Piero Scaruffi über das Silicon Valley:Die Heimat der exzentrischen Individualisten

Piero Scaruffi über das Silicon Valley: Musiker und Autor Piero Scaruffi: Warum wurden manche Regionen zu kulturellen Zentren?

Musiker und Autor Piero Scaruffi: Warum wurden manche Regionen zu kulturellen Zentren?

(Foto: OH)

Amerika steckt in der Krise und trotzdem verliert das Silicon Valley nicht an Anziehungskraft. Das ist bizarr, findet Piero Scaruffi. Der Autor der einzigen Kulturgeschichte über das Valley lebt seit 30 Jahren dort und sucht nach den Ursachen des Booms. Letzter Teil der Serie über Kaliforniens Hightech-Standort.

Protokoll: Matthias Kolb, Menlo Park

Wenn es um das Silicon Valley geht, dann ist die Rede von Innovationen, technischem Fortschritt und den immergleichen Unternehmen: Apple, Google und Facebook. Doch die Besonderheit des 77 Kilometer langen Streifen, der im Norden Kaliforniens von San Francisco durch das Santa-Clara-Tal runter nach San José führt, machen erst die zahlreichen Start-ups und deren Gründerinnen und Gründer aus.

In einer Artikelserie haben wir bisher sieben Persönlichkeiten aus der Hightech-Region zu Wort kommen lassen: David Sacks, Chef des sozialen Netzwerks Yammer, spricht über den "chronischen Talente-Mangel", ein Gründer aus Deutschland und ein Start-up-Unternehmer aus Indien erzählen von ihren Projekten, und Amerikas erfolgreichster Immobilienmakler sowie die Chefin der elitären Partnervermittlungsagentur Linxdating berichten von ihren ebenso reichen wie besonderen Kunden. Zum Ende der Reihe erzählt der 57-jährige Italiener Piero Scaruffi, Autor der einzigen Kulturgeschichte über das Silicon Valley (Details hier), wie radikal sich die Hightech-Region in den letzten 30 Jahren verändert hat.

Ich bin 1983 ins Silicon Valley gekommen, um hier für den italienischen Elektronik-Hersteller Olivetti zu forschen. Ich fand es unglaublich cool, in Kalifornien zu sein und mit Leuten aus aller Welt an verrückten Projekten zu arbeiten. Viele Firmen aus Europa und Japan haben damals Forschungslabore hier in der Gegend eröffnet. Das war ziemlich billig und es war am wichtigsten, in der Nähe der Halbleiterindustrie zu sein - es kam auf die Hardware an. Zeitdruck gab es damals nicht, ich habe an frühen E-Mail-Programmen getüftelt, mich mit künstlicher Intelligenz beschäftigt oder überlegt, wie ich Computer zum Sprechen bringen könnte.

Als ich aus Turin an die Westküste kam, gab es hier abgesehen von Intel und Hewlett Packard keine großen Unternehmen. Und heute? Google ist Nummer Eins bei Suchmaschinen, Facebook das beliebteste soziale Netzwerk, Hewlett Packard ist Nummer Eins bei PCs, Apple ist die wertvollste Firma der Welt und auch Oracle ist Weltmarktführer. Das sind ganz schön viele "Nummer 1-Firmen". Das war in den Achtzigern anders.

Die Kids von heute können sich gar nicht vorstellen, wie verrückt die Ideen von Apple damals waren. Es war eine charismatische Firma, aber sie war nie groß. Heute wird alles immer mehr "corporate", die Unternehmen bestimmen alles. Das ändert die Haltung: Heute will jeder der nächste Milliardär werden, aber Steve Jobs war damals kein Milliardär, er war einer von vielen und musste sich durchschlagen.

Leute ziehen her, um reich zu werden

In den achtziger Jahren hat uns die Herausforderung gereizt, wir wollten neue Dinge entwickeln und Grenzen verschieben. Ich habe den Eindruck, dass heute die Durchschnittsingenieure einfach hierherkommen, weil es Arbeit gibt. Ihr Motto lautet "Sag mir, was ich programmieren soll und ich mach's!" Aus dieser Motivation hat vor dreißig Jahren nur der Gärtner gearbeitet. Das ist heute anders: Die Leute ziehen hierher, um reich zu werden.

Ich bin mittlerweile aus der IT-Branche ausgestiegen, um mich auf meine zweite Leidenschaft, die Musik, zu konzentrieren. Ein Bekannter fragte mich, ob ich mit ihm eine Geschichte des Silicon Valley schreiben wollte. Eigentlich wollte ich nicht, doch je mehr ich gelesen habe, umso spannender wurde es. Bislang ist unser Buch, das laufend aktualisiert wird und jeder auf scaruffi.com nachlesen kann, die erste Kulturgeschichte des Valley.

Mich beschäftigt die Frage, warum manche Regionen zu bestimmten Zeiten zu Zentren von kultureller Innovation und wirtschaftlicher Macht werden. Denken Sie an Athen. Während der zwei Jahrhunderte, in denen Athen am Zenith seines Einflusses stand, haben sie ständig Krieg geführt. Frauen wurden wie Tiere behandelt, ein Großteil der Bevölkerung bestand aus Sklaven. Wenn ich diese Fakten nenne, würde niemand denken, dass dies die kulturell bedeutendste Stadt der Welt war.

Stanford war lange bescheiden

Oder Florenz in der Renaissance-Zeit: Italien war zersplittert, alle bekämpften sich, es gab Hungersnöte, Epidemien und Invasionen. Ein Außerirdischer wäre nie darauf gekommen, dass man ausgerechnet hier Michelangelo, Leonardo und Galileo Galilei finden konnte, und zwar innerhalb von nur 50 Jahren. Wenn dieser Außerirdische um 1900 das Gebiet um die Bucht von San Francisco gesehen hätte, wäre er nie auf die Idee gekommen, dass die Region, die man heute Silicon Valley nennt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts der fortschrittlichste Ort des Planeten sein würde. Damals gab es hier einige Pioniere, zugleich kämpften Cowboys gegen Indianer und alle suchten nach Gold.

Die Uni Stanford war lange sehr bescheiden, ihr Gründer hatte große Probleme, Personal zu finden. Anfang der sechziger Jahre lebten 90 Prozent aller Software-Entwickler in Boston, hier gab es keinen einzigen. Ich konnte nicht mal herausfinden, wann der erste Computer hierher geliefert wurde. Es gibt viele Orte mit viel Zuwanderung und auch multikulturelle Städte. Warum also ist das Silicon Valley nicht in New York entstanden?

Irgendwann wird jemand schickere Gadgets als Apple herstellen

Ich halte einen Punkt für entscheidend: Seit hundert Jahren kommen Leute hierher, die ich "exzentrische Individualisten" nenne. Die Leute, die die ersten High-Tech-Firmen gründeten, waren Funker, die in ihrer Garage getüftelt hatten. Später kamen dann die Hippies. Noch heute gilt es in Europa oder an der Ostküste als seltsam, wenn jemand in der Garage an seiner Erfindung bastelt. Hier ist das normal. Du bist fast ein Außenseiter, wenn du es nicht tust.

Ich habe zuletzt immer wieder darüber nachgedacht, ob dem Silicon Valley ein ähnlicher Crash wie 2001 droht. Ich bin überzeugt, dass der Börsenwert vieler Firmen viel zu hoch liegt: Irgendwann wird jemand schickere Gadgets als Apple herstellen und das auf Werbung basierende Finanzmodell von Facebook ist auch nicht nachhaltig. Siemens oder General Electric sind doch viel wertvoller - allein wegen der Patente. Allerdings haben die meisten ihre Lehren aus der Krise gezogen, die Finanzen sind solider und alle sind besser auf Ernstfälle vorbereitet.

Auch wenn ich manches kritisch sehe, ist das Silicon Valley noch immer ein Ort, an dem alles möglich ist. Wenn jemand eine gute Idee hast, dann sind die Chancen extrem hoch, dass er jemanden findet, der sie mag und voran bringt. Viele erfolgreiche Unternehmer sind nun Investoren und helfen Neulingen. Gerade jetzt in der Krise gibt es so viel Geld, das darauf wartet, investiert zu werden.

Spießige Firmenkultur als Gefahr

Dennoch gibt es diese spießige Firmenkultur: 90 Prozent der Leute, die zu Google wollen, tun dies wegen des Gehalts und weil es ein sicherer Job ist. Das ist altmodisches europäisches Denken, das könnte den Spirit irgendwann ändern.

Diese beiden Strömungen konkurrieren miteinander: Einerseits kommen immer mehr Leute ins Valley, um Firmen zu gründen - und anderseits kommen Leute, die nichts anderes als gutbezahlte Sklaven sein wollen. Auch wenn Länder wie Taiwan oder Russland mit seinem Innovationszentrum Skolkowo viel Geld in Konkurrenzregionen stecken, sehe ich solche Bemühungen skeptisch. Die Leute wollen immer noch hierher kommen, das ist der größte Vorteil des Silicon Valley.

Viele denken, dass noch immer Mexikaner und Hispanics die ethnische Gruppe sind, die am meisten Einwanderer nach Amerika schicken. Dabei haben Asiaten erstmals seit Jahrzehnten die Latinos überholt. Das ist doch bizarr: In Asien boomt die Wirtschaft, Amerika steckt in der Krise, und trotzdem so viele Talente aus Asien. Wann erleben wir, dass abertausende Ingenieure das Silicon Valley verlassen und nach China oder Indien ziehen? Sie kennen die Antwort: Das klingt unmöglich und deshalb glaube ich, dass wir noch weit davon entfernt sind, dass jemand dem Valley den Rang abläuft.

Aber Achtung: Niemand hätte gedacht, dass Athen so bedeutend wird oder Florenz. Wenn aber ein neues Silicon Valley entsteht, dann nicht dort, wo man es erwarten würde, also nicht in China oder Indien. Warten wir's ab.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: