Besuch im Disney Lab:Wo Avatare menschlich werden

Am Disney Lab in Zürich arbeiten Computerexperten aus aller Welt an Kunstfiguren, die von realen Menschen kaum mehr unterscheidbar sein sollen.

Die kugelrunde Apparatur mit ihren Schienen, Kabeln und Lampen könnte einem Disney- Trickfilm entstammen. Einmal auf den falschen Schalter gedrückt und - schwupps - mutiert der arme Wissenschaftler im Inneren der kreisförmig angeordneten Schienen zu einem Monster.

Disney Up Film Oben Animation, AP

Disney-Film "Oben": Die echte Revolution kommt noch.

(Foto: Foto: AP)

Wer sich an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich in das Gebilde setzt, geht freilich nicht das geringste Risiko ein, außer diesem: So genau, wie diese Maschine mit ihren rundherum angebrachten Kameras das Gesicht der Probanden aufzeichnet, will man es selbst vielleicht gar nicht sehen.

Aber "wenn es darum geht, menschliche Gesichtszüge möglichst realitätsnah abzubilden, dann ist jede einzelne Pore wichtig", sagt Markus Gross. Gross ist Professor für Informatik an der ETH, sein Spezialgebiet Computergrafik.

Ohne Spezialeffekte geht nichts

Dass die Kamera-Apparatur einmal in einem Film auftaucht, darf als höchst unwahrscheinlich gelten. Doch was er damit macht, könnte schon bald für sensationelle neue Spezialeffekte im Kino oder in einem Vergnügungspark sorgen. Gross leitet nämlich auch das neue Forschungslabor des Unterhaltungskonzerns Disney in Zürich.

Seit vielen Jahren schon wächst der Bedarf an technischem Know-how in der Unterhaltungsbranche. Im Zentrum stehen dabei die Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung.

Nicht nur Filme wie James Camerons "Avatar", der nahezu ausschließlich von damit erarbeiteten Spezialeffekten lebt, auch viele andere Produktionen kämen ohne den Einsatz von Computern längst nicht mehr aus. Um an der Spitze der technologischen Entwicklung zu bleiben, setzen Konzerne wie Disney verstärkt auf eigene Forschung und Entwicklung.

Das unheimliche Tal

Gross stört es nicht, dass das Ergebnis ihrer Forschung in erster Linie dazu dient, Animationsfilme wie "Toy Story" noch überzeugender zu gestalten. "Ich habe immer anwendungsorientiert gearbeitet", sagt er.

Der Kooperation mit Disney stimmte er zu, weil die Fragestellungen, die er und sein Team erforschen, durchaus relevante Probleme seiner Zunft seien. Wie schafft man es beispielsweise, das aus der Wahrnehmungspsychologie bekannte uncanny valley zu überwinden?

Man bezeichnet damit den paradoxen Effekt, dass künstliche Figuren nicht umso besser akzeptiert werden, je ähnlicher sie dem Menschen sind. Vielmehr gibt es in dieser Kurve einen Knick: Je ähnlicher Kunstfiguren echten Menschen werden, desto mehr achten die Zuschauer auf Einzelheiten. Und wenn dann etwas nicht stimmt, reagiert es unbewusst abweisend.

Wie Kunstfiguren mit Leben erfüllt werden

Die Unterhaltungsindustrie hat dieses Tal des Unbehagens bisher vor allem damit zu überbrücken versucht, dass man Kunstfiguren wie in "Avatar" als Außerirdische deklarierte oder als nur menschenähnlich wie die Kreatur Gollum in "Herr der Ringe".

Oder man machte es gleich wie Disney und setzte in seinen Animationsfilmen überwiegend auf Tiere ("Findet Nemo"), Spielzeug ("Toy Story") oder sogar Autos ("Cars"). "Die Expressivität ist noch nicht vorhanden", erklärt Markus Gross, "deshalb muss man eine andere Stilistik finden."

Doch in den Labors wird längst daran gearbeitet, Kunstfiguren mit Leben zu erfüllen, die von echten Menschen kaum noch zu unterscheiden sind. Mit Hilfe ihrer Kamera-Apparatur beispielsweise können die Disney-Forscher Gesichter in einer bisher nicht gekannten Detailtreue aufzeichnen und mit Spezialdruckern als dreidimensionale Modelle ausgeben, die beeindruckend real wirken.

Technik darf nur Diener sein

Die Kunst werde sein, Effekte nicht um ihrer selbst Willen einzusetzen, sondern um mit einem Film eine Geschichte zu erzählen, ist Ed Catmull überzeugt. Catmull, Präsident der Walt Disney und Pixar Animation Studios, ist eine Hollywood-Legende. Eine, die allerdings eher im Hintergrund wirkt.

Zusammen mit Apple-Chef Steve Jobs gründete der Wissenschaftler die Pixar Studios. Er ist der Kopf vieler technischer Innovationen in der Filmbranche, wurde dafür unter anderem auch mit einem Oscar geehrt. "Für uns", sagt er, "war vom ersten Tag an wichtig: Obwohl wir viel mit Technik arbeiten, muss am Ende immer etwas herauskommen, das die Menschen berührt."

In vielen mit Effekt überladenen modernen Filmen werde das missachtet, meint Catmull. "Diese Technik kann einen verführen, und das sieht man heute immer noch sehr oft. Es ist, als ob die Regisseure in einem Süßwarenladen geraten wären und nun wie Kinder einfach alles haben wollen." Technik dürfe aber immer nur der Diener für die Geschichte und die damit transportierten Emotionen sein.

Ausgangspunkt für Animationsfilme sind noch immer handgezeichnete Charaktere, so Woijec Jarosz, Mitarbeiter am Disney Lab in Zürich. Auch die gesamte Handlung eines Films werde nach wie vor in einer Art Comic Strip gezeichnet, dem sogenannten Storyboard. Die Produktionsschritte danach aber ähneln mehr einem gewöhnlichen Spielfilm.

So wie man dort auch Drehorte braucht, werden diese nun am Computer erbaut, "wie mit einer virtuellen Knetmasse", erklärt Jarosz. Die Programmierer weisen den Materialien schließlich bestimmte Eigenschaften zu, Gummi etwa wird dehnbar, Glas reflektiert, die Bewegungen werden modelliert.

Im nächsten Schritt kommen Lichtquellen hinzu - eine Wissenschaft für sich. Wo Licht ist, ist nicht bloß Schatten. Licht wird auch reflektiert, wobei es zum sogenannten bleeding kommt. Eine farbige Zimmerwand beispielsweise färbt auf alles ab, was sich im Raum befindet, aber nicht alle Materialien reagieren in gleicher Weise.

Die wirkliche Revolution kommt erst noch

In die menschliche Haut dringt es in die verschiedenen Schichten ein und "erzeugt einen Seidenglanz, der schwer zu reproduzieren ist", sagt Markus Gross. Dunst, Nebel oder Rauch verändern ebenfalls die Art, wie sich das Licht im Raum verteilt. Im nächsten Schritt kann dann schon die 2D-Version des Films erstellt werden, später folgen noch Dialoge und Soundeffekte.

Anders als im realen Film ist es bei Animationsfilm weniger schwierig, eine 3D-Version zu produzieren. Da die Bewegungen der Figuren im Raum ohnehin dreidimensional beschrieben werden müssen und die Kamera virtuell ist, genügt es, eine zweite virtuelle Kamera hinzuzufügen. Catmull wie Gross glauben fest daran, dass 3D diesmal mehr sein wird als ein Hype.

Zum einen sei die Technik weitaus besser, zum anderen setze sich der Trend diesmal sogar in der Unterhaltungselektronik-Industrie fort, die bereits 3D-Fernseher fürs Wohnzimmer anbietet. Der Zuschauer werde aber schnell lernen, zwischen guten und schlechten 3D-Produktionen zu unterscheiden, sagt Catmull. An eine ähnliche Dominanz wie die des Farbfilms über Schwarzweiß glaubt er aber nicht.

"Die wirkliche Revolution", so Forscher Gross, "wird mit der Holographie kommen, die es erlaubt, mitten im Geschehen zu sein." Bis dahin werden er und seine Kollegen aber noch lange forschen müssen - "das dauert noch zehn Jahre".

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

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