Apple iPhone 7:Mit Apples Kopfhörerbuchse stirbt ein Stück analoger Anarchie

Apple Holds Press Event To Introduce New iPhone

Wer seinen alten Kopfhörer an das neue iPhone anschließen will, benötigt einen Adapter

(Foto: AFP)

Kampf dem Kabel: Beim iPhone 7 fehlt der Klinkenanschluss, Millionen Nutzer brauchen Adapter oder neue Kopfhörer. Dabei geht es Apple gar nicht um die Klangqualität.

Von Simon Hurtz

iMac, iPod, iPhone, iPad: Apples Produkte haben Standards gesetzt. Ohne das iPhone würden Milliarden Menschen womöglich noch heute Smartphones mit Hardware-Tastaturen bedienen, Nokia und Blackberry wären die wichtigsten Hersteller, das Internet würde sich noch an Desktop-Rechnern orientieren und sähe völlig anders aus.

Apple hat aber nicht nur neue Produkte erschaffen, sondern auch alte Technologien beerdigt: Der iMac ersetzte Ende der Neunziger Diskettenlaufwerke durch CD-Laufwerke, die zehn Jahre später beim Macbook Air ersatzlos gestrichen wurden. 2012 stießt das Unternehmen Millionen iPhone-Nutzer vor den Kopf, als der 30-Pin-Connector wegfiel: Die fünfte Generation des Smartphones etablierte den Lightning-Anschluss, der nötige Adapter kostet 35 Euro.

Jedes Mal war das Klagen laut, und so ist es auch nach der jüngsten Keynote. Den meisten Gesprächsbedarf lösen nicht die neuen Funktionen der vorgestellten Produkte aus, sondern ein Feature, das wegfällt. Das iPhone 7 ähnelt optisch seinem Vorgänger, doch ein entscheidendes Detail fehlt: die analoge Kopfhörerbuchse. Bislang galt: So reflexhaft die Empörung aufkam, so schnell verstummte sie auch wieder. Ein paar Blackberry-Nostalgiker trauern ihren Tastaturen hinterher, doch dass sich Disketten nur noch im Technikmuseum bewundern lassen, dürfte die meisten Menschen eher freuen.

Ein Rest analoger Anarchie

Diesmal ist die Ausgangssituation eine andere. Die 3,5-Millimeter-Klinke ist seit einem halben Jahrhundert der Standard, um Ton analog zu übertragen. Verstärker, Lautsprecher, Kopfhörer, Laptops und Smartphones: Sie alle besitzen entsprechende Ein- oder Ausgänge. Und im Gegensatz zur Diskette steckt dahinter keine hoffnungslos veraltete Technik, auch Audiophile verbinden ihre teure Hardware mit Klinkenkabeln. Wenn Steve Jobs neue Produkte präsentierte, ließ er gerne einen Satz folgen: "It just works." Das ließe sich auch über die analoge Kopfhörerbuchse sagen: Sie funktioniert einfach.

Die Klinke ist ein Rest analoger Anarchie in einer digitalen, zunehmend reglementierten Welt. Der 3,5-Millimeter-Stecker verbindet viele Milliarden Geräte miteinander, und die Hersteller haben keinerlei Einfluss darauf. Jeder Kopfhörer passt zu jedem Smartphone, egal ob Android oder iOS. Apples Abschied von der Klinkenbuchse könnte die iPhone-Welt zu einem noch dichter abgeschotteten System machen als sie es heute schon ist.

Tim Cook beharrt darauf, es besser zu wissen als die Nutzer

Wer einen Kopfhörer kauft, würde sich damit künftig an sein Smartphone binden: Lightning-Ports gibt es nur bei Apple (die Hersteller der Kopfhörer müssen übrigens Lizenzgebühren zahlen, wenn sie den Anschluss nutzen wollen), Android-Smartphones setzen dagegen auf USB-C. Motorola (beim Moto Z) und einige chinesische Firmen verzichten schon heute auf die Kopfhörerbuchse, kürzlich erklärte Intel den USB-C-Anschluss zur Zukunft: "Wir haben ein einziges Kabel, das so ziemlich alles kann, was du willst." Es sei denn natürlich, man besitzt ein iPhone.

Als Anfang des Jahres die ersten Gerüchte auftauchten, dass der Anschluss beim neuen iPhone fehlen könnte, unterschrieben 300 000 Menschen eine Petition, die Apple davon abbringen sollte. Doch Steve Jobs sagte schon vor knapp 20 Jahren: "Oft wissen die Leute nicht, was sie wollen, bis du es ihnen zeigst." Auch sein Nachfolger Tim Cook beharrt nun darauf, es besser zu wissen als die Nutzer. Mit seiner Marktmacht kann es sich Apple leisten, seine Kunden zu bevormunden. Nur wenige werden deshalb zu einem Android-Smartphone greifen.

"Warum wir den analogen Kopfhöreranschluss entfernen? Mut."

Trotzdem bleibt ein Risiko, weshalb Apple die Neuerung mit mehreren Argumenten verteidigt. Marketing-Chef Phil Schiller sagte auf der Keynote am Mittwochabend: "Einige Leute haben gefragt, warum wir den analogen Kopfhöreranschluss entfernen." Und weiter: "Es lässt sich auf ein Wort herunterbrechen: Mut." Das allein aber macht die Entscheidung noch nicht zu einer guten Idee.

Wenig überzeugend ist auch die Begründung, mit der es Apple-Vizechef Greg Joswiak im Gespräch mit Buzzfeed versucht. Die Kopfhörerbuchse sei "ein Dinosaurier", seit 50 Jahren nicht mehr verändert worden. Dagegen ließe sich sagen: Steckdosen sind fast doppelt so alt, trotzdem macht Apple keine Anstalten, sie mit eigenen, proprietären Alternativen zu ersetzen. Das sind aber wohl vorgeschobene Gründe der Apple-Manager.

Nicht Mut und nicht das Alter der Technik, nein: Ein entscheidender Grund lautet: Platz. Die neue Kamera ist größer als die des Vorgängermodells. Das iPhone 7 Plus besitzt gar zwei Kameras, eine mit Weitwinkel- und eine mit Teleobjektiv. Auch der neu entwickelte Home-Button, der dem Force-Touch-Clickpad der Macbooks ähnelt, benötigt mehr Raum im Geräteinneren.

Wasserdicht trotz Kopfhörerbuchse? Samsung hat das auch geschafft

Nebenbei konnte man einen größeren Akku verbauen, das Smartphone soll jetzt eine (beim 7 Plus) bzw. zwei Stunden (7) länger durchhalten. Hardware-Chef Dan Riccio sagte Buzzfeed, das fehlende Loch habe geholfen, das iPhone besser gegen eindringendes Wasser zu schützen. Samsung hat das beim Galaxy S7 allerdings auch geschafft, musste dafür nicht auf einen analogen Kopfhöreranschluss verzichten und erreicht sogar eine höhere Schutzklasse als Apple: IP68 statt IP67 - beiden Smartphones kann Staub nichts anhaben (dafür steht die Kennziffer 6). Im Gegensatz zum iPhone übersteht das Samsung-Handy diesen Standards zufolge aber nicht nur "zeitweiliges", sondern auch "dauerhaftes Untertauchen".

Die Platzersparnis mag für Apples Ingenieure wichtig gewesen sein - um den Kunden zu erklären, warum sie einen Adapter für neun Euro kaufen sollen, um ihre alten Kopfhörer anschließen zu können, reicht das nicht.

Viele iPhone-Käufer haben vermutlich keine hohen Ansprüche an Akustik

Lightning-Kopfhörer dürften manche audiophilen Nutzer interessieren, weil die Technik den Klang verbessert. In ihnen kann Apple bessere Digital-Analog-Wandler verbauen. Sie verwandeln digitale Informationen in Klang. Das ist aber vor allem für Luxus-Kunden relevant.

Wichtiger für Apple dürften die Millionen iPhone-Käufer ohne hohe Ansprüche an Akustik sein. Sie besitzen Musiksammlungen mit verlustbehafteten Mp3-Dateien, streamen in durchschnittlicher Qualität über Spotify oder hören in lauten Umgebungen. Vielen geht es deshalb eher um ausgeprägten Bass, markantes Design oder eine bekannte Marke als um glasklaren Klang. Sie greifen nicht zu Lightning-, sondern zu Bluetooth-Kopfhörern.

Lightning-Kopfhörer könnten illegal kopierte Musik blockieren

Auf denen leidet die Klangqualität ein wenig, doch im Alltag dürfte das für die wenigsten eine Rolle spielen. In den USA übersteigt der Umsatz mit Bluetooth-Kopfhörern mittlerweile die Verkaufserlöse mit kabelgebundenen Kopfhörern. Auf Platz eins: Beats - jener Hersteller, den Apple vor zwei Jahren übernommen hat. Passend zur Keynote hat Beats drei neue Bluetooth-Kopfhörer vorgestellt. Dazu kommen Apples eigene Airpods, für die das Unternehmen eine Menge Spott einstecken musste. Doch es gibt auch euphorische Ersteindrücke und Kommentatoren, die sie für die heimlichen Hits der Keynote halten.

Auch bei der Bluetooth-Verbindung scheint Apple auf eine Eigenentwicklung zu setzen. In den neuen iPhones, in Airpods und Beats' neuen kabellosen Kopfhörern steckt der sogenannte W1-Chip, der die Verbindungsqualität verbessern soll. Das soll wohl eine Konkurrenz zum etablierten aptX-Protokoll, das nahezu verlustfreie Datenübertragungen per Bluetooth ermöglicht und momentan von etlichen Smartphone- und Kopfhörer-Herstellern wie Samsung, Sony oder Sennheiser eingesetzt wird. Wie mit dem neuen Zwang zu Lightning-Kopfhörern dürfte Apple auch mit dem eigenen Bluetooth-Standard den Markt weiter fragmentieren - um Kunden enger an sich zu binden.

Kunden droht womöglich eine Gefahr, die lange vergessen schien. Sie versteckt sich hinter drei Buchstaben: DRM - Digital Rights Management, also Multimediadateien mit eingebautem Urheberrechtsschutz. Analoge Signale sind immer frei davon, die digitale Übertragung per Bluetooth oder Lightning-Anschluss lässt es jedoch zu, illegal kopierte Musik zu erkennen und das Abspielen zu verhindern. Die Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) befürchtet jedenfalls schon mal das Schlimmste und warnt vor den Begehrlichkeiten von Hollywood und Musiklabels, die jetzt ihren Einfluss geltend machen könnten. Apple sagt, das sei eine "paranoide Verschwörungstheorie". Den Kunden bleibt nichts übrig, als dem Konzern zu vertrauen.

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