Internet-Aktionstag "The Day We Fight Back":Alle gegen Goliath

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Banner zu "The Day We Fight Back" (Foto: The day we fight back)

Aktivisten protestieren am heutigen Dienstag weltweit im Netz gegen die Überwachung durch Geheimdienste. "The Day We Fight Back" hat einige Gemeinsamkeiten mit den ACTA-Protesten. Wie sind seine Erfolgsaussichten?

Von Maja Beckers, Mirjam Hauck und Pascal Paukner, San Francisco

"The Day We Fight Back": Ein Bündnis aus Netzaktivisten, Web-Unternehmen und Menschenrechtsorganisationen hat den 11. Februar 2014 zum Aktionstag gegen die Massenüberwachung durch die NSA ausgerufen. Tausende Webseiten-Betreiber sollen am heutigen Dienstag ein Banner der Aktion einbinden, das es Nutzern in den USA ermöglicht, per Mail oder Telefon ihren Abgeordneten zu kontaktieren. So soll der US-Kongress mit Nachrichten geflutet werden, die fordern, die Gesetzesgrundlage für das Spionieren der NSA, den "FISA Improvements Act", abzulehnen und stattdessen den "USA Freedom Act" zu unterstützen. Auch Gesetze zum Schutz von Nicht-Amerikanern werden ausdrücklich gefordert. Parallel dazu sind weltweit Events und Demonstrationen geplant.

"Ich will nicht in einer Big-Brother-Welt leben" sagt Mitchell Baker, Chefin von Mozilla über die Motivation der Aktivisten. Ihre Organisation hat sich mit der Community-Seite Reddit, dem Blog BoingBoing, der Blogging-Plattform Tumblr, der Nichtregierungsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF), Amnesty International und vielen anderen für diesen Protesttag zusammengeschlossen.

USA Freedom Act statt Patriot Act

Das Gesetz, das sie fordern, der "USA Freedom Act", ist ein Entwurf von Jim Sensenbrenner, Republikaner und Mitglied des amerikanischen Repräsentantenhauses. Sensenbrenner hat 2001 den "Patriot Act" mitverfasst. Das Gesetz, das es als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 Behörden erleichtert hat, Telefongespräche und E-Mails abzuhören und mitzulesen. Doch diesem konservativen Politiker, der sich stets für die Überwachung zur Terrorabwehr ausgesprochen hat, geht die massenhafte Ausspähung mittlerweile zu weit. "Das ist ein Missbrauch des Patriot Act" sagt er und lancierte deshalb den "USA Freedom Act", der das massenhafte Abhören verbieten soll.

Zusätzlich zu den Nachrichten an ihre Politiker sollen Nutzer auf der ganzen Welt Banner und Logos der Aktion auf ihren Web-Profilen hochladen, auf Reddit diskutieren, Memes schaffen, Events organisieren und das alles über soziale Netzwerke verbreiten.

"Als Internetnutzer haben wir die Verantwortung, die Freiheit des Netzes zu verteidigen" schreibt Mitinitiator David Segal von der Petitionsplattform Demand Progress auf Reddit. "Die größte Bedrohung für ein freies Netz und eine freie Gesellschaft ist das Massenüberwachungs-Regime der NSA." Mozilla-Chefin Baker bedauert, dass trotzdem der Widerstand bisher nicht die Ausmaße angenommen hat, die er ihrer Meinung nach annehmen sollte. "Viele Menschen finden die kommerzielle oder staatliche Überwachung nebulös. Sie ist gefühlt zu weit weg."

Es interessiere die Leute nicht. Oder sie seien zu bequem, um ihr Online-Verhalten zu ändern. Software solle nach der Überzeugung vieler Nutzer einfach das tun, was man will und einfach zu handhaben sein. Ansonsten solle man nicht allzuviel darüber nachdenken müssen. Dabei gebe es großartige Alternativen, wie etwa Open-Source-Software. "Sie ist eines der mächtigsten Werkzeuge gegen Überwachung", sagt Baker.

Dass Protest, der im Netz startet, erfolgreich sein kann, dafür gibt es bereits Beispiele. Im Juli 2012 etwa stoppte das Europäische Parlament nach internationalen Protesten das umstrittene Anti-Counterfeiting Trade Agreement - kurz: Acta. Das Handelsabkommen sollte laut seinen Befürwortern das geistige Eigentum schützen, hätte aber aus Sicht von Kritikern den Datenschutz gefährdet und Reglementierungen bis hin zu Zensur und Internetsperren ermöglicht.

Zunächst hatten Blogger damals zum Protest aufgerufen, Webseiten wurden als zentrale Anlaufstellen eingerichtet und Anti-Acta-Videos, allen voran jenes der Hackergruppe Anonymous, verbreiteten sich rasant über soziale Netzwerke. Online-Protest und Straßendemonstrationen liefen parallel und befeuerten sich gegenseitig. Der Erfolg zeigte, welche politische Kraft sich im Internet formieren kann.

Kurz zuvor waren in den USA der Stop Online Piracy Act (Sopa) und der Protect IP Act (Pipa) auf ähnliche Weise gestoppt worden. Die beiden Gesetze sollten die Rechte von Copyright-Inhabern stärken. Laut Kritikern wäre damit aber auch die Meinungsfreiheit im Netz beschnitten worden. Dem massiven Online-Protest schlossen sich damals auch Internet-Riesen wie Google und Wikipedia an. Google legte einen schwarzen Balken über sein Logo, Wikipedia schwärzte gleich alle englischsprachigen Seiten, bis auf jene, die Sopa und Pipa erklärten. Laut Organisatoren beteiligten sich mehr als 100 000 Webseiten an der Online-Demonstration. Manche von ihnen stellten für einen Tag sogar ganz ihren Betrieb ein.

Diesmal wird der Protest allerdings wohl deutlich kleiner ausfallen - bislang sind es mehrere Tausend Teilnehmer. Kurz vor Beginn hat auch die Reform Government Surveillance ihre Unterstützung zugesagt. In dieser Gruppe haben sich die wichtigsten US-Internetfirmen zusammengeschlossen, darunter Google, Facebook und Microsoft. Allerdings weisen die Firmen nicht auf ihren eigentlichen Seiten auf die Aktion hin, sondern nur auf der Informationsseite, auf der sie für eine Geheimdienstreform plädieren.

Gedenken an Aaron Swartz

Zudem dürfte es ungleich schwerer sein, dem mächtigsten Geheimdienst der Welt Grenzen zu setzen, als, wie damals bei Acta, Sopa oder Pipa, konkrete Gesetze zum Urheberrecht zu stoppen, die gerade erst verhandelt werden. Die Initiatoren von "The day we fight back" sind sich darüber durchaus im Klaren, dass sich ihr Kampf gegen einen übermächtigen Goliath richtet. David Segal sagt dazu: "In diesem Fall müssen wir den ersten Schritt machen. Unsere Gesetzgeber müssen von Leuten hören, die das Internet lieben, dass sie nicht einfach zusehen werden, wenn sich das alles in ein riesiges Werkzeug für Massenüberwachung entwickelt."

Zentrale Figur der Sopa/Pipa-Proteste vor zwei Jahren war der Netzaktivist Aaron Swartz. (Hier seine Rede "How we stopped Sopa"). Der "Day we fight back" ist auch ihm gewidmet. Der Programmierer hatte bereits als Teenager den RSS-Dienst mitentwickelt und später die Website Reddit mitgegründet. Er hatte sich dem Kampf für ein freies Netz und frei zugänglichem Wissen verschrieben, engagierte sich für Open Access und Open Government. 2011 wurde er jedoch vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) verklagt - er habe illegal 4,8 Millionen Dokumente aus der Journal-Datenbank JSTOR heruntergeladen. Ihm drohten 35 Jahre Haft und eine enorme Geldstrafe. Im Januar 2013 nahm sich Swartz, der an Depressionen litt, das Leben.

Swartz kommentierte die Massenüberwachung einst so: "Es ist schockierend, dass die NSA sich so wenig verantworten muss, dass sie nicht einmal grundlegende Statistiken darüber führt, wie groß ihr Spionage-Programm ist. Wenn die Antwort ist: 'Oh, wir spionieren so viele Leute aus, wir können sie unmöglich zählen', dann ist das eine furchtbar riesige Masse an Leuten." Fünf Monate nach Swartz' Tod brachten die Enthüllungen von Edward Snowden ans Licht, wie umfassend die Überwachung wirklich ist.

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