Computer-Olympiade:Eine Stimmung wie auf dem Center Court

Statt auf den Fußballplatz gehen sie ins Internet: Bei den World Cyber Games in Brandenburg treffen sich mehr als 200 Computer-Athleten zwischen Palmen. Es geht um die Teilnahme an den "Olympischen Spielen" in Singapur.

Jürgen Schmieder

Niklas Timmermann sitzt auf einer Bühne zwischen Palmen und brandenburgischem Sandstrand. Seine Finger fegen über den Controller, die Hände trocknet er kurz an einem Handtuch ab. Der Schweiß auf seiner Stirn - ebenso künstlich erzeugt wie die Stadt, durch die er gerade rast - tropft auf die Computertastatur.

Computer-Athleten in Malaysia

Ein kurzes Spiel am Strand, und schon ist man für Singapur qualifiziert. So einfach ist es nicht, die Stimmung war dennoch sehr locker.

(Foto: Foto: Stadtler)

Er fährt die letzte Runde seines Rennens durch die Straßenschluchten der imaginären Stadt Bay View. Er ist weit in Führung und gewinnt das Rennen locker. "Ja!", ruft er, ballt seine rechte Faust und legt seinen Controller weg. Sein Ticket nach Singapur hat er damit gelöst: Mit diesem Sieg gehört er zur deutschen Nationalmannschaft der Computerspieler.

Die "World Cyber Games" in Singapur sind die Olympischen Spiele für den Computersport. Weltweit sind es über drei Millionen Menschen, die den virtuellen olympischen Gedanken in sich tragen. Allein in Deutschland gibt es knapp 600.000 so genannte E-Sportler, die an Turnieren teilnehmen und um Plätze in den Endausscheidungen kämpfen. Der deutsche Volleyballverband zählt übrigens schlappe 510.000 Mitglieder.

Die besten Spiele werden live übertragen

Die besten 200 Spieler in acht Disziplinen von Fußball bis Strategie haben sich für das Finale qualifiziert. Sie treten bei tropischen Temperaturen und zum Klang von Bongotrommeln gegeneinander an. Virtueller Sport in einer virtuellen Umgebung: Das Tropical Island in Brandenburg ist eine surreale Südseeimitation in der ehemaligen Cargolifterhalle. Die interessantesten Spiele werden live auf einer Großleinwand übertragen.

Etwa 200 Zuschauer nehmen am Strand Platz und leiden mit ihren Favoriten wie den Counterstrike-Spielern vom Team 64.AMD. Sie haben gerade ihr Erstrundenmatch verloren. Bei einem Bier in der taiwanesischen Strandbar analysieren sie das Spiel.

Immer dabei: Ein Rucksack für die Sportsachen. Worin vor 15 Jahren noch Fußballschuhe, Schienbeinschoner und ein Trikot transportiert wurden, befinden sich heute eine Tastatur, eine Maus und eine Unterlage. "Jeder Spieler darf seine eigene Ausrüstung mitbringen, nur die Computer werden gestellt", sagt Thomas von Treichel. Er organisiert die deutsche Endausscheidung seit ihrem Beginn im Jahr 2000.

"Wir konnten die neue Version des Spiels nicht lange genug trainieren und dieser Rückstand macht sich jetzt bemerkbar", sagt Dennis Kroh. Er ist Wirtschaftsstudent an der Universität Darmstadt und erst seit kurzer Zeit in der Mannschaft von 64.AMD.

Die anderen Mitglieder kommen aus Berlin, Ulm und Paderborn. Viermal in der Woche trifft sich die Mannschaft online, um gemeinsam für die großen Turniere zu üben. Statt auf den Fußballplatz gehen sie ins Internet. Sie spielen zusammen, sprechen mit Kopfhörer und Mikrofon über alltägliche Dinge und lösen auch private Probleme.

Computerspiele sind gesellschaftlich etabliert

"Wir sehen uns selten, kommunizieren aber fast täglich mehrere Stunden miteinander", sagt Kroh in Anspielung auf das Klischee des einsamen Zockers im Keller. Zusammen haben sie fast die ganze Welt bereist. "Durch den Computersport war ich im vergangenen Jahr in Spanien, Rumänien und in den Vereinigten Staaten", sagt Kroh.

Längst haben sich Computerspiele gesellschaftlich etabliert, sie sind aus den Kinderzimmern hinaus in das kulturelle Leben getreten. "Wir sind natürlich noch nicht so weit wie in Korea", sagt von Treichel.

Dort gehört Computersport zur Lebenskultur, Sportzeitschriften berichten über Veranstaltungen, die Feuilletons feiern Sieger wie Popstars. Immerhin verfügen die deutschen Teams über Homepages, die liebevoller gestaltet sind als die mancher Fußball-Bundesligisten.

Spitzensportler in Korea verdienen bis zu 200 000 US-Dollar. Pro Jahr. Von diesen Summen sind deutsche Spieler noch entfernt. "Unsere Mannschaft hat in diesem Jahr etwa 15 000 Euro eingenommen", sagt Daniel Leichtle, ebenfalls vom Team 64.AMD. Der 17-jährige Timmermann - amtierender Weltmeister im Spiel "Need for Speed" - wird 2005 ungefähr 30 000 Euro verdienen. Und das bei drei Stunden Training pro Tag.

Wenn Timmermann die Spielbühne betritt, ist der Strand meistens gut besucht. Selbst Besucher ohne Computerkenntnisse bleiben am Strand stehen und beobachten staunend, wie Timmermann seine Gegner zur Verzweiflung bringt. Der Kommentator neben der Leinwand erklärt den Zuschauern: "Niklas hat alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt."

Die Übertragung auf der Leinwand wirkt, als würde man mit Michael Schumacher zusammen über den Asphalt fegen. Nur, dass der Protagonist drei Meter entfernt sitzt und hinterher zum gemeinsamen Baden in der Lagune einlädt. Derweil diskutiert die Konkurrenz das Setup seines Rennwagens und versucht, taktische Schwächen zu erkennen. Wie in anderen Sportarten eben auch.

Im Bereich der erwachsenen Spieler herrscht eine Stimmung wie auf dem Center Court der US Open. Aufgrund der Jugendschutzbestimmungen dürfen manche Spiele nur von Sportlern über 18 Jahren gespielt werden - auch die Rezeption des Spielinhalts ist nur älteren Zuschauern gestattet. Gerade hat ein Teilnehmer die gegnerische Mannschaft im Alleingang besiegt, die Anhänger vor den Bildschirmen toben und bejubeln den Spielzug.

Die Fan-Gemeinde der Computer-Olympiade wächst seit Jahren beständig: Vor fünf Jahren beteiligte sich eine Handvoll Nationen an den WCG. Heute kämpfen Spieler aus 80 Ländern um insgesamt eine Million US-Dollar, die sich jeweils zur Hälfte in Preisgeld und Sachpreise unterteilt. Die Clans - so werden Mannschaften im virtuellen Sport bezeichnet - versorgen die Spieler mit neuen Computern und übernehmen die Kosten für Fahrt und Unterbringung.

"Der E-Sport ist einer der größten Wachstumsmärkte überhaupt", sagt von Treichel. Die Teilnehmer haben sogar Einfluss auf wirtschaftliche Entwicklung des Computer-Marktes. "Sie geben selbst viel Geld für Hardware aus und beraten ihre Freunde als Experten beim Kauf von Computern und Zubehör", sagt von Treichel.

Dennoch zögern in Deutschland traditionelle Werbekunden, den Computersport signifikant zu unterstützen, sondern verlassen sich eher auf konventionelle Werbestrategien. Zu groß sind die Vorbehalte gegen Computerspiele, zu negativ das Image. Noch.

Keine Zigarette danach

Die deutsche Endausscheidung im künstlichen Tropenparadies macht es deutlich: Computerspiele sind erwachsen geworden. Die Protagonisten sind keine einsamen Teenager mit durchsichtiger Haut und dicker Brille. Sie sind Athleten in einer virtuellen Arena, ihr Werkzeug ist - ähnlich wie in der Formel Eins - eine technisch hoch entwickelte Maschine.

So sehen sich die Spieler. Wie Mario Jurischka aus München, mit 29 Jahren einer der ältesten Teilnehmer. Ans Aufhören will er erst denken, wenn er mit den Reaktionen der jüngeren Konkurrenz nicht mehr mithalten kann. Als ihm ein Journalist eine Zigarette anbietet, lehnt er ab: "Rauchen? Ich bin Sportler!"

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