Apps im Kriegseinsatz:Wie Smartphones Leben retten können

Apps im Kriegseinsatz: Das Smartphone wird zum Kriegsgerät - für Scharfschützen ebenso wie für Sanitäter und andere Lebensretter.

Das Smartphone wird zum Kriegsgerät - für Scharfschützen ebenso wie für Sanitäter und andere Lebensretter.

(Foto: Stefan Dimitrov/SZ)

Radikale und Diktatoren schalten die Mobilfunknetze ab - aber die Smartphone-Besitzer bauen einfach ein eigenes auf. In Krisen- und Kriegsgebieten ist Vernetzung lebenswichtig. Auch Armeen forschen daran, das Smartphone zum Kriegsgerät zu machen: Mit speziellen Apps für Scharfschützen und Sanitäter.

Von Johannes Boie

Im neu ausgerufenen und selbst ernannten Kalifat Islamischer Staat schalten Hardcore-Islamisten Handy- und die Datennetze ab: was darüber zu empfangen ist, kann schnell haram sein, Sünde. In den Gebieten der Ukraine, in denen gekämpft wird, fallen die Netze andauernd aus, in vielen Teilen Afrikas werden sie, kaum in Betrieb genommen, wieder abgeschaltet. Der Krieg kommt, das Netz geht. Attacken mit physischer Gewalt sind fest mit Angriffen auf das Recht auf Kommunikation verbunden. Weil sich die Art, wie Menschen miteinander reden, stark verändert hat, verändern sich auch die Attacken. Um heute jemandem das Wort zu verbieten, kann es ausreichen, sein Handy vom Netz zu trennen.

Doch im Irak zeigte sich in den vergangenen Wochen, dass es neuere Technik immer schwerer macht, die Netze zwischen den Menschen wirklich abzuschalten. Eine neue App des amerikanischen Startups Open Garden, FireChat, wurde dort auffällig oft heruntergeladen. Mit FireChat können die Nutzer chatten. Chatten? Das kann jedes halbwegs moderne Handy ohnehin, per SMS oder E-Mail, per Whatsapp oder, wer es gerne verschlüsselt mag, per Threema. Doch der Clou an FireChat ist, dass die Nutzer sich nicht registrieren müssen und, vor allem, dass die App ohne Handy-Netz funktioniert. Die Handys der Nutzer verbinden sich direkt miteinander, unabhängig davon, ob sie gerade von einem Mobilfunknetz erreicht werden oder nicht.

Möglich machen das relativ neue Funktionen in Handys, die eine unmittelbare Verbindung über Bluetooth oder Wifi aufbauen. Ersteres wird ansonsten verwendet, um zum Beispiel ein drahtloses Headset an ein Handy anzuschließen, letzteres empfängt und sendet in aller Regel Daten an einen Wifi-Router, ist also das Bauteil, das das Handy ans Internet anschließt. Doch beide Möglichkeiten lassen eben auch direkten Datenaustausch an andere Geräte zu und je mehr Geräte sich daran beteiligen, umso größer ist das Netz, dass dabei entsteht.

In Kriegsgebieten kann ein Mesh-Netzwerk Leben retten

Solch ein Netz nennt man Mesh-Netzwerk ("vermaschtes Netz"). Sein größter Vorteil ist, dass es von weiterer Infrastruktur vollkommen unabhängig ist. Die Regierung schaltet Satelliten ab oder kappt Kabel tief in der Erde? Provider filtern Nachrichten aus der Datenflut? Terroristen schalten Server ab, die das Internet am Laufen halten? Diese Art des Mesh-Netzwerks bleibt von allen Attacken unberührt. Und fällt ein Handy als Netzwerkknoten aus, zum Beispiel, weil sich der Besitzer weiter von den anderen Geräte entfernt hat, als sein Gerät funken kann, dann springt automatisch ein anderes Gerät ein. Theoretisch reicht es auch aus, dass nur ein Teilnehmer eines Mesh-Netzwerkes Zugriff auf das große Internet hat, damit alle anderen "Maschen" ebenfalls im Web surfen können.

Doch in der Praxis dürfte ein einzelner Zugang, den sich mehrere Menschen teilen, zu langsam sein. Überhaupt sind Mesh-Netzwerke bislang noch nicht so verbreitet und stabil wie die große und dauernd gepflegte Infrastruktur des weltumspannenden Internets, doch ihre vielen Vorteile haben der App FireChat in mehreren Ländern zu großer Beliebtheit verholfen, in manchen App-Märkten ist sie bereits dabei, den Marktführer Whatsapp abzulösen.

In Deutschland und im übrigen Westen mag die App ohne Registrierung und Internetzwang ein ideales Spielzeug sein, um Menschen, die in der Nähe ein Mesh-Netzwerk bilden wollen, kennenzulernen. In Kriegsgebieten aber kann ein Mesh-Netzwerk längst Leben retten.

Armeen forschen daran, herkömmliche Smartphones einzusetzen

Den Menschen die Verbindung zu kappen, untereinander, aber auch zum Rest der Welt, kommt dem Einsatz einer mächtigen Waffe gleich. Wo nicht kommuniziert werden kann, verbreitet sich kein Wissen mehr, an seine Stelle tritt Unkenntnis, aus der Unsicherheit und Angst folgt. Menschen, denen die technischen Möglichkeiten zur Kommunikation über den unmittelbaren Nahbereich hinaus genommen wurden, können sich kaum noch organisieren. Sie sind, im Wortsinne, abgekapselt, sie haben kein Netz mehr, keines für ihre Handys und Computer und kein soziales mehr, das sie selbst auffangen könnte.

Dass die digitale Technik für ganz normale Verbraucher in solchen Krisen seit kurzem ganz neue Möglichkeiten bietet, zeigen auch die Forschungsprojekte moderner Armeen. Auch ihnen geht es darum, in Situationen gesprächsbereit zu bleiben, in denen Kommunikation notwendig, bislang aber schwierig ist.

Einem Bericht des Magazins Gizmodo zufolge wird im Pentagon daran gearbeitet, ganz normale Samsung-Handys für den Militäreinsatz aufzurüsten, unterstützt durch portable Netze, die sich schnell aufbauen lassen, wenn der Empfang zum Rest der Welt abbricht. Dabei ist die Hardware des Handys, das Gerät an sich, kaum zu verbessern. Was dem Nerd bei Bestbuy reicht, das reicht auch einem Marine im Einsatz. Es kommt dann nur auf die Software an, auf die inneren Werte der Geräte. Und die haben es künftig in sich.

Apps für Scharfschützen und Sanitäter

Das Handy wird für Soldaten wichtig. Die amerikanischen Streitkräfte arbeiten an einer eigenen App-Plattform, mit deren Hilfe verschiedene kleine Programme des Militärs auf normalen Handys installiert werden können. Eines, um im Einsatz nochmal eben die Pläne einer Mission nachzuschlagen und gegebenenfalls zu aktualisieren. Eines, um die Route von Drohnen und ihren aktuellen Einsatzort herausfinden zu können. Eine, um befreundete Soldaten wissen zu lassen, welche Gegend gesichert ist und welche Gebiete noch potenziell gefährlich sind.

Es gibt Programme, die Scharfschützen dabei helfen, Flugbahnen ihrer Projektile zu berechnen und solche, die Strahlendosierungen messen und ihre Gefährlichkeit bewerten. Andere Apps helfen Sanitätern und Soldaten dabei, Verletzungen zu beurteilen und versorgen, und natürlich gibt es auch eine Art von Facebook für den Fronteinsatz, eine jederzeit erweiterbare Übersicht an am Kampfeinsatz Beteiligten: Kameraden, Gegner, Zivilisten, die jeden Tag auf Patrouille begegnen. Für einige dieser Aufgaben sind derzeit noch schwere Feld-Funkgeräte notwendig. Die allermeisten gibt es gar nicht.

Alle diese Apps, die weit entwickelt, im Feld aber noch nicht im Einsatz sind, sind - wie die Digitalisierung insgesamt - blind gegenüber ihrer Verwendung. Eine Kamera kann Wunden aufnehmen, um Verletzten zu helfen, oder sie kann zu Propagandazwecken filmen. Unbestritten ist, dass zum ersten Mal auch an jenen Orten umfangreich und massenhaft kommuniziert wird, an denen bislang vor allem still gelitten wurde. Zumindest für die Nutzer der Mesh-Netzwerke im Irak und rund um die Welt, ist das eine gute Nachricht.

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