BGH-Urteil:Warum es gut ist, dass nicht jeder munter sperren darf

Der Bundesgerichtshof hat das Sperren von Internetseiten an sehr restriktive Bedingungen geknüpft. Das ist eine weise Entscheidung.

Kommentar von Helmut Martin-Jung

Noch zu Zeiten Paganinis war es mit dem Schutz von Urheberrechten nicht allzu weit her. Der Geigenvirtuose händigte daher die Noten an seine Orchestermusiker erst kurz vor der Aufführung aus und sammelte sie unmittelbar danach wieder ein, damit sie nur ja keiner abschreiben konnte. Die Konzerte wurden dadurch qualitativ sicher nicht besser, aber wenigstens konnte der Musiker auf diese Art und Weise sein geistiges Eigentum einigermaßen schützen. Dass mit dem Urheberrecht dem dreisten Kopieren Grenzen gesetzt wurden, ist eine moderne Errungenschaft, die den Künstlern und der Kunst im Großen und Ganzen nützt.

Aber jedes Recht stößt an Grenzen, wenn es andere, schwerer wiegende Rechte verletzt. Daher hat der Bundesgerichtshof (BGH) gut daran getan, das Sperren von Internetseiten wegen Urheberrechtsverletzungen an sehr restriktive Bedingungen zu knüpfen. Ein Anbieter von Internetzugängen kann nicht schon dann zum Sperren von Seiten verpflichtet werden, wenn etwa ein Plattenlabel eine einstweilige Verfügung mit dem Vermerk "Empfänger nicht auffindbar" zurückbekommt. Wer eine Sperrung einfordert, muss erheblich mehr Aufwand treiben, und das ist auch richtig so.

Sperren beschneiden die Freiheitsrechte

Denn jede Sperre ist ein Eingriff in die Freiheitsrechte, und die sind im Zweifel höher zu bewerten als der Schaden, der entsteht, wenn Musikdateien zum Herunterladen bereitgestellt werden. Aber, das war dem Gericht wichtig, das Internet ist auch kein rechtsfreier Raum. Wenn also nachweisbar zumutbare Anstrengungen unternommen wurden, können die Rechteinhaber als allerletzte Möglichkeit auch an die Zugangsanbieter herantreten und diese dazu auffordern, eine Sperre einzurichten.

Wenn nun also die Rechteinhaber oder wenigstens die bei allfälligen Streitigkeiten angerufenen Gerichte das BGH-Urteil sorgfältig umsetzen, dann wäre doch alles wieder gut. Oder etwa nicht?

Leider nicht. Denn die Sperren erschweren allenfalls den Zugang zu Servern, völlig verhindern können sie ihn nicht. Und der Kampf um den Urheberschutz, beziehungsweise um das Geld, das mit den geschützten Werken zu verdienen ist, treibt auch seltsame Blüten.

Sollen wirklich Kindergärten Abgaben zahlen, weil sie in der Gruppe "Happy Birthday" singen? Kann es richtig sein, wenn Plattenfirmen CDs mit virenähnlichen Computer-Programmen versehen, die das Kopieren am PC unterbinden sollen? Ist das wenige Sekunden lange Zitieren von Musikstücken anderer wirklich schon eine Urheberrechtsverletzung oder kann es nicht auch Kunst sein? Sollen Kinder und Jugendliche kriminalisiert werden, weil sie sich Musik oder einen Film aus dem Netz heruntergeladen haben? Und vor allem: Darf so etwas das Geschäft von Anwaltskanzleien sein, die mit Massenabmahnungen das schnelle Geld machen? All diese Fälle sind ja nicht erfunden.

Steve Jobs als Totengräber der Internet-Piraterie

Natürlich konnte es nicht in Ordnung sein, wenn, wie in den wilden Jahren des Netzes, über die berühmt-berüchtigten Tauschbörsen als digitalisierte Musikdatei kostenlos zu haben war, wofür man noch kurze Zeit davor im Plattenladen eine Menge Geld hatte hinblättern müssen. Es funktionierte nun eben, also hat man es gemacht.

Mittlerweile wurde das Problem entschärft. Interessant ist allerdings, wie es dazu kam. Dass es mehr und mehr juristische Auseinandersetzungen vor allem mit den Betreibern illegaler Plattformen wie etwa Napster gab, hat dazu sicher weniger beigetragen als ein gewisser Steve Jobs. Der Apple-Chef überzeugte die Bosse der Musikindustrie, Musikstücke für 99 Cent pro Stück zum Kauf über einen Online-Laden anzubieten. Und siehe da: Die Leute kauften. Und wie! Apple ist noch heute der größte Händler für digitalisierte Musik.

Jungen Menschen ein gutes Angebot zu machen, anstatt sie zu kriminalisieren, ein Angebot, das auch funktioniert - das war das perfekte Rezept für die iPod-Generation. Inzwischen ist man schon wieder weiter: Musik laden viele erst gar nicht mehr herunter, sondern beziehen sie als Dienstleistung aus dem Netz. Eine ganze Reihe dieser Streaming-Dienste stehen miteinander im Wettbewerb.

Und wieder muss sich die Musikindustrie - wie viele andere Wirtschaftszweige auch - auf Entwicklungen einstellen, die durch die Internettechnologie ausgelöst werden und die ganze Branchen durcheinanderwirbeln. Sie sollte sich dieser Herausforderung stellen, sollte überzeugende Angebote entwickeln, aber nicht ohne Not mit der juristischen Keule um sich schlagen.

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