Massenphänomen Crowdfunding:Am Anfang war der Geldmangel

Crowdsourcing Illu Dieter Jüdt

Prinzip Crowdfunding: Geld rein und mal schauen, was raus kommt

Gute Ideen, aber zu wenig Geld, sie umzusetzen? Auf Crowdfunding-Plattformen im Internet kann man sich Kapital beschaffen - eine Methode, die auch in Deutschland mehr und mehr Anhänger findet.

Von Helge Denker

Am Anfang war das Problem: "Ich liebe Espresso. In meiner Firma gibt es aber nur eine Kaffeeküche mit einer Mikrowelle", sagt der Münchner Erfinder Christoph Meyl. Also entwickelte er eine Espressomaschine für die Mikrowelle. Viel zu schade, um sie nur selber als Prototyp zu verwenden. Doch größere Stückzahlen produzieren zu lassen, kostet Geld, 250.000 Euro. Geld, das Meyl nicht hat. Aber seine Freunde vielleicht. Und die Freunde dieser Freunde, ja sogar wildfremde Leute, die es einfach gut finden, dass es eine Espressomaschine für die Mikrowelle gibt. Das ist die Idee hinter Crowdfunding, Geldbeschaffung nach dem Massenprinzip. Das gab es im Prinzip schon immer, aber erst das Internet und seine Technik der Vernetzung machen es wirklich einfach, mit vielen Kleinbeiträgen ein großes Projekt zu starten.

So liehen 15.000 Fans des Rollenspiel-Klassikers "Shroud of the Avatar" mehr als eine Million Dollar, um eine Fortsetzung des Spiels möglich zu machen. Spiele-Erfinder Richard Garriott hatte die Idee zu der Fortsetzung auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter.com vorgestellt. Mehr und mehr Spieleentwickler greifen mittlerweile zu dieser Möglichkeit: Entwickler Tim Schafer sammelte im März 2012 mehr als drei Millionen Dollar für die Entwicklung eines klassischen Adventure-Spiels ein. Und der Erfinder des Weltraumabenteuers "Wing Commander", Chris Roberts, holte über Kickstarter sogar 8,4 Millionen Dollar für ein neues Spiel herein - die Masse macht's.

Christoph Meyl hat über die deutsche Plattform Startnext.de knapp 9000 Euro von rund 300 privaten Geldgebern für seine Espressomaschine eingesammelt. Vier Wochen hat er nun noch Zeit, die restliche Summe einzuwerben - das könnte knapp werden. Meyl ist dennoch optimistisch, dass seine Idee eines Tages produziert wird. Erst mal in Kleinserie, 2000 Stück. Sollte es nicht klappen, bekommen die Kleinanleger ihr Geld zurück.

Keine Zinsen und keine Gewinnbeteiligung

Auch bei Filmen wird auf Crowdfunding zurückgegriffen: Bei "Iron Sky", der Science-Fiction-Komödie des finnischen Regisseurs Timo Vuorensola, wurden etwa 900 000 Euro der Gesamtkosten von insgesamt 7,5 Millionen Euro per Crowdfunding im Internet eingesammelt. Wie dabei üblich, bekommen die Geldgeber für ihre Leihgabe keine Zinsen und auch keine Gewinnbeteiligung. Fans, die sich an der Finanzierung beteiligten, erhielten aber einen frühen Einblick in die Produktion. Als Beispiel für erfolgreiches Crowdfunding fand der Film bereits vor seinem Start im April 2012 viel Beachtung. Ein Verlustgeschäft war er dennoch: Er spielte nur 6,15 Millionen Euro ein. Neu war an "Iron Sky" aber auch, dass Fans per Internet Ideen zu dem Film beisteuern konnten. Das hatte Vuorensola auch schon bei früheren Filmen ausprobiert.

Das Prinzip Crowdfunding nützt auch die Anfang des Jahres gestartete Plattform Krautreporter von Sebastian Esser. Mit niedrigen vierstelligen Beträgen können Recherchen und Veröffentlichungen zu Themen aus Geschichte, Gesellschaft, Kultur und Politik ermöglicht werden. Auch investigative Projekte, wie ein Lobbyplag zur Kontrolle von Gesetzestexten auf Vorlagen aus der Industrie, wurden auf der Plattform Krautreporter mit rund 8000 Euro gefördert. Der Mehrwert ist das Ermöglichen und Erscheinen der gemeinsam finanzierten Geschichte.

Noch einen Schritt weiter geht Crowdinvesting: Das Prinzip ist das Gleiche wie beim Crowdfunding, doch hier gibt es auch Rendite und Gewinne, die an die Investoren ausgeschüttet werden. Eine junge Plattform für Crowdinvesting ist Companisto. "Beim Crowdinvesting investieren die Nutzer in ein Start-up-Unternehmen und werden damit zu Anteilsinhabern, die am Gewinn des Start-ups und im Fall des Verkaufs an einen Großinvestor partizipieren. Dagegen ist Crowdfunding mit einer Spende zu vergleichen. Sofern es überhaupt eine Gegenleistung beim Crowdfunding gibt, ist sie nicht monetärer Art, wie beispielsweise ein persönliches Dankesschreiben", sagt David Rhotert, Geschäftsführer von Companisto. Mit Crowdinvesting lässt sich sogar Geld verdienen, wenn auch nicht ohne Risiko.

Millionen crowdfunden Navidienste

Crowdfunding und Crowdinvesting über das Internet, das sind noch relativ neue Wege, Kunden einzubinden, lange bevor ein Produkt entsteht. Erfinder und Firmen sammeln aber nicht bloß Geld ein, sie nutzen die Vernetzung auch, um Ideen zu gewinnen und das Gold der Informationsgesellschaft zu schürfen: Daten. Das wohl bekannteste Beispiel für dieses Crowdsourcing genannte Verfahren ist das Online-Lexikon Wikipedia. Allein die deutsche Ausgabe von Wikipedia enthält heute mehr als 1,5 Millionen Artikel, geschrieben von rund 7000 ehrenamtlichen Mitarbeitern. Ohne freiwillige Helfer und Spender wäre das Wissen-Sammel-Projekt nie so erfolgreich geworden.

Ein anderes Projekt, Open Street Map, knackte zu Beginn des Jahres die Eine-Million-Mitglieder-Grenze. Die Zahl der Mitglieder hatte sich innerhalb von 14 Monaten verdoppelt. Ziel des Projekts ist es, eine frei zugängliche Weltkarte im Netz zu erstellen. Kommerzielle Anbieter wie Navteq, TeleAtlas oder Google lassen das Straßennetz weitgehend von eigenen Mitarbeitern erfassen indem diese nacheinander von Spezialfahrzeugen abgefahren werden. Das kostet: Google etwa investiert pro Jahr etwa eine Milliarde US-Dollar in seinen Kartendienst Maps.

Anders Open Street Map: Die eine Million Mitglieder erstellen nicht bloß die digitalen Straßenkarten, sie halten sie auch laufend aktuell. Kostenlos und in ihrer Freizeit. Von einer kleinen, eingeschworenen Gemeinde hat sich das Projekt in wenigen Jahren zur größten Karten-Community der Welt entwickelt. Per kostenloser Smartphone-App können die Mitglieder schnell eingeben, wenn sich etwas an der Straßenführung verändert hat und es zur Überprüfung weiterleiten. Die hohe Zahl der aktiven Nutzer wird dabei zum strategischen Vorteil. Zudem ist die App sehr einfach zu bedienen, was immer mehr Nutzer dazu bringt, Daten einzugeben. Der Vorteil für den Kunden, auch wenn er nicht zum Mitarbeiter wird: Navi-Apps, wie das in Berlin entwickelte "Skobbler" kosten nur ein Bruchteil kommerzieller Navi-Apps. Kein Wunder, dass die Skobbler-App in Deutschland zu den meistgekauften zählt.

Navigationsgeräte setzen auf die Crowd

Auch Navigations-Marktführer Tomtom setzt auf die Crowd: Nutzer von Smartphones und vernetzten Tomtom-Navis liefern ständig Massen von Bewegungsdaten über den Verkehrsfluss. Dazu melden Navis und Smartphones per Mobilfunk ständig anonym die aktuelle Geschwindigkeit, Position und Fahrtrichtung an einen Server. Diese Infos werden mit historischen Verkehrsdaten verglichen, um festzustellen, ob sich das Fahrzeug in einem Stau befindet oder nicht. Derzeit sind Millionen Geräte mit diesem Prinzip auf den Straßen Europas unterwegs und liefern so permanent ein aktuelles Bild der Verkehrslage im Straßennetz. Diese Daten sehr viel genauer und aktueller als die Verkehrsinfos im Radio. Außerdem gibt man ausgewählten Nutzern auch die Möglichkeit, Änderungen am Straßennetz zur Überprüfung zu melden.

Einen ähnlichen Crowd-Ansatz verfolgt auch die Verkehrs-App "iCoyote", die Anfang 2013 in Deutschland gestartet ist und bis Mitte März bereits 250 000-mal heruntergeladen wurde. Sie soll Autofahrer vor Blitzern, Unfällen, Staus und Baustellen warnen. Mit der App können sich Autofahrer über Gefahrenstellen informieren - und gegenseitig warnen. Derzeit ist die Verbreitung in Deutschland, im Gegensatz zum Heimatland Frankreich, noch etwas dünn, je mehr Nutzer das System hat, desto besser wird es. Die Masse, das gilt eben auch hier, die Masse macht's.

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