Bundestagswahl:Bringen Sie Licht in den dunklen Facebook-Wahlkampf

Facebook Tool

Auf Facebook werden Menschen mit Wahlwerbung konfrontiert - doch wer was genau sieht, blieb bisher intransparent.

(Foto: Grafik von SZ.de)

Auf Facebook können Kandidaten ihre Wahlwerbung für bestimmte Menschen maßschneidern - und keiner weiß, wer welche politischen Botschaften sieht. Mit diesem Tool können Nutzer mithelfen, Tricks der Parteien aufzudecken.

Von Jannis Brühl und Vanessa Wormer

Der Bundestagswahlkampf findet nicht nur auf Plakaten, Marktplätzen und im Fernsehen statt. Soziale Netzwerke, allen voran Facebook, ermöglichen den Parteien neue Wege, den Bürger mit ihrer Werbung um Stimmen zu erreichen. Doch diese Form des digitalen Wahlkampfes ist viel intransparenter als der traditionelle. Das will die SZ in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Recherche-Büro ProPublica sowie Tagesschau.de und Spiegel online ändern.

Auf Facebook treffen die Wahlkampagnen der Parteien auf die Datensammler des sozialen Netzwerkes. Weil Facebook so viel über uns weiß - wo wir leben, was uns interessiert, welche Medien wir konsumieren - sollen Anzeigen über das Netzwerk äußerst genau ausgespielt werden. Das ist zumindest Facebooks Versprechen an Werbetreibende, und das können nicht nur Unternehmen sein, sondern eben auch Parteien oder einzelne Politiker.

So erscheint im Facebook-Stream mancher Nutzer kurz vor der Wahl neben Werbung für Sneaker oder Zeitschriften auch Parteien-Werbung: Der FDP-Bundestagskandidat Thomas Sattelberger tritt in der Nähe auf, er "diskutiert mit Hobbythek-Veteran Jean Pütz". Und auch die neue Kleinpartei "Demokratie in Bewegung" wirbt um die Zweitstimme des Nutzers.

Das so genannte Microtargeting - das zielgenaue Ausspielen der Werbung - bringt es mit sich, dass eben immer nur die gewünschte Gruppe von Menschen eine bestimmte Anzeige sieht (etwa mittelalte Männer in Bayern, die Indie-Rock mögen).

Parteien können das Microtargeting für widersprüchliche Versprechen nutzen

Was bei kommerzieller Werbung keine politischen Konsequenzen hat, kann im Wahlkampf zu Verzerrungen führen. Wenn die Anzeigen nicht für alle sichtbar sind, können Journalisten Behauptungen, die Parteien in diesen Anzeigen aufstellen, nicht überprüfen, politische Gegner nicht widersprechen, wenn sie von einer anderen Partei angeschwärzt werden. Parteien können zu einem Thema widersprüchliche Versprechen machen - je nachdem, an welche Gruppe die Anzeige geht - und niemand würde es merken. Für Forscher wird es unmöglich, sich einen objektiven Überblick zu verschaffen, wer welcher Nutzergruppe was verspricht. Negativkampagnen, also Anfeindungen politischer Gegner, werden weniger riskant für Politiker, wenn nur die Menschen, die aufgrund der Daten als empfänglich für sie gelten, sie sehen. Mehr zu der Debatte hier und hier.

Erst am Mittwoch hatte Facebook erklärt, dass tausende Accounts aus Russland heraus durch Anzeigenkäufe versucht hätten, die politische Debatte in den USA vor den Präsidentschaftswahlen 2016 zu beeinflussen.

Nun können Bürger mithelfen, Licht in dieses bisher wenig ausgeleuchtete Feld des Wahlkampfes zu bringen. Die Datenjournalisten von ProPublica aus New York haben ein Programm entwickelt, mit dem Nutzer mit einem Klick Wahlwerbung markieren können: den "Political Ad Collector". Die Browser-Erweiterung filtert Wahlwerbung aus dem persönlichen Facebook-Newsfeed des Users und sammelt die Anzeigen in einer Datenbank (diese Datenbank mit allen politischen Anzeigen ist nun öffentlich und hier zu finden).

Dabei geht es aber nicht ausschließlich um den Inhalt der Werbung. Jede Facebook-Anzeige enthält zusätzlich Meta-Informationen dazu, welcher Gruppe von Nutzern die Werbung angezeigt werden soll, die sogenannten Targeting-Parameter. Der Facebook-User kann diese Parameter auch heute schon ohne die Browser-Erweiterung einsehen: An jeder Anzeige gibt es durch Klick auf den nach unten gerichteten Pfeil die Option "Warum wird mir das angezeigt?". Dort steht beispielweise bei gewissen Anzeigen, dass sie Frauen zwischen 18 und 34, die in Deutschland wohnen, erreichen sollen. Je mehr solcher Parameter der Werbende auswählt, desto zielgruppengenauer kann er seine Werbung in dem sozialen Netzwerk schalten.

So funktioniert es

Hier im Chrome Webstore gibt es die Browser-Erweiterung für Facebook am Desktop. Klicken Sie rechts oben auf "Hinzufügen", lesen Sie den Haftungsausschluss und akzeptieren Sie ihn, danach Facebook öffnen. Direkt neben der Adressleiste im Browser finden Sie nun das Logo von ProPublica: den Buchstaben "P" unter einer Lupe. Hinter dem Icon verbirgt sich die Übersicht über die Werbeanzeigen, die die Erweiterung aus der aktuellen Ansicht Ihres Facebook-Newsfeeds gefiltert hat. Sie werden nun aufgefordert, auszuwählen, ob es sich dabei um Wahlwerbung oder eine gewöhnliche Anzeige handelt. Diese Unterscheidung ist wichtig: Das Tool soll ausschließlich Wahlwerbung sammeln, kommerzielle Werbung ist für das Projekt irrelevant. Außerdem macht die Erweiterung auch Wahlwerbung sichtbar, die anderen Usern angezeigt wird. So sehen Sie deutlich mehr Botschaften, mit denen Parteien im Facebook-Wahlkampf antreten.

Die SZ wird diese gesammelten Anzeigen dann vor der Bundestagswahl auswerten, um herauszufinden, wie die Parteien diese neue, intransparente Werbeform einsetzen. Alle Daten sind auch öffentlich einzusehen.

In Zukunft soll das Tool Wahlwerbung vollautomatisch filtern können. Das ist möglich, weil bei der händischen Klassifizierung durch den User eine Datengrundlage entsteht, die ProPublica später nutzen kann, um den Algorithmus zu verbessern. Diese Technologie nennt sich maschinelles Lernen ("machine learning").

Helfen Sie mit, den Wahlkampf der Politiker auf Facebook transparenter zu machen. Laden Sie den "Political Ad Collector" von ProPublica hier (Chrome) herunter.

Die Browser-Erweiterung ist ein Angebot von ProPublica. ProPublica speichert keine personenbezogenen Daten. Eine Identifizierung des einzelnen Nutzers ist nicht möglich.

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