Next Gen - nächste Generation - genannten Spielekonsolen nicht endgültig fertiggestellt. Aber die Vorabversionen lassen erwarten, dass das erheblich gesteigerte Potenzial der neuen Spielecomputer auch genutzt wird. Die Grafikdarstellung etwa soll um das Zehnfache gesteigert werden.

Das Ziel ist klar: Noch mehr Realismus. Bei den Bewegungsabläufen, bei der Ballphysik, bei den Gesichtern der Stars - diese Wünsche äußern die Fans in den lebhaft besuchten Communitys der Hersteller immer wieder. Aber wie ist es eigentlich für die Spieler, wenn sie ihre eigenen digitalen Abbilder über den Rasen flitzen sehen? Interessiert die das überhaupt? Die Quälerei im Training, der Druck durch die allgegenwärtigen Medien - haben die Fußballer nicht irgendwann genug vom Fußball?

Für Fußballspieler ein "Kindheitstraum, der in Erfüllung geht"

I wo! "Wenn man bei einem Trainingslager abends über die Gänge geht und in die offenen Türen schaut, dann wird da meistens nur ein Spiel gespielt", erzählt Christian Ziege, Ex-Profi und Trainer der deutschen U18-Nationalmannschaft. "Da wird dann auch schon mal der Trainer herausgefordert."

Und die aktiven Profispieler? Die derzeitige Generation ist mit dem Spiel, das es schon seit 1993 gibt, aufgewachsen. Für sie gehört es zusammen, das Dasein als Fußballstar und die virtuelle Berühmtheit. Der Dortmunder Mittelfeldspieler Nuri Sahin etwa bezeichnet es als einen "Kindheitstraum, der jetzt in Erfüllung geht", sagte er, als Nigel Nunn mit seiner Fotokuppel in Dortmund gastierte, um die 3-D-Aufnahmen der Spieler zu machen. Auch der Bayern-Defensivmann David Alaba, der in der "Fifa"-Ausgabe seiner Heimat Österreich zusammen mit dem Weltstar Lionel Messi auf dem Cover abgebildet ist, sieht das als Ehre, ja als Verpflichtung: "Hoffentlich kann ich das auch auf den Platz bringen." Bei den Bayern gehörten Spielekonsolen jedenfalls fest zum Reisegepäck, "die packt der Materialwart ein", sagt Alaba. Aber auch zu Hause - "ich krieg sehr viel Besuch aus Wien" - werde oft virtuell Fußball gespielt.

Zu den besten "Fifa"-Spielern bei den Bayern gehörten Bastian Schweinsteiger und Thomas Müller, erzählte Bayerns Dribbelkünstler Xherdan Shaqiri nach dem Pokalspiel gegen Hannover. Müller, das ist vielleicht die ultimative Herausforderung. Wenn es eine Figur in einem Computerspiel fertigbringt, Tore aus physikalisch nahezu unmöglichen Positionen zu schießen wie der unberechenbare Bayern-Offensivspieler, dann wird man an dem Spiel kaum mehr etwas verbessern können.

© SZ vom 28.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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