Blogger in Südkorea:Der Untergangsprophet

Blogger in Handschellen: Ein Südkoreaner hat im Internet vor dem Finanzkollaps gewarnt - dafür soll er nun für 18 Monate ins Gefängnis.

Christoph Neidhart

Park Dae Song, der südkoreanische Blogger, der den Kollaps von Lehman Brothers vorausgesagt hatte, soll 18 Monate ins Gefängnis. Das fordert die Staatsanwaltschaft in Seoul.

Blogger in Südkorea: Das Internet spielt in Südkorea eine wichtige Rolle - nun soll ein Blogger 18 Monate ins Gefängnis.

Das Internet spielt in Südkorea eine wichtige Rolle - nun soll ein Blogger 18 Monate ins Gefängnis.

(Foto: Foto: AFP)

Minerva, so das Blog-Pseudonym des 31-jährigen Park, wurde vorigen Herbst täglich von 200.000 Lesern angeklickt. Insgesamt verzeichnete sein Blog 40 Millionen Hits. Die Zeitungen zitierten seine Börsen- und Wechselkursprognosen, er hatte auch den Sturz des koreanischen Won und die Rezession korrekt vorausgesagt. Sie rätselten, wer hinter dem Finanz-Orakel steckte. Ein alter Finanz-Profi, ein unzufriedener Regierungs-Insider?

Minervas Blog-Einträge waren sarkastisch, manchmal vulgär; zuweilen lag er falsch. Die konservative koreanische Regierung kritisierte er scharf, und am 29.Dezember schrieb er, sie habe den kleinen Provinzbanken verboten, Dollars zu verkaufen. In Südkorea gab es damals Dollar-Engpässe. Daraus dreht ihm die Staatsanwaltschaft nun einen Strick: Er habe Falschinformationen verbreitet und damit den Kurs des Won manipuliert. Seine Voraussage, Lehman Brothers würde kollabieren, war deshalb pikant, weil eine staatliche koreanische Bank nur Tage zuvor bei Lehman einsteigen wollte. Minerva warnte, sie sollte das nicht tun.

Einmal hatte Park in seinem Blog behauptet, Minerva sein ein alter Reisbauer, ein anderes Mal maßte er sich einen Doktortitel und Wall-Street-Erfahrung an. Alles erfunden.

Die Medien versuchten schon im Herbst, die wahre Identität des mächtigen Bloggers aufzudecken. Und ab Dezember wurde die Polizei aktiv. Als diese im Januar einen scheuen IT-Techniker, der seine Wohnung kaum verließ, vor laufenden Kameras in Handschellen abführte, staunte ganz Südkorea. Park ist geständig, besteht aber darauf, nur die Wahrheit geschrieben zu haben. Er hatte kein Insiderwissen, keine verbrecherische Absicht; er investierte selber nicht. Er las bloß alles, was ihm zur Wirtschaft in die Hand kam und machte sich darauf einen Reim. Sein Anwalt spricht von einem ,,neugierigen, lebhaften Jungen''.

Im Verhör soll er der Regierung von Präsident Lee Myung Bak vorgeworfen haben, sie sei korrupt und verbreite Fehlinformationen, nicht er. Die geachtete Zeitschrift Shin Dong A behauptet, der Blog sei gar nicht von Park, sieben Finanzexperten hätten ihn geschrieben. Das Magazin publizierte ein Interview mit einem von ihnen, von dem es in der Dezember-Nummer schon einen Essay unter dem Namen ,,Minerva'' veröffentlicht hatte. Von diesem Text sagt Park, er habe damit nichts zu tun. Wenn er nicht lügt, dann hat sich ein anderer Autor seine anonyme Publizität zunutze gemacht. Oder mehrere. Oder Park hat das Pseudonym der Experten-Gruppe geklaut.

Präsident Lee fürchtet das Internet. Im Frühjahr organisierten sich Demonstranten, die ihn fast zu Fall gebracht hätten, übers Web. Als im Herbst nach einer Flut übler Nachreden in Chaträumen mehrere Schauspieler Selbstmord begingen, darunter die beliebte Choi Jin Sil, nutzte Lees Regierung dies zu einer Verschärfung der Gesetze. Üble Nachrede in Chat-Räumen ist nun strafbar. Die Opposition sieht darin eine Attacke gegen die freie Meinungsäußerung.

Weil die Suchmaschine Daum.net, auf deren Website Minerva publizierte, der Polizei bei der Fahndung half, zogen sich zahlreiche Blogger aus dem Netz zurück. Die liberale Zeitung Hankyoreh schrieb, Lees Regierung mache Südkorea mit der Anklage Parks lächerlich, sie zeige nur ihre eigene Schwäche. Parks Popularität sei die Kehrseite des geschwundenen Vertrauens in die Regierung.

Südkorea war bis vor 20 Jahren eine Militärdiktatur, die selbst Poeten für ihre Gedichte einkerkerte und folterte. Die Opposition wirft Präsident Lee vor, er wolle die Zeit zurückdrehen, wie die von Präsidialamt bestätigte Anklage gegen ,,Minerva'' beweise. Das Urteil wird am 20. April erwartet.

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