Chaos Computer Club:Wissen verpflichtet

Vom kleinen Verein zur relevanten Lobby-Organisation: Ihr schieres Wissen verpflichtet die Mitglieder des Chaos Computer Clubs inzwischen zum Engagement auf politischer Ebene.

Johannes Boie

In der Regel sind sie männlich, langhaarig und schwarz gekleidet. Auf ihren T-Shirts stehen Sätze wie: "Realität ist dort, wo der Pizzamann herkommt." Solche Sprüche halten die Mitglieder des Chaos Computer Clubs (CCC) für selbstironisch, weil sie damit auf das Klischee anspielen, mehr in Computerwelten als in der Realität unterwegs zu sein. Aber der Witz entspricht nicht nur dem Humor der Club-Mitglieder, er beschreibt auch ihr Leben viel besser als sie selbst vielleicht glauben.

Chaos Computer Club: Schild beim Eingang der Jahreskonferenz 2009 des Chaos Computer Clubs in Berlin: Viele Mitglieder brauchen zum Leben nicht viel mehr als eine Eingabezeile auf einem Bildschirm.

Schild beim Eingang der Jahreskonferenz 2009 des Chaos Computer Clubs in Berlin: Viele Mitglieder brauchen zum Leben nicht viel mehr als eine Eingabezeile auf einem Bildschirm.

(Foto: Foto: dpa)

Beim 26.Club-Treffen, dem Chaos Communication Congress, der gerade in Berlin stattfand, wurde zumindest deutlich, dass viele CCC-Mitglieder zum Leben nicht viel mehr als eine Eingabezeile auf einem Bildschirm brauchen.

Andererseits demonstrierten die Hacker im Gegensatz zu ihrem homogenen Äußeren die innere Vielfalt ihres Clubs. Während in den Kellerräumen des Messegebäudes die Lötkolben dampften, weil die Elektrotechniker unter den 3500 Mitgliedern ihre eigene Hardware zusammenschraubten, programmierten in anderen Räumen Hunderte Hacker neue Projekte, verbesserten Software und untersuchten bestehende Computersysteme auf mögliche Sicherheitslücken.

Scherz mit der Website der CSU

Zum Beispiel die Webseite der CSU in Rosenheim, mit der sich die Hacker einen Scherz erlaubten: Ausgerechnet das umstrittene, von Ursula von der Leyen vorgeschlagene und vom CCC als Zensurmaßnahme gebrandmarkte digitale Stopp-Schild platzierten sie auf der unzureichend gesicherten CSU-Webseite.

Zwischendurch wurde auf dem Kongress in Workshops und Podiumsdiskussionen debattiert und gestritten - zum Beispiel über das Online-Lexikon Wikipedia, über mangelhafte Soft- und Hardware und über die Struktur des Clubs.

Denn auch das gehört zum CCC: "Wir erarbeiten unsere Positionen immer in einer internen, gerne auch harten Auseinandersetzung", sagt Club-Sprecher Andy Müller-Maguhn.

Breite Kampagnen

Doch im Großen und Ganzen sind die Hacker friedlich und nutzen ihr umfangreiches Wissen zunehmend für ihren Einsatz auf politischer und gesellschaftlicher Ebene.

Die Wissenslücken nationaler und europäischer Parlamentarier bei den Themen Internet und Technik versuchen die Clubmitglieder durch breite Kampagnen und gezielte Aktionen zu schließen.

Notfalls auch durch handfeste Beweise - wie die erfolgreiche Manipulation von Geräten, die als Wahlcomputer eingesetzt werden. Mehr und mehr sucht der Club aber auch das Gespräch: "Wir reden mit vielen Abgeordneten", sagt Sprecherin Constanze Kurz. "Da erklären wir dann, was ein bestimmtes Gesetz auf technischer Ebene bedeutet." Nutzt die ganze Information nichts und die Parlamentarier verabschieden dennoch, was dem Club als falsch erscheint, dann kämpfen die Hacker auch vor Gericht. Derzeit berät das Bundesverfassungsgericht über die umstrittene Vorratsdatenspeicherung - auch auf Grundlage einer offiziellen Stellungnahme des CCC.

Riesiges Wissen

Leitlinien bei jedem Engagement des Clubs sind das Recht auf frei verfügbare digitale Information für jeden Bürger, die Eindämmung staatlicher Überwachungsmaßnahmen sowie der Kampf gegen Zensur.

Der Wandel vom kleinen Verein einer technischen Elite zur gesellschaftlich relevanten Lobby-Organisation ist durch das schiere Ausmaß an Wissen bedingt, das die Mitglieder des Clubs über digitale Technik angesammelt haben.

Man wisse eben viel besser als normale Netznutzer, wo und wie Geheimdienste, Behörden und Konzerne Zugriff auf die Daten einzelner Bürger erlangen könnten, sagt Kurz, die selbst an einer Berliner Universität Informatik unterrichtet. "Und Wissen verpflichtet."

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