Computerspiel-Ausstellung in Washington:Sie sind Helden

Auf einmal stehen die Videospielhelden der Jugend im Museum rum. Das Smithsonian American Art Museum in Washington stellt in einer sehenswerten Ausstellung die Geschichte der Computerspiele dar. Mit dabei sind populäre Figuren wie Pac-Man, Super Mario und Zelda.

Matthias Kolb, Washington

Der 25. Dezember 1980 war der Tag, an dem sich alles im Leben von Chris Melissinos änderte. Der Fünftklässler riss ungeduldig das Geschenkpapier herunter und starrte auf sein Weihnachtsgeschenk: ein VIC-20, ein Heimcomputer von Commodore. "Diese graue Kiste transportierte mich in Welten, die jenseits meiner Träume lagen. Es waren Welten, die ich selbst erschaffen und kontrollieren konnte", erinnert sich Melissinos. Er brachte sich das Programmieren bei, arbeitete als Chief Gaming Officer bei Sun Microsystems und wurde zu einem leidenschaftlichen Sammler von Videospielen.

31 Jahre später bilden 20 Spielekonsolen aus Melissinos' Kollektion den Kern der Ausstellung "The Art of Video Games" im Smithsonian American Art Museum in Washington. Rund um den 42-Jährigen piept und blinkt es, auf Bildschirmen fliegen Raumschiffe durch Galaxien und Superhelden kämpfen gegen Roboter. Drei Jahre hat der Gastkurator an der Schau gefeilt, die die Entwicklung der Videospiele seit 1970 nachzeichnen soll.

Den indirekten Anstoss gab Wayne Clough, der für die 19 Museen, 20 Bibliotheken und neun Forschungszentren der Smithsonian Institution verantwortlich ist. Clough, der zuvor die Georgia Tech University leitete, lud 2009 junge Wissenschaftler zur Konferenz "Smithsonian 2.0" ein: Sie sollten überlegen, wie die Sammlungen besser präsentiert werden könnten - und welche Themen fehlten. Ein Teilnehmer war Chris Melissinos, der Elizabeth Broun überzeugte, die ehrwürdigen Hallen des American Art Museum für die Gamer zu öffnen.

"Videospiele sind heute überall: Sie werden in Schulen und Krankenhäusern ebenso eingesetzt wie beim Militär", erklärt die Museumsdirektorin. Sie selbst habe eine neue Welt entdeckt, berichtet die Kunsthistorikerin und sei nun Fan von "World of Warcraft". Melissinos legt großen Wert auf Interaktivität: "Nur wer einen Controller in der Hand hält, wird den Spaß verspüren, den Videospiele bereiten."

Pac-Man sollte die Mädchen begeistern

Anhand von fünf Beispielen sollen die Besucher die Entwicklung nachvollziehen. Es beginnt mit "Pac-Man", jener hungrigen gelben Kugel, die bunten Geistern ausweicht. Der Klassiker aus dem Jahr 1981 war auch so erfolgreich, weil Game-Designer Toru Iwatani erfolgreich eine neue Zielgruppe anlockte: "Pac-Man" sollte Mädchen begeistern, die sich zu Dates in Spielhallen verabreden. Iwatani wusste: Wenn es ihr gefällt, dann zockt auch der Verehrer.

Nebenan dringt der Sound von "Super Mario Bros." aus den Boxen: Die Melodie ist so einprägsam, weil ihre Geschwindigkeit auf die Bewegungen der abenteuerlustigen Klempner abgestimmt ist. In den neunziger Jahren, vertreten durch "The Secret of Monkey Island" und "Myst", ermöglichen schnellere Prozessoren vielschichtigere Erzählstrukturen und 3D-Effekte. Auch für den Menschen vor dem Bildschirm wird es kniffliger: Er muss immer mehr Knöpfe am Controller bedienen, was im Smithsonian manche überfordert.

Suchtgefahr und Killerspiele ausgespart

Dass die Preise für Equipment steigen, bremst den Boom keineswegs, denn die Spieler sind kaufkräftig: 2010 wurde weltweit 56 Milliarden Dollar mit Videospielen umgesetzt - doppelt so viel wie mit Musik. PriceWaterhouseCoopers erwartet, dass der Wert bis 2015 um fast die Hälfte steigt. In Amerika sind laut Entertainment Software Association 42 Prozent aller Gamer weiblich, das Durchschnittsalter beträgt 37 Jahre. Sie suchen stets nach Neuem wie "Flower", dem letzten Play-it-yourself-Beispiel.

Darin übernimmt der Spieler die Rolle des Windes und muss möglichst viele Blumenblätter sammeln, um Landschaften zum Blühen zu bringen. Im Video-Interview erklärt der in Shanghai geborene Jenova Chen, weshalb er sich als Künstler sieht: "Nur ein Game ermöglicht es mir, den Spieler mit dem Gesicht voran durch eine Wiese fliegen zu lassen, so dass er denkt, die Blumen riechen zu können. Kurz darauf fliegt er nach oben und bewundert die Natur." Ein Gemälde könne dies nicht vermitteln, sagt der 30-Jährige.

Diese Haltung wundert Chris Melissinos nicht. Ein guter Spiele-Designer müsse Musik mit Animation, Film-Elementen und einer packenden Story kombinieren, betont der Kurator. Jeder Besucher müsse entscheiden, ob seine Definition von Kunst auf Videospiele anwendbar sei. "Für mich entsteht Kunst, wenn ich die Perspektive eines Autors übernehme, mich diese berührt und ich sie mit meinem Moralempfinden ausfülle", erklärt Melissinos. Diese Debatte werde bald überflüssig sein: "Gamer wie ich erziehen die nächste Generation. Für meine drei Kinder ist ein Videospiel gleichwertig mit Filmen und Büchern."

Natürlich kann ein komplexes Game wie "Heavy Rain", in dem der Spieler mithilfe von vier Charakteren nach dem mysteriösen "Origami-Killer" fahndet, nicht von jedem Besucher getestet werden. Am Schaukasten der PlayStation 3 werden Grafik und Story jedoch kurz und verständlich erklärt, denn die Schau stellt zu jeder der zwanzig Konsolen vier Spiele vor. Melissinos traf dabei nur eine Vorauswahl und ließ die Gamer online entscheiden: In fünf Wochen bestimmten 119.000 Menschen aus 175 Ländern ihre Favoriten.

Ausstellung erreicht Rekordbesucherzahlen

"So viele Leute hat unser Museum noch nie erreicht", schwärmt Direktorin Elizabeth Broun. Über Mikrospenden per SMS habe man 19 000 Dollar eingenommen und bisher hätten 450.000 Menschen die Schau besucht, die bald durch zehn US-Städte touren wird. "The Art of Video Games" bietet eine exzellente Einführung und gewiss ist das Feld zu groß, um alle Aspekte abbilden zu können. Dennoch fällt auf, dass kontroverse Themen wie Suchtgefahr und Killerspiele ausgespart bleiben. Broun und Melissinos wollten eher Vorurteile abbauen - und interne Abläufe modernisieren.

So beschäftigt das American Art Museum nun eine Mitarbeiterin für "Web and Social Media Content", die das Ausstellungsmaterial allen Interessierten im Netz bereit stellt: In Video-Interviews geben Entwickler wie David Cage Einblick in ihren Alltag und Pioniere wie Atari-Gründer Nolan Bushnell erinnern sich an ihre Anfänge. Der 69-Jährige ermuntert junge Leute, ihr Glück in der Gaming-Branche zu versuchen: "Ihr könnt reich werden und es gibt nichts Besseres als während der Arbeit das zu tun, was Menschen schon immer getan haben: zu spielen."

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