"Blackwood Crossing" im Test:Albtraumhase im Zug nach Nirgendwo

Blackwood Crossing Screenshot

Traum oder Wirklichkeit? Ein Junge im Matrosenkostüm und mit Hasenkopf möchte, dass Scarlett ihm folgt.

(Foto: PaperSeven/PR)

Das Adventure-Game "Blackwood Crossing" quält den Spieler in einer Traumwelt voller verdrängter Erinnerungen. Und belohnt die Mühe mit einem intensiven und traurigen Erlebnis.

Spieletest von Caspar von Au

Ich blinzele, schlage die Augen auf. Habe ich geschlafen? Wo bin ich? Und wer bin ich überhaupt? Erstmal orientieren: Ein Tisch, drei rote Sitze mit grauen und lilanen Karos - ich befinde mich in einem Zugabteil. Draußen ziehen grüne Landschaften vorbei. Der Blick ins spiegelnde Fenster verrät außerdem: Ich bin ein Mädchen mit langen roten Haaren und ängstlich blickenden Augen, vielleicht 14 oder 15 Jahre alt.

Informationen zum Spiel

"Blackwood Crossing" ist am 4. April 2017 für Playstation 4 und am 5. April 2017 für PC und Xbox One erschienen.

Das Adventure-Spiel "Blackwood Crossing" versetzt den Spieler direkt ins Geschehen. Beziehungsweise direkt in den Kopf der rothaarigen Scarlett. Nach dem Aufwachen muss sie erstmal ihren Bruder Finn im Zug suchen. Finn, ein paar Jahre jünger als seine Schwester, spielt nämlich gerne Verstecken. Die beiden Geschwister sind alleine im Zug. Der fährt und fährt - wohin ist unklar.

"Blackwood Crossing" ähnelt in der Erzählweise "Inception" und "Shutter Island"

Recht schnell klar wird dagegen, dass der Zug nicht durch eine reale Welt rast, sondern durch die Gedankenwelt von Scarlett. Eine Welt, in der sie sich selbst offenbar nicht ganz wohl fühlt und die bisweilen an einen Albtraum erinnert. Da ist zum Beispiel der Junge im Matrosenanzug. Sein Kopf ist der eines abgenutzten Stoffhasen, mit braun glänzenden Knöpfen als Augen.

Aber worum geht es eigentlich in "Blackwood Crossing"? Das herauszufinden ist die Hauptaufgabe des Spielers. Die Rätsel dienen meist dazu, mehr über die Geschichte von Scarlett und Finn zu erfahren, und warum Finn immerzu vor Scarlett abhaut, sich in Abteilen versteckt oder in der Putzkammer. Oder sich manchmal sogar einfach vor ihren Augen in Luft auflöst. Dafür sieht Scarlett überall im Traumzug Dinge, die sie an ihren kleinen Bruder erinnern: Das Logo der Bahngesellschaft ist ein großes F, im Zug hängen Filmplakate, auf denen Finns Gesicht zu sehen ist.

Blackwood Crossing Screenshot

Scarletts Bruder Finn möchte, dass seine Schwester wieder mehr mit ihm spielt. Er fühlt sich von ihr im Stich gelassen.

(Foto: PaperSeven/PR)

"Blackwood Crossing" erzählt die Geschichte von zwei Geschwistern, die lange Zeit vor allem sich gegenseitig hatten. Die Eltern sind gestorben, als Finn so klein war, dass er sich nicht mehr erinnern kann, wie sie ausgesehen haben. Scarlett war - neben den Großeltern - Finns Ersatzmutter. Aber Scarlett hat als Heranwachsende auch andere Interessen, ihren ersten Freund zum Beispiel. Finn fühlt sich vernachlässigt und das gibt er seiner großen Schwester im Spiel deutlich zu verstehen. Die einst enge Beziehung der Geschwister scheint zu zerbrechen. Er haut nicht nur vor ihr ab, sondern flüchtet sich in seine eigene Welt.

Für Scarlett ist es qualvoll, das zu erfahren. Sie ist zu Spielbeginn genauso ahnungslos wie der Spieler. Durch die Ich-Perspektive überträgt sich ihre Qual auf den Spieler, wenn Scarlett im Spielverlauf mehr und mehr begreift. Wenn Finns Depression als schwarz wabernder Nebel die Gänge des Traumzugs füllt und Scarlett oftmals den Weg versperrt. Als Spieler muss ich die Erinnerungen von Scarlett und Finn, die im Spiel als geisterhafte Personen mit Masken dargestellt werden, logisch verknüpfen, um zu verstehen: Warum versteckt sich Finn vor seiner Schwester?

"Blackwood Crossing" ist kein typisches Adventure - wie die Entwickler ihr Spiel nennen - , sondern eher ein Serious Game, in dem die Leitthemen Erinnern und Trauern sind. Um diese hervorzuheben, spielen die Entwickler mit den Ebenen: Immer wieder verschwimmen Traumwelten und Realität miteinander, ähnlich wie in den Filmen "Inception" und "Shutter Island". Wenn Scarlett wieder mal in einem Zugabteil aufwacht, frage ich mich: Bin ich - ist Scarlett jetzt wach? Oder ist das alles nur ein Traum?

Das Spiel ist das erste eigene Werk des britischen Entwicklerstudios PaperSeven. Dementsprechend viel Herzblut steckt in "Blackwood Crossing". Aber es ist deshalb auch an ein paar Stellen nicht ausgereift.

Die intensive, sehr traurige Handlung zieht in den Bann

Zum einen hakt es an der eigentlich simplen Steuerung. Die meisten Interaktionen funktionieren nach dem Point-and-Click-Prinzip. Der Spieler deutet also mit der Maus zum Beispiel auf den Türgriff und klickt, um die Wagontür zu öffnen. Allerdings muss man mit der Maus ein ganzes Stück rudern, um sich einmal um die eigene Achse zu drehen. Auch sonst reagiert alles nur schwerfällig: Manchmal ist es schwer, genau den Punkt zu finden, an dem ich einen Gegenstand bewegen oder ihn nehmen kann. Gerade am Anfang fehlt der Spielspaß.

Zum anderen stolpere ich oft herum, weil ich nicht verstehe, wie ich im Spiel weiterkomme. Das ist besonders ermüdend, weil Scarlett nur gehen und nicht laufen kann. Häufig muss ich auf der Suche nach dem nächsten Schritt alles mehrfach abgehen. Zwar wiederholen sich die Lösungsmechanismen der Rätsel, aber benötigte Gegenstände sind gut versteckt. Die Grafik ist nicht brillant. Flüssigkeiten, zum Beispiel Kaffee in Pappbechern, sehen aus wie brauner Beton. Filigrane Bewegungen, wie Zeichnen, wirken hölzern. Aber sie setzt die richtigen Akzente: Der schwarze Nagellack an Scarletts Fingernägeln ist abgeblättert. Die Illustration von Depression als schwarze, undurchdringliche Masse wirkt passend, nicht lächerlich.

Steuerung und Grafik sind in "Blackwood Crossing" aber im Grunde zu vernachlässigen. Das Spiel zieht einen über seine intensive, zum Teil sehr traurige Geschichte in den Bann. Scarlett begreift am Ende die Wut ihres Bruders auf sie selbst, die in Wirklichkeit vor allem eine Angst vor dem Alleinsein ist. Und sie hilft ihm mit einer ihrer eigenen Erinnerungen aus: Mit dem Gesicht ihrer Mutter, das sie für Finn auf ein Blatt Papier zeichnet.

"Blackwood Crossing" ist am 4. April 2017 für Playstation 4 und am 5. April 2017 für PC und Xbox One erschienen.

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