CES in Las Vegas:Diese Brille soll jetzt wirklich smart sein

CES in Las Vegas: Die smarte Brille von Zeiss soll die von Google toppen.

Die smarte Brille von Zeiss soll die von Google toppen.

Die Datenbrille von Google war ein Flop. Nun legt Zeiss nach - mit einer neuen Technik.

Von Kathrin Werner und Jürgen Schmieder, Las Vegas

Die Technologiemesse CES ist ein Ort permanenter Reizüberflutung: Hostessen drücken dem Besucher mit Glitzersternchen besetze Fitnessarmbänder in die Hand, ein Meerjungfrauen-Zombie will zu einem Stand mit Leuchtkreide locken, hin und wieder fliegt eine Schaumstoffrakete mit Werbebotschaft durch die Gegend. Überall gibt es bunte Bildschirme, Popmusik-Beschallung und Stimmengewirr. Nur nicht bei Zeiss Smart Optics.

Abseits der CES in einem Hotel, im vierten Stock hinter einem tristen Gang hat sich das Unternehmen ein noch tristeres Zimmer angemietet. Immerhin drei Poster mit Zeiss-Erfindungen haben sie an die grauen Wände gehängt. Es gibt keine leichtbekleideten Frauen, keine Musik, keine Cocktails. Was es aber gibt, zumindest glauben das die Mitarbeiter des eigenständigen Start-ups innerhalb des Zeiss-Konzerns, ist der Heilige Gral der Smartglasses, das nächste große Ding für tragbare Technologie, ein Durchbruch der deutschen Ingenieurskunst. Geschäftsführer Kai Ströder strahlt pausenlos über die Optik-Erfindung seiner Leute.

Google-Glass-Flop

Natürlich werden nun alle, die sich noch an die Datenbrille von Google erinnern, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Ja, das Gerät war ein ziemlicher Reinfall - vor allem deshalb, weil selbst attraktive Menschen damit scheußlich aussahen. Für Google-Glass-Träger wurde der Begriff Glasshole erfunden. Kaum jemand wollte den Minicomputer mit Minidisplay haben, der auf das Gestell einer Brille montiert wurde und mit dem man im Internet surfen oder Fotos schießen konnte. Schlaue Brillen, das schien doch nicht so eine tolle Idee zu sein.

Das wollen sie aber bei Zeiss nicht glauben - vor allem deshalb, weil die Träger der Brillen mit den von den Zeiss-Forschern frisch erfundenen Gläsern aussehen wie ganz normale Brillenträger. Die Entwicklung soll ermöglichen, ganz normal aussehende Brillen zu produzieren. Die Linse ist, anders als bei bisherigen Smart Glasses, wie bei einer handelsüblichen Brille gebogen. Sie kann dennoch ein gut erkennbares Bild zum Auge des Trägers schicken, der Bildschirm wirkt, als würde er direkt vor dem Auge schweben. Das gab es bislang nicht. Stapelweise Studien habe er gesammelt, die bewiesen hätten, dass es gar nicht funktionieren könne, sagt Ströder.

Belächelt als "Jugend forscht"

Auch Zeiss-intern haben viele nicht so richtig geglaubt, dass die Entwickler das schaffen. "Jugend forscht", haben die Älteren im Konzern das Start-up genannt. Ströder ist 37 Jahre alt. "Wir hatten hitzige Diskussionen im Büro, Leute, die schreiend und gegen Mülleimer tretend aus dem Raum laufen", sagt er. Zeiss ist ein hohes Risiko eingegangen mit der "Jugend forscht"-Gruppe. "Man kann naturwissenschaftliche Gesetze nur bedingt beeinflussen. Wir hatten die feste Überzeugung, dass es funktioniert, aber gewiss keine Sicherheit", sagt Ströder.

Zehn Monate hatte das mit sämtlichen Ressourcen und Patenten des Konzerns ausgestattete Team Zeit, einen brauchbaren Entwurf vorzulegen. In buchstäblich letzter Sekunde - die Präsentation beim Vorstand war von Ende Oktober auf Mitte November verschoben worden - gelang der Durchbruch. Der Brief, mit dem der Vorstand dem Start-up persönlich gratuliert, hängt jetzt im Büro.

Ströder ist nun mit dem Cheftechniker eilig nach Las Vegas geflogen ist, um seine Entwicklung dem Fachpublikum auf der CES vorzustellen. Vor allem aber soll er nach möglichen Kooperationspartnern suchen, schließlich will Zeiss keine Datenbrillen bauen, sondern nur die Linse liefern. Das ist das prägende Geschäftsmodell des Unternehmens - die Produkte sind in Smartphones, Kameras und von 2018 an auch im Hubble-Teleskop zu finden.

Und das ist der Ja-aber-Moment. Sie sind bei Zeiss davon überzeugt, ein bahnbrechendes Produkt geschaffen zu haben - sie wissen aber nicht, ob es für dieses Produkt auch einen Markt geben wird. Das muss nicht an der Linse liegen, doch wer sich auf der CES an Glitzersternchen und Schaumstoffraketen vorbeigekämpft hat und die tragbaren Technologieprodukte betrachtet, der sieht Datenuhren, Armbänder, Ringe, Klamotten mit Sensoren, schlaue Schuhe - aber nur eine Handvoll Hersteller von Smartglasses.

Das lässt sich in zwei Richtungen interpretieren: Die Technologiebranche hat nach dem Flop der Google-Brille erst einmal genug von Datenbrillen und konzentriert sich auf andere mit Gadgets zu bestückende Körperteile - oder sie hat tatsächlich auf das gewartet, was die Zeiss-Mitarbeiter als Heiligen Gral feiern. "Ob die Welt das cool findet und braucht und ob da ein Markt da ist, das entscheidet bei uns kein Vorstand, sondern der Verbraucher und das Feedback des Marktes", sagt Ströder.

Das Start-up hat vom Konzern eine Frist von nur wenigen Monaten bekommen, um sich mit Kooperationspartnern zu einigen und dann möglichst schnell eine präsentable Brille zu produzieren, um den Vorsprung zu nutzen. Es habe in Las Vegas Gespräche mit möglichen Partnern geben, die von Technologie-Platzhirschen bis zu ambitionierten Start-ups reichen. Was sie nicht verraten: Wie ergiebig diese Gespräche waren und ob sie die Linse zu einem Preis herstellen können, der inklusive Gestell und Projektor noch attraktiv für den Kunden ist.

Ein kurzes Anprobieren des Prototypen zeigt: Der Träger sieht nicht ulkig aus, sondern ganz normal - und er kann die gelieferten Bilder gut erkennen. Bleibt die Frage, ob der Mensch das will: eine Brille für zusätzliche Reizüberflutung in einer ohnehin reizüberfluteten Welt. Sie haben ein revolutionäres Produkt geschaffen bei Zeiss - ob es allerdings eine komplette Branche revolutionieren wird, das muss sich erst zeigen.

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