Adblocker:Google Chrome blockiert Werbung

Google Chrome-Werbeposter in der Londoner U-Bahn.

Werbung von Google für seinen Chrome-Browser in London: Der Internet-Werbung möchte der US-Konzern nun zu mehr Akzeptanz verhelfen - mit einem paradox anmutenden Ansatz.

(Foto: REUTERS)
  • Googles Chrome-Browser blockiert ab diesem Donnerstag bestimmte Werbeformate, die Nutzer als besonders lästig empfinden.
  • Das Unternehmen hat auch ein Eigeninteresse: Es hofft, dass weniger Menschen Adblocker installieren.
  • Die Entscheidung zeigt, wie mächtig Google geworden ist. Das Netz befindet sich fest in der Hand eines einzigen Konzerns, der die Spielregeln bestimmen kann.

Von Simon Hurtz

Erstaunlich viele Menschen sagen: Das Beste am Kino ist die Werbung. Deutlich weniger Menschen sagen: Das Beste am Internet sind die Anzeigen. Vermutlich sagt das überhaupt niemand.

Ethan Zuckerman, der in den 90er-Jahren das Format der Pop-Up-Anzeigen erfunden hat, bereut sein Werk bitterlich. "Wir haben eines der meistgehassten Mittel im Werkzeugkasten der Werber erschaffen", schrieb er 2014 im Atlantic. "Es tut mir leid. Wir hatten guten Absichten."

Wer eine unbekannte Webseite öffnet, muss damit rechnen, dass plötzlich ein neues Fenster aufpoppt und für Sportwetten, Diätpillen oder noch dubiosere Angebote wirbt. Vielleicht startet auch ein Video und erschreckt mit ohrenbetäubender Lautstärke den nichtsahnenden Smartphone-Nutzer und die anderen Morgenpendler in der U-Bahn. Oder eine hektisch blinkende Anzeige verdeckt den ursprünglichen Inhalt, und das rettende "X", um sie zu schließen, ist nirgends zu entdecken.

Ausgerechnet Google will jetzt Werbung blockieren

Das ärgert Milliarden Internetnutzer. Ausgerechnet Google schickt sich nun an, sie vor unliebsamen Überraschungen zu schützen. An diesem Donnerstag schaltet das Unternehmen in Europa und Nordamerika einen integrierten Werbeblocker in seinem Chrome-Browser scharf. Die Option wird sowohl in der mobilen als auch in der Desktop-Version automatisch aktiviert und soll Anzeigen filtern, die besonders nerven.

Google, das gemeinsam mit Facebook den Markt für Online-Werbung dominiert. Google, das jedes Jahr Milliarden verdient, indem es Unternehmen hübsche Plätze für ihre Anzeigen verkauft. Dieses Google will jetzt Werbung blocken. Wie passt das zusammen?

Das passt prima, sagt Google selbst. Der Fokus von Chrome habe immer darauf gelegen, Nutzern das Surfen so angenehm wie möglich zu machen, sagt Google-Manager Rahul Roy-Chowdhury. Im Laufe der vergangenen Jahre hätten immer mehr Menschen bestimmte Arten von Anzeigen als frustrierend oder aufdringlich empfunden. Deshalb installierten Nutzer Adblocker und gefährdeten damit die Finanzierung großer Teile des Webs.

Auch SZ.de bittet Nutzer, Adblocker zu deaktivieren

Nutzer sollen also nicht weniger Werbung sehen, sondern nur weniger lästige Werbung, die sie dazu bringen würde, alle Anzeigen zu blockieren. Tatsächlich verwenden mittlerweile so viele Menschen Adblocker, dass Webseitenbetreiber um ihre Einnahmen fürchten. Manche Medien sperren Nutzer aus, die ihre Inhalte lesen wollen, ohne Werbung zu betrachten. Auch SZ.de finanziert sich zu einem Teil aus diesen Anzeigenerlösen und bittet Leser, Adblocker zu deaktivieren oder sich kostenlos zu registrieren.

Also hat Google als Teil der Coalition for Better Ads (CFBA) versucht, herauszufinden, welche Werbung Nutzer am meisten stört. Der Organisation gehören neben Google, Facebook und Microsoft auch Verlage wie Axel Springer und Vertreter der Werbeindustrie an. 25 000 Menschen wurden befragt, um Kriterien für bessere Anzeigen zu entwickeln. Zwölf Werbeformen stehen nun auf dem Index, darunter Pop-ups, Autoplay-Videos mit Ton oder animierte Anzeigen mit wechselnden Hintergrundfarben auf Mobilgeräten.

An dieser Blacklist orientiert sich Google bei seinem Chrome-Werbeblocker. Webseitenbetreiber, die eines der zwölf beanstandeten Formate einsetzen, werden von Google informiert. Wenn sie die fraglichen Anzeigen nach 30 Tagen nicht ersetzt haben, sehen Chrome-Nutzer dort gar keine Werbung mehr. Bis zum 12. Februar hätten bereits 42 Prozent der betroffenen Seiten reagiert und die Better-Ads-Standards umgesetzt, sagt Google.

Eine Win-Win-Win-Situation?

Ohnehin dürften die meisten Nutzer den neuen Werbeblocker zunächst kaum bemerken. Weniger als ein Prozent der untersuchten Seiten zeige den Besuchern Werbung an, die gegen die Leitlinien der CFBA verstößt, teilte Google Anfang Februar mit. Am besten wäre es, wenn der Chrome-Adblocker gar keine Anzeigen filtern müsse, heißt es aus dem Google-Entwicklerteam in München.

Seit Google die Funktion im vergangenen Juni ankündigte, haben Teile der Verlags- und Werbebranche in teils schrillen Tönen vor ihr gewarnt. Diese Aufregung könnte etwas übertrieben gewesen sein. "Chrome blockiert jetzt standardmäßig Werbung" klingt spektakulär. "Google fordert einen Bruchteil der Seitenbetreiber auf, ihre nervigsten Anzeigen auszutauschen" dürfte eher der Realität entsprechen.

Die schlimmsten Auswüchse der Online-Werbung verschwinden, einige Nutzer deinstallieren ihre Adblocker, Medien freuen sich über höhere Anzeigenerlöse, und Google, der größte Werbevermarkter der Welt, profitiert natürlich auch. Das klingt nach einer Win-Win-Win-Situation. Ganz so einfach ist es aber nicht.

Google dominiert das Web, und das weckt Sorgen

Zum einen bleiben Bedenken beim Chrome-Adblocker. "Wie alle Mitglieder der Better Ads Coalition folgen auch wir den vereinbarten Standards", sagt Google. Standards also, die Google selbst mit definiert und abgesegnet hat. Viele Nutzer empfinden die sogenannte Pre-Roll-Werbung vor Videos als sehr lästig. Dennoch ist es schwer vorstellbar, dass Google die wichtigste Werbeform seiner Videoplattform Youtube auf den Index setzt und sich selbst seines Geschäftsmodells beraubt.

Vor allem aber verdeutlicht Googles Vorstoß erneut, wie einflussreich das Unternehmen ist. Ein Gedankenexperiment: Alle Menschen müssen Brillen tragen, ohne Sehhilfe können sie die Welt nicht wahrnehmen. Knapp 60 Prozent aller Brillen werden von einem einzelnen Unternehmen hergestellt. Jener Konzern hat sich außerdem ein Quasi-Monopol als Reiseveranstalter erarbeitet und verdient obendrein Geld damit, den Brillenträgern kleine Anzeigen am Rande ihres Sichtfeldes anzuzeigen.

Das Unternehmen bestimmt also, welche Teile der Erde Menschen besuchen und wie sie ihre Umgebung wahrnehmen. Das entspricht Googles Bedeutung für das World Wide Web. Mehr als neun von zehn Menschen googeln, um Webseiten zu finden, 60 Prozent nutzen Chrome, um sie zu betrachten, und oft sehen sie dabei Anzeigen, die über Googles Werbenetzwerk geschaltet werden. Von den anderen Konzern-Produkten Gmail, Youtube und Android erst gar nicht zu reden.

"Das Web ist nicht Google, und es sollte nicht nur Google sein"

Das einst dezentrale und vielfältige Netz befindet sich in der Hand weniger Konzerne, und Google ist der mächtigste von ihnen. "Das Web ist nicht Google, und es sollte nicht nur Google sein", schrieben etliche bekannte Web-Entwickler, als sie kürzlich warnten, dass Google immer mehr Inhalte in seinem eigenen AMP-Format anzeige und Seitenbetreibern so Besucher entziehe.

Google behauptet, man sei sich dieser Verantwortung bewusst. "Wir haben großes Interesse daran, das Web als standardisierte, offene Plattform weiterzuentwickeln", sagt ein Sprecher des Entwicklungsteams in München. Dafür arbeite man mit anderen Browserherstellern zusammen und orientiere sich an den Bedürfnissen von Nutzern und Web-Entwicklern.

Diese Sichtweise teilen nicht alle. Im November beklagte sich der Entwickler Nikita Prokopov, dass Google weit verbreitete Schnittstellen abschalte und etliche Webseiten unbrauchbar mache, nur um die Leistung des Chrome-Browsers zu verbessern. Kurz darauf rief Programmierer Chris Krycho seine Kollegen auf, Webseiten für alle Browser zu entwickeln und sich nicht nur auf Chrome zu fokussieren. Der Appell verbreitete sich in der Community, zahlreiche Entwickler beteiligten sich an der Diskussion.

Wird Google Chrome der neue Internet Explorer

Anfang des Jahres warnte das Tech-Portal The Verge schließlich: "Chrome verwandelt sich in den neuen Internet Explorer 6". Microsoft hatte damit Anfang des Jahrtausends einen Marktanteil von mehr als 90 Prozent. Gleichzeitig war der Browser aber langsam, unzuverlässig und unsicher. Insbesondere Entwicklern erschwerte er die Arbeit, da Microsoft sich weigerte, moderne Webstandards zu unterstützen.

Heute surft kaum noch jemand mit dem Internet Explorer. Auch sein Nachfolger, der Edge-Browser, kann nicht mit Chrome, Firefox und Safari mithalten. Microsofts Schicksal zeigt: Firmen, die konsequent an den Bedürfnissen von Nutzern vorbei entwickeln, können in kurzer Zeit tief fallen. Google mag aktuell verdammt mächtig sein - aber auch andere Firmen bauen schöne Browser.

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