Vorratsdatenspeicherung:Diese Schranken setzen die Richter

Vorratsdatenspeicherung

Ein Lager für Magnet-Datenbänder: Gerichtshof urteilt über Datenspeicherung auf Vorrat

(Foto: dpa)

Der Eingriff ins Privatleben war nicht verhältnismäßig: Das aktuelle Gesetz verstößt gegen die Grundrechte, urteilt der Europäische Gerichtshof. Die EU-Kommission könnte nun eine Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung erarbeiten.

Der Europäische Gerichtshof hat über die umstrittene Vorratsdatenspeicherung geurteilt. Die Richter haben entschieden, dass das EU-Gesetz in der jetzigen Fassung gegen europäisches Recht verstößt. Die Richtlinie "beinhaltet einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränkt", heißt es in der Pressemitteilung (hier als PDF). Die ausführliche schriftliche Urteilsbegründung erscheint im Laufe des Tages hier online.

Die Richtlinie ist nun rückwirkend nicht mehr gültig. Die EU-Kommission könnte eine neue Variante erarbeiten. Richtlinien entfalten keine direkte Gesetzeswirkung, sondern müssen erst von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Die deutsche Version wurde schon 2010 vom Bundesverfassungsgericht für ungültig erklärt.

Die nun ungültige Richtlinie habe "die Grenzen der Verhältnismäßigkeit überschritten", so der Europäische Gerichtshof. Eine Vorratsdatenspeicherung könnte allerdings angemessen sein, heißt es in der Mitteilung (im Wortlaut: "Zwar ist die nach der Richtlinie vorgeschriebene Vorratsspeicherung der Daten zur Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels geeignet, doch beinhaltet sie einen Eingriff von großem Ausmaß und von besonderer Schwere in die fraglichen Grundrechte, ohne dass sie Bestimmungen enthielte, die zu gewährleisten vermögen, dass sich der Eingriff tatsächlich auf das absolut Notwendige beschränkt.").

Eine mögliche neue Richtlinie müsste die Punkte beachten, die die Richter kritisiert haben:

  • Die Daten wurden ohne Differenzierung, Einschränkungen und Ausnahmen gespeichert.
  • Der Zugriff auf den Daten wurde nicht streng genug reguliert. Die Richtlinie habe den nationalen Behörden keine Kriterien dafür vorgegeben.
  • Der Zuschnitt der Ermittlungsfälle, für die die Daten genutzt werden können, war zu breit. Die Richtlinie nenne einfach nur "schwere Verbrechen".
  • Ein verpflichtender Richtervorbehalt vor einem Datenzugriff habe gefehlt.
  • Die Höchstspeicherdauer sei pauschal auf 24 Monate festgelegt, ohne zu differenzieren, welche Daten von welchen Personen gespeichert werden.
  • Die Richtlinie beinhalte keine hinreichenden Garantien, die Daten wirksam gegen Missbrauch zu schützen.
  • Sie gestattete Telekommunikationskonzernen, die die Daten speichern, zugunsten "wirtschaftlicher Erwägungen" an der Sicherheit zu sparen.
  • Es war nicht gewährleistet, dass die Daten nach Ablauf ihrer Speicherungsfrist unwiderruflich vernichtet werden.

Vorratsdaten umfassen keine Aufzeichnungen von Telefonaten und keine Texte von verschickten E-Mails. Stattdessen werden die Verbindungsdaten gespeichert: Wer hat wann mit wem telefoniert? Wie lange dauerte das Gespräch und an welchem Ort fand es statt? Wer hat um wie viel Uhr mit wem E-Mails geschrieben? Diese sogenannten Metadaten können viel über eine Person verraten (mehr dazu hier). Das erkennt auch der Europäische Gerichtshof an: "Zusammengenommen ergeben diese Daten ein sehr präzises Bild des Privatlebens der Personen, deren Daten gespeichert wurden: von ihren Gewohnheiten im Alltag, wo sie sich dauerhaft oder vorübergehend aufhalten, wie sie sich jeden Tag bewegen, welchen Aktivitäten sie nachgehen, welche sozialen Beziehungen sie pflegen und in welcher sozialen Umgebung sie sich aufhalten", heißt es in der Mitteilung des Gerichts.

Geklagt hatten eine irische Bürgerrechtsorganisation, die Kärntner Landesregierung und mehrere Tausend Österreicher. Sie argumentieren, dass die Speicherung unverhältnismäßig sei und die Grundrechte auf Privatleben, Datenschutz und freie Meinungsäußerung verletze.

In Deutschland gibt es derzeit keine gesetzliche Regelung der Vorratsdatenspeicherung. Das Bundesverfassungsgericht hatte das entsprechende deutsche Gesetz 2010 gekippt. Die damalige schwarz-gelbe Regierung konnte sich danach nicht auf eine Neufassung einigen. Union und SPD wollen die Vorratsdatenspeicherung nun wieder einführen, hatten aber betont, erst das Urteil des Europäischen Gerichtshofs abwarten zu wollen.

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