Wikileaks-Finanzierung:Die Spur des Geldes

Die Organisation Wikileaks ist stark. Schwäche zeigt sie nur auf der finanziellen Seite, denn sie braucht Spenden. Doch woher kommt das Geld für die Organisation? Eine Spurensuche.

Janek Schmidt

Der Sturm war enorm, den Wikileaks vor knapp zwei Wochen mit der Veröffentlichung von geheimen Papieren aus der US-Armee ausgelöst hat. Die Ruhe, die seitdem wieder eingekehrt ist, ist trügerisch.

Wikileaks-Finanzierung: Wikileaks-Gründer Assange: Ex-Hacker mit Fangemeinde.

Wikileaks-Gründer Assange: Ex-Hacker mit Fangemeinde.

(Foto: AP)

Denn mit jedem Tag, an dem die Online-Rechercheure neue Auftritte vorbereiten, wächst bei amerikanischen Behörden die Angst vor weiteren Enthüllungen und damit der Druck, gegen die Internet-Aktivisten vorzugehen.

So nahmen Grenzbeamte vergangene Woche den Wikileaks-Vertreter Jacob Appelbaum bei seiner Einreise in die USA zeitweise in Gewahrsam und beschlagnahmten seine drei Telefone. Dann forderte Marc Thiessen, der frühere Redenschreiber von Präsident George Bush, in der Washington Post, den Wikileaks-Gründer Julian Assange im Ausland festzunehmen.

Schließlich sprach sich der republikanische Kongressabgeordnete Mike Rogers dafür aus, den verhafteten Soldaten und mutmaßlichen Wikileaks-Informanten Bradley Manning zum Tode zu verurteilen.

Offenbar aus Sorge um ihre eigene Sicherheit konterten die Wikileaks-Betreiber umgehend. Sie veröffentlichten eine große verschlüsselte Datei mit dem Namen "Insurance" und der damit verbundenen Warnung: Wenn einem Mitarbeiter etwas passiert, wird das Passwort ausgegeben.

So verschärft sich der Kampf um die Hoheit im Netz, und mit jeder weiteren Eskalationsstufe fragen sich die Beobachter: Wer wird länger durchhalten in diesem neuen Cyber-War?

Zerbrechlich im Kampf

Wie zerbrechlich Wikileaks dabei in den Kampf zieht, erkannte die Organisation Ende 2009. Am 24. Dezember schlossen die Betreiber ihre Internet-Seite und teilten über den Nachrichtendienst Twitter mit: "Wir müssen uns bis mindestens 6. Januar auf das Eintreiben von Mitteln konzentrieren, um unseren Geldmangel zu beheben."

Obwohl der weihnachtliche Notruf viele Anhänger aufrüttelte, erreichten die Internet-Rechercheure ihr Mindesziel an Spenden - 150.000 Euro - erst am 3. Februar. Dennoch konnte Wikileaks das Internet-Archiv noch nicht voll voll in Betrieb nehmen. Es wurde klar, dass der Kampf um Transparenz und Wahrheit im Internet auch über Geld entschieden wird.

Die Bedeutung einer unabhängigen Einnahmequelle hatte Wikileaks-Gründer Julian Assange früh erkannt. In den achziger Jahren war der gebürtige Australier in der Melbourner Hacker-Gruppe International Subversives aktiv.

Mit 20 Jahren drang er bereits in den Master Terminal des kanadischen Telefonunternehmens Nortel ein. Die Strafverfolger waren so beeindruckt von seinem Geschick, dass sie ihn später als versiertesten Spion der berüchtigten Gruppe bezeichneten. Doch reich sei Assange trotz seiner Computer-Kenntnisse nie geworden, sagt er. Schon bei der Gründung von Wikileaks 2006 habe er gewusst, "dass es schwer würde, als sozial motivierter Hacker ein Erlösmodell zu finden".

Also suchte er zunächst die Aufmerksamkeit. Dafür veröffentlichte er 2007 geheime Militärinformationen über Armee-Einkäufe in Milliardenwert für Afghanistan und Irak. Wochenlang hatte er dafür eine Datenbank erstellt, in der Nutzer ablesen konnten, welche Armee-Einheiten Geländefahrzeuge, Maschinengewehre oder Telefone angeschafft hatten. "Das Material war fantastisch, aber die Journalisten haben es einfach ignoriert", erinnert er sich heute, "für uns war das eine riesen Enttäuschung."

Assange und der Irak-Scoop

Assange hatte das Gefühl, dass Medien ihr Interesse verlieren, sobald Daten allgemein zugänglich und kostenlos sind. So versuchte er 2008, ein weiteres geheimes Datenpaket unter Zeitungsverlagen zu versteigern.

Doch die Auktion von 7000 E-Mails eines früheren Redenschreibers des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez erwies sich als juristisch und organisatorisch zu aufwendig.

Es dauerte etwa ein weiteres Jahr, bis Assange ein Geheimpaket mit einem Video aus dem Irak erhielt, von dem er wusste: Das könnte der Scoop werden, der die Aufmerksamkeit für ausreichend Spenden erzeugt.

Unter dem Code-Name ProjectB machte sich Assange daran, das Videomaterial zu entschlüsseln, mit Ton zu versehen und auf eine sichere Webseite zu stellen, um es zu veröffentlichen. Dafür zog er sich mit einem halben Dutzend Wikileaks-Aktivsten nach Island zurück. In der Hauptstadt Reykjavik mieteten sie sich ein unauffälliges Haus, das sie von da an nur noch "den Bunker" nannten.

Mit dabei war auch der dänische Hacker und Internet-Unternehmer Rop Gonggrijp. "An allen Tagen bis auf einen habe ich in Reykjavik im Bunker mitgearbeitet, eingesperrt hinter zugezogenen Vorhängen", berichtet er über die geheime Mission.

Nach einigen Wochen, in denen er sich vor allem von Chips, Salzstangen und Pizza ernährte, war das Band entschlüsselt und fertig geschnitten. Am Ostermontag, in einer Zeit ohne große Medien-Ereignisse, präsentierte Assange das Video.

"Ein neues Finanzierungsmodell"

Darauf ist zu sehen, wie amerikanische Soldaten aus einem Hubschrauber irakische Zivilisten erschießen. Die Bilder scheinen so viele Menschen bewegt zu haben, dass Wikileaks zwei Tage später über Twitter mitteilte: "Seit Montag haben wir mehr als 150.000 Dollar Spenden bekommen. Ein neues Finanzierungsmodell für den Journalisms."

Nun konnten die Internet-Rechercheure weitere Datenleitungen, den Unterhalt neuer Server in mehreren Ländern und Reisekosten bezahlen. Obwohl einige Unterstützer weiterhin kostenlos Computer, Leitungen und auch juristische Hilfe zur Verfügung stellen, betragen die festen Jahreskosten der Organisation 150.000 Euro.

Allerdings strebt Wikileaks jährliche Einnahmen von 460.000 Euro an. Davon könnten die fünf festen Mitarbeiter und einige der etwa 900 Gelegenheitshelfer künftig Aufwandsentschädigungen erhalten. Bislang bekommt nicht einmal Assange ein Gehalt. Er lebt von Erspartem, hat keinen festen Wohnsitz und schläft auf seinen permanenten Reisen oft bei Freunden.

Der neue Erfolg rief jedoch auch Kritiker auf den Plan. Auf der konkurrierenden Internetseite Cryptome.org, deren Betreiber ebenfalls geheime Dokumente veröffentlichen, schrieb Anfang Juli ein anonymer Besucher über Wikileaks: "Was uns beunruhigt ist, dass der Empfang von Spenden immer undurchsichtiger wird." Assange sei der einzige mit direktem Zugang zu Finanzmitteln bei der Organisation, monierte der selbsternannte "Insider" und fragte: "Herr Assange, wo ist das Geld von Wikileaks?"

Wie sich Wikileaks finanziert

Wer dieser Frage nachgeht, landet bei Hendrik Fulda, dem zweiten Vorsitzenden der Wau Holland Stiftung. Die Einrichtung ist benannt nach dem Gründer des Chaos Computer Club, einem deutschen Hacker-Verein, und setzt sich für Informationsfreiheit ein. "Letzten Oktober haben wir mit Julian Assange ausgemacht, dass wir für Wikileaks Spenden entgegennehmen", sagt Fulda.

Heute gibt es vier Wege, Wikileaks finanziell zu unterstützen. Die wichtigsten, übliche Banküberweisungen und das Online-Bezahlsystem Paypal, führen direkt auf ein Konto, das die Wau Holland Stiftung verwaltet. Von diesem Geld können Wikileaks-Mitarbeiter gegen Quittung ihre Unkosten begleichen. "Seit Oktober 2009 führen wir das Konto, in der Zeit sind 700.000 Euro eingegangen", sagt Fulda.

Nach der Veröffentlichung der Afghanistan-Papiere Ende Juli seien allein innerhalb einer Woche 20.000 Euro gekommen. Da Wikileaks derzeit größere Ausgaben für neue Server noch vorbereitet, gab die Organisation nach Fuldas Angaben seit Oktober erst 55.000 Euro aus. "Ende August werden wir alle Ausgaben öffentlich dokumentieren", sagt Fulda, "hoffentlich wird das die anonymen Kritiker zufriedenstellen."

Das bezweifelt jedoch Daniel Schmitt. Er ist neben Julian Assange das einzige andere öffentlich bekannte Mitglied der fünf Freunde, die den Wikileaks-Kern bilden. "Der Vorwurf, dass Julian als einziger Zugang zu unseren Finanzen habe, ist nicht nur kompletter Unsinn", sagt Schmitt, "er erinnert mich auch an den Inhalt eines Strategie-Papiers der US-Armee, das wir selbst veröffentlicht haben."

Bezahlen per Mausklick

Dieser interne Bericht des Army Counterintelligence Center über den Umgang mit Wikileaks empfiehlt Militär-Mitarbeitern: "Die Identifizierung, Bloßstellung, Entlassung, Strafverfolgung oder das juristische Vorgehen gegen Mitglieder und Informanten könnte Menschen davon abhalten, die Webseite Wikileaks.org zu benutzen."

Um gegen solche Angriffe auch finanziell gerüstet zu sein, haben die Mitstreiter von Assange und Schmitt zwei weitere Bezahlmethoden eingerichtet. Seit dieser Woche nutzen sie den im März gegründeten Online-Dienst Flattr. Dabei kann jeder, der sich bei Flattr anmeldet, monatlich Geld auf ein spezielles Konto einzahlen.

Wenn auf einer Internet-Seite wie Wikileaks dann das Flattr-Symbol zu sehen ist, müssen Spender nur darauf klicken, um eine Zahlung an Wikileaks zu starten. "Für mich ist dieses System revolutionär, weil jetzt jeder mit nur einem Klick im Internet genau so viel bezahlen kann wie er zur Verfügung hat", sagt Schmitt, "das könnte die Zukunft der Finanzierung im Internet werden".

Doch auch in ihr viertes Spenden-Modell setzt Wikileaks Hoffnung. Schon heute können Unterstützer der Organisation über das Internet-Institut Moneybookers Geld überweisen, das dann auf einem Konto der australischen Stiftung Wikileaks ICT in Melbourne eingeht.

Das kommt vor allem Geldgebern in Australien zugute, wo Assange aus seiner Jugendzeit noch Anhänger hat. Bei einer Überweisung im Inland können Australier so ihre Zuwendung von der Steuer absetzen.

Nachdem zuletzt vor allem aus den USA potentielle Großspender nach einem amerikanischen Konto für Überweisungen gefragt hatten, riefen die Wikileaks-Betreiber ihre Mitstreiter kürzlich zur Hilfe auf. "Wir hoffen, dass Anhänger von uns Wikileaks-Stiftungen in weiteren Ländern gründen", sagt Schmitt, "so ein internationals Netz ist entscheidend für unsere Einnahmen und damit auch für unsere persönliche Sicherheit."

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