Kulturwandel durch das Internet:Wie die digitale Revolution die Demokratie belebt

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Der Weg ins Internet: ein Lan-Kabel

(Foto: dpa)

Brachiale Kulturkämpfer mit progressiven Netzaktivisten an einen Tisch zu setzen und sie über das Internet diskutieren lassen - eigentlich hätte dieses Vorhaben des Bundestags schiefgehen müssen. Doch es kam ganz anders. Die Expertenkommission zur digitalen Gesellschaft hat die Berliner Republik verändert.

Ein Kommentar von Jan Heidtmann

Es war ein Experiment. Und wie alle Experimente hätte es wunderbar scheitern können. In den Sitzungssälen gab es anfangs nicht einmal Wlan; die Menschen, die zusammentrafen, um über das Thema "Internet und digitale Gesellschaft" zu sprechen, hätten unterschiedlicher kaum sein können: Ansgar Heveling war genauso vertreten wie Markus Beckedahl. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Heveling machte sich vor Jahresfrist bekannt, als er vom "Endkampf" mit dem Web 2.0 schrieb. Beckedahl hat das Portal netzpolitik.org gegründet, er gehört zu den prägenden Figuren der digitalen Welt in Deutschland. Die Enquete-Kommission des Bundestages "Internet und digitale Gesellschaft" hätte nicht nur scheitern können. Sie hätte eigentlich scheitern müssen.

Nun haben die 17 Abgeordneten und die 17 Sachverständigen nach knapp drei Jahren ihre Arbeit beendet. Zu vermelden ist: ein Erfolg. Konzentriert und weitgehend konstruktiv haben sich die Beteiligten durch ein Thema geackert, das Gegenstand universitärer Forschung sein müsste. In zwölf Projektgruppen und 179 Arbeitssitzungen wurde eine Generalinventur der digitalen Welt vorgenommen - vom Datenschutz über das Urheberrecht bis zu der Frage, wie böse der Hacker tatsächlich ist.

Kulturbruch als Verdienst

Dabei haben die Kommissionsmitglieder einen neuen Arbeitsstil geprägt: Online oder über Twitter war es möglich, einen großen Teil der Sitzungen mitzuverfolgen; gleichzeitig konnte sich jeder, der wollte, an den Diskussionen beteiligen. So etwas mag vielen Menschen als selbstverständlich erscheinen, im Getriebe des politischen Geschäfts ist es das nicht. Dieser Kulturbruch ist das eigentliche Verdienst der Kommission.

Das Verhältnis zwischen Politik und digitalen Medien wirkt auch im Jahr 2013 merkwürdig unausgegoren: zwei Welten, die versuchen, in größtmöglicher Distanz aneinander vorbei zu existieren. Ja, klar, die Kanzlerin verschickt gerne SMS, und der Kanzlerkandidat der SPD verfügt nun doch über einen Twitter-Account. Aber prallen beide Lebenswelten einmal aufeinander, knallt es meist. Staatstrojaner, Zensursula, Acta oder Meldegesetz sind nur ein paar Schlagworte. Und die Piraten? Gelten bei der Konkurrenz vorerst als erfolgreich gescheitert.

Piraten haben Spuren hinterlassen

Im Wettbewerb der Parteien ist es durchaus legitim, sich über den Absturz des Gegners zu freuen. Inhaltlich und strategisch aber lässt sich von den Versuchen, Mitglieder und Wähler am politischen Prozess zu beteiligen, nur lernen - rührt doch der Ansatz der Piraten an einem Grundproblem der etablierten Parteien: ihrer Legitimation. Die Aussage des Erfolgs der Internetpartei und anderer internetgestützter Politikforen lautet doch: ,Wir fühlen uns von euch nicht vertreten.'

Doch schaut man genauer hin, hat vor allem der kurzzeitige Aufstieg der Piraten Spuren hinterlassen. Alle im Bundestag vertretenen Parteien bemühen sich zunehmend darum, Mitglieder und Wähler einzubinden - bis hin zur Aufstellung von Programmen für die Bundestagswahl. Digitale Medien werden in diesem Prozess zwar meist nur als ein Instrument neben anderen gesehen, um Stimmen zu rekrutieren. Zu unterschiedlich erscheinen die Strukturen beider Welten: flach und diskursiv die im Internet, hierarchisch und ergebnisorientiert die der Parteien.

Doch auch hier ändert sich etwas: Als Sigmar Gabriel 2010 laut überlegte, den Kanzlerkandidaten per Vorwahl und nicht nur von Parteimitgliedern bestimmen zu lassen, war "lächerlich" noch einer der freundlicheren Kommentare. Als die Grünen im vergangenen November ihre Spitzenkandidaten mithilfe einer Urwahl bestimmten, galt das als Coup.

Gemeinsames Nachdenken über Herausforderungen

Die Fronten sind also nicht so verhärtet, wie sie zu sein scheinen. Dafür spricht auch, dass die Enquete-Kommission von allen Fraktionen bis auf die der Linken eingesetzt wurde. Sie war damit ein Laboratorium, in dem möglich wurde, was im politischen Prozess selten möglich zu sein scheint: ein gemeinsames Nachdenken über die zentrale gesellschaftliche Umwälzung. Die Mitglieder haben nun Handlungsanweisungen an die Politik formuliert, was zu tun wäre. Wichtiger als die einzelnen Punkte aber ist: das Bewusstsein, dass die Arbeit der Kommission bestimmt hat, auf den parlamentarischen Betrieb zu übertragen.

Vor 15 Jahren endete schon einmal eine Enquete-Kommission zu diesem Thema. Es gab einen Abschlussbericht, viele gute Vorsätze, außerdem durfte der Software-Unternehmer Jost Stollmann sehr kurz Schatten-Wirtschaftsminister in Gerhard Schröders Wahlkampfteam werden. Der Rest verlief im Sand. Damals waren die Abgeordneten vielleicht einmal zu früh dran. Heute sollten sie die Arbeit ihrer Kommunarden unbedingt ernst nehmen.

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