Comedy auf YouTube:Die witzigen Kanalarbeiter aus der Videowelt

Angenehme Spätpubertät: Bei YouTube entsteht eine neue Form von Comedy, die interaktiv wie anarchistisch ist. Die Stars verdienen ernsthaft Geld.

Marc Felix Serrao

Ist Kia cool? Bis vor kurzem hätten die meisten Autoliebhaber wohl verneint. Der koreanische Konzern bietet zwar die komplette Modellpalette, nach Expertenmeinung sogar brauchbare Geländelimousinen. Aber cool, das waren andere.

YouTube-Comedy

YouTube-Comedian Kassem G: Keine Angst vor Zoten.

(Foto: Screenshot: YouTube.com)

Dann kam der Mai 2010 und mit ihm das "Kia Soul Hamster Commercial" mit der wummernden Musikuntermalung "The Choice is Yours" des Hip-Hop-Duos Black Sheep. Im Video sah man als Rapper verkleidete Hamster durch New York schlendern und die neue, bullige "Soul"-Klasse der Firma feiern. Das Filmchen wurde ein Riesenerfolg, vor allem im Netz. Bis heute läuft es in den "Viral Video Charts", den Top-20 der beliebtesten Online-Videos.

In dieser Woche nun hat Kia eine neue Strategie präsentiert: "Who's next?" Die Firma sucht den "neuen YouTube-Star'". Wer mitmachen will, soll auf dem Kanal des Konzerns bei der weltgrößten Videobörse kurze Filme hochladen und erklären: "how you roll" - wie du abgehst. Der Sieger bekommt 10.000 Dollar. Was nach einem peinlichen Versuch klingt, sich an junge Mediennutzer ranzuwanzen, könnte sogar klappen. Denn Kia ist nicht allein. Unterstützt wird die Firma vom dicken Shay Carl, der kichernden Blondine Lisa Nova und zwei affektierten Schlacksen namens Ian Hecox und Anthony Padilla. Nie gehört? Eher: noch nicht.

Spätpubertär, aber angenehm

Im englischsprachigen Raum zählt das Quartett zur immer einflussreicheren Gruppe der YouTube-Celebrities. So nennt man Menschen, die in der analogen Welt keine Sau kennt, die online inzwischen aber Hunderttausende Fans haben. Lisa Nova etwa. Die 30-jährige New Yorkerin hat seit 2006 einen YouTube-Kanal, also ihre eigene Seite, auf der sie Videos ins Netz stellt. Wie die anderen Werbepartner von Kia, wie überhaupt fast alle Online-Celebrities, produziert sie Comedy.

Mal veralbert Lisa mit piepsiger Stimme Make-up-Künstlerinnen, die in Videos zeigen, wie man sich schminkt ("Drunk Make-up Tutorial"), mal spielt sie einen romantischen Abend vor, der in die Hose geht ("Date from Hell"). Der Humor ist eher spätpubertär, aber angenehm rotzig und schnell. Das finden auch Lisa Novas inzwischen rund 560.000 regelmäßige Zuschauer, die ihren Kanal zur 34.-meistabonnierten YouTube-Seite gemacht haben. Tendenz: steigend.

Wie Humor Marken interessant macht

Bei der Google-Tochter YouTube werden pro Tag im Schnitt zwei Milliarden Clips abgespielt. Die Werbetreibenden haben längst kapiert: Es gibt keinen schnelleren, potentiell weitreichenderen Weg, auf Produkte aufmerksam zu machen als in Form von Online-Videos. Wer den richtigen Ton trifft, kann binnen Tagen Millionen von Zuschauern erreichen.

Bestes Beispiel: Old Spice. Die YouTube-Seite der Firma, die seit gefühlten 100 Jahren das olle Herrenwässerchen aus dem Supermarkt produziert, ist aktuell der meistgesehene Kanal überhaupt. Wegen ein paar Videos, in denen ein knackiger junger Kerl den "Ladies" verspricht, dass ihr Mann zwar nicht so aussehen mag wie er, mit Old Spice aber bald so riechen könnte. Die Clips, die sämtliche Klischees weiblicher Romantik veralbern, sind in der Tat sehr lustig. Und sie sind perfekt auf den gerne etwas böseren Humor der Onlinevideogucker zugeschnitten.

Weil ein Treffer wie der von Old Spice aber selten gelingt, setzen immer mehr Firmen auf die Tonangeber bei YouTube. Menschen wie Lisa Nova, mit ihrer halben Million Fans, die eifrig alles kommentieren und weiterleiten, was ihre Heldin von sich gibt. Es ist nicht bekannt, was die Komikerin und ihre Mitwerber für den Auftritt im Kia-Video bekommen haben, aber es dürfte ordentlich sein.

Und es ist längst nicht die einzige Geldquelle. Wer regelmäßig eigene Videos hochlädt und damit ein gewisses Publikum erreicht, kann sich seit einiger Zeit als "Partner" des Portals bewerben. Die Bedingung: Er muss die Urheber- und Verbreitungsrechte am Material besitzen. Der Vorteil: Partner werden am Umsatz beteiligt, dem Geld, das Werbebanner und Firmenclips einbringen, die vor die Nutzervideos geschaltet werden. Das war lange nicht viel, und für die meisten Künstler ist es das bis heute nicht.

Hauptberuflich bei YouTube

Wer es aber schafft, in die Liga von Lisa Nova vorzudringen, in die Top-50 der YouTube-Partner, kann aufhören zu arbeiten - also in der analogen Welt. "Unsere amerikanischen Top-Partner, deren Videos von Hunderttausenden Leuten geschaut werden, kommen pro Monat schnell auf fünfstellige Dollarbeträge", sagt YouTube-Sprecher Henning Dorstewitz.

In Deutschland ist der Markt noch überschaubar. Den populärsten Partnerkanal betreiben zwei junge Männer, die als "Die Außenseiter" mit übertrieben osteuropäisch anmutendem Akzent Comedy für ein sehr junges Publikum machen. Der Kanal hat fast 355.000 Abonnenten und beschert den Betreibern Dorstewitz zufolge über die Werbung "in guten Monaten vierstellige Beträge".

Interaktion ist der Schlüssel

Was verlockend klingt, vor allem für potentielle YouTube-Partner, ist mit viel Arbeit verbunden. Keiner, der nur Zeug hochlädt und ignoriert, was das Publikum dazu sagt, hat hier Erfolg. Ein paar Beispiele aus den Top 20: Mystery Guitar Man etwa, ein Musiker mit derzeit rund 1,15 Millionen Abonnenten, hat erst im Mai ein Video nur mit Hunderten Fotos seiner Fans gemacht ("Mystery Guitar People").

Oder Ray William Johnson, ein Student aus New York, der für seine fast 1,7 Millionen Abonnenten zwei Mal pro Woche gefilmte Missgeschicke zeigt und launig kommentiert: Am Ende jeder Folge lädt er die Nutzer ein, ihm in einem Video eine Frage zu stellen, irgend eine.

"Kassem G hat Sex mit seiner Mutter"

Die Antworten schreiben die anderen Nutzer in die Kommentarbox. Es sind jedes Mal Tausende. Johnson wählt drei aus und zeigt sie im nächsten Clip. Zuletzt: Was ist das schlimmste, das du je getan hast? Viele der Antworten - obwohl eigentlich eine Bedingung für YouTube-Partner - sind alles andere als jugendfrei.

Am weitesten geht der kalifornische Comedian Kassem G, der am Venice Beach in L.A. Menschen auflauert und ihnen intime Fragen stellt. Bei den Fragen lässt er sich von seinen Fans inspirieren. Als einer seiner rund 850.000 Abonnenten vorschlug, Kassem G möge über das Thema "Kassem G hat Sex mit seiner Mutter" reden und viele Nutzer die Bitte unterstützten, da machte er den geschmacklosen Vorschlag gleich zum Titel eines Videos.

Vielleicht ist das die wichtigste Lehre für die wachsende Zahl von Firmen, die auf YouTube etwas verkaufen wollen, und für die Leute, die sich von ihnen einspannen lassen. Trotz Partnerprogramm und Werbebeteiligung ist das Portal immer noch recht wild und kaum berechenbar.

Ob der Autobauer Kia mit seinem Wettbewerb am Ende gut dasteht, weiß keiner. Selbst die vier Celebrities können keinen Erfolg garantieren. Im schlimmsten Fall geht die Aufmerksamkeit, die durch sie entsteht, sogar nach hinten los. Wie im Fall Sascha Lobo. Deutschlands mit Abstand bekanntester Blogger dachte sich vor einem Jahr auch, dass er einen Teil seiner Popularität auf ein Mobilfunkunternehmen übertragen könnte. Von den Reaktionen auf die Kampagne hat sich sein Image bis heute nicht richtig erholt.

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