Barack Obamas Berlin-Besuch:Der Internet-Präsident wird abgewählt

Politischer Twitter-Pionier, eine Mailingliste mit 13 Millionen Menschen und der digitalen Zukunft zugewandt: Barack Obama galt lange Zeit als Internet-Präsident. Nach dem NSA-Skandal erscheinen viele seiner progressiven Netz-Gesten aber als hohle Marketing-Inszenierung.

Von Hakan Tanriverdi

Wenn ein Lichtschwert in seiner Nähe ist, greift Barack Obama danach und lässt sich damit fotografieren. Wenn ein Junge, eine kleine Youtube-Sensation namens "Kid President" so tut, als sei er der wahre Präsident der USA, dann ruft Obama persönlich an und bittet um Hilfe.

Kurz: Sobald Obama sich als Internet-Versteher in Szene setzen kann, nimmt er diese Gelegenheit dankend wahr - in der Gewissheit, dass seine Aktion einmal quer durch alle sozialen Netzwerke geteilt wird. Amerikas Präsident spielt erfolgreich mit den Prinzipien des Netzes. Einer der Gründe dafür, warum Obama gleich zweimal die große Mehrheit der Jungwähler für sich gewinnen konnte.

Eines dieser Prinzipien im Netz lautet: Transparenz. Diese ist gleichzeitig auch das Grundmotiv der heutigen Gesellschaft. Die Nutzung von Diensten wie Facebook, Twitter, Instagram oder Tumblr ist in den vergangenen Jahren quasi explodiert; ihr Popularitätwachstum verlief streckenweise parallel zum Aufstieg Obamas. Fotos, Befindlichkeiten, Freundschaften, alles ist jetzt online. Das Internet ist der Ort, an dem die Gesellschaft freiwillig transparent wird, an dem sie Privates öffentlich macht.

Obama hat diese Transparenz für sich genutzt und seine gesamte Strategie digitalisiert. Der Präsident ist seinen Bürgern so nah wie nie zuvor. Seine Wählerschaft erreicht er nicht mehr ausschließlich über traditionelle Medien wie TV-Auftritte, sondern über Youtube, Facebook, E-Mail, Twitter und mit einer eigenen App.

Das Internet als Chance - das war Obamas Botschaft

Wenn man so will, ist der 51-Jährige der Präsident einer Zeit, in der viele Menschen das Internet nicht nur als Chance begriffen haben, sondern es auch als solche genutzt haben. Obama hat dem Netz seit jeher die Rolle zugestanden, die Regierungsarbeit zu verbessern, sie transparenter zu machen. Das ist ein sehr viel aktiverer Ansatz, als ihn Politiker anderswo pflegen, die vom digitalen Wandel erst überrollt werden müssen, bevor sie sich auf seine Veränderungen einlassen.

Dieses Versprechen der Offenheit war von Beginn an mit seiner Politik verknüpft. Bereits als Senator reichte der spätere Präsident Gesetzesentwürfe ein, deren Zweck es war, der amerikanischen Bevölkerung transparent und somit für alle nachvollziehbar mitzuteilen, wie viel Geld für welche staatliche Projekte ausgegeben wird. Das Gesetz ist seit September 2006 in Kraft. Auch im Weißen Haus veränderte Obama vieles und verschob damit Teile der politischen Arbeit ins Öffentliche. So listet die Obama-Administration zum Beispiel nun ganz offiziell und für alle zugänglich auf, wer das Weiße Haus besucht (telefonische Kontaktaufnahmen sind jedoch nicht enthalten).

Nicht jedes seiner Transparenz-Versprechen hat Obama eingehalten, aber er hat kontinuierlich neue Vorschläge unterbreitet. Der letzte ist knapp einen Monat alt und sieht vor, dass alle öffentlichen Regierungs-Informationen maschinenlesbar sein sollen. "Die Flut von Informationen, die der amerikanischen und der Weltbevölkerung über Webseiten zugänglich gemacht wird, ist beispiellos", lobte Angela Canterbury, Direktorin für Public Policy bei der Nichtregierungsorganisation "Project on Government Oversight" im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Fehlende Transparenz führt zu Liebesentzug

Und doch wird Obama während seines Besuchs in Berlin nicht länger als "Internet-Präsident" gefeiert. Die Aufdeckung des NSA-Skandals stellt - ähnlich wie bereits die Debatte über die geheimen Drohnen-Tötungsmissionen - das Transparenzverständnis des US-Präsidenten in Frage. Mehr noch: Die digitalen Überwachungsmöglichkeiten widersprechen gerade in Deutschland dem Freiheitsbegriff der aktiven Zivilgesellschaft.

Wenn Obama heute in Berlin eine Rede hält, wird er nicht mehr der Superstar sein, der er noch vor fünf Jahren gewesen ist, sagt Constanze Stelzenmüller von der US-Stiftung German Marshall Fund. Mehr als 36.000 Menschen haben eine Online-Petition (http://chn.ge/ZYEPPU) unterschrieben, die Angela Merkel dazu auffordert, das Überwachungsprogramm Prism nicht zu akzeptieren und Obama dies auch klar zu sagen. Medienträchtig, aber nur schlecht besucht war eine Demonstration von Internet-Aktivisten am Dienstag, am Mittwoch wollen die Piraten protestieren.

Obama versucht, diese Debatte trotz allem unter dem Begriff der Transparenz zu führen. In einem Interview vom Montag pochte der Präsident darauf, dass diese auch im Fall der NSA gewährleistet werde. "Deswegen haben wir doch das FISA-Gericht", sagte Obama. Das Gericht, von dem Obama spricht, FISC, tagt jedoch geheim. Seine Entscheidungen dringen in der Regel nicht nach außen.

Die vergangenen Wochen zeigen in aller Deutlichkeit, dass es auch eine andere Seite der Transparenz gibt, die nichts mit sozialen Netzwerken und der Veröffentlichung harmloser Statistiken zu tun hat. In diesem Punkt fordert Obama plötzlich Vertrauen ein, statt selbst für Klarheit zu sorgen. Die Journalistin Katrina van den Heuvel schreibt dazu, dass Obama die Öffentlichkeit behandle wie jemanden, den man nicht ernst nimmt, dem man den Kopf tätschelt. Ihre Forderung lautet: "Diese Geheimhaltung muss aufhören."

"Obama liest deine E-Mails"

Steven Aftergood arbeitet beim Bund amerikanischer Wissenschaftler und forscht darüber, wie die Regierung versucht, Informationen geheim zu halten. In der Washington Post kommt er zu folgendem Urteil: "Was die nationale Sicherheit angeht, häufen sich die Geheimhaltungen in gigantischem Ausmaß."

Die Zustimmung für Obama geht seit den Enthüllungen zur Überwachung auch in den USA zurück. Eine aktuelle Studie im Auftrag von CNN zeigt zudem, dass knapp zwei Drittel der Bevölkerung mit dem Ausmaß der Überwachung nicht einverstanden sind.

Ob aus dem Internet-Präsidenten nun in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit der Spionage-Präsident wird? Genau wie der Obama-Hype im Netz begann, mit Liebeserklärungen in Musikvideos, so beginnt auch der Protest gegen ihn online, und zwar in Form von Unmengen von Bildern.

Zu sehen ist meist ein lachender Obama, wie er auf ein Smartphone oder Bildschirm guckt. Eigentlich ein sympathisches Bild, fast genauso wie das Laserschwert-Bild. Aber alle Bilder laufen unter einem Titel, der klarmacht, dass es sich hier um Protest handelt. Der Titel heißt: "Obama liest deine E-Mails".

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