Kindle Fire HD von Amazon:Das kapitalistische Manifest

Man darf sich da keine Illusionen machen: Mit dem Kindle Fire HD verkauft Amazon in Wahrheit keinen Tablet-Computer, sondern ein modernes, digitales Kaufhaus für die Jackentasche. Das ist nicht weiter schlimm, nur ein bisschen anstrengend.

Pascal Paukner

Kindle Fire HD von Amazon im Test

Lässt sich auch stapeln: Amazons Kindle Fire HD. 

(Foto: Amazon)

Es dauert ungefähr fünf Sekunden, dann hat man alles verstanden. Amazon hat ganze Arbeit geleistet. Anstatt die Kunden mit einer unbenutzbaren Modifikation des Google-Betriebssystems Android zu gängeln, haben sich die Entwickler des ganzen unnützen Balastes entledigt und für den Kindle Fire HD eine neue Benutzeroberfläche geschaffen, die nahezu komplett intuitiv wirkt.

Zehn Menüpunkte hält Amazon für die Kundschaft bereit. Allein schon die Reihenfolge ist ein Statement: Einkaufen, Spiele, Apps, Bücher, Musik, Videos, Web, Fotos, Dokumente, Angebote. That's it. Dass das Web überhaupt noch als eigener Menüpunkt auftaucht, ist schon eine Überraschung. Amazon versucht gar nicht erst, den Kindle Fire HD als Jackentaschen-Computerersatz für den universell einsetzbaren Desktoprechner aus vergangenen Jahrzehnten am Markt zu platzieren. Amazons Ansage an Käufer des Kindle Fire HD ist: Sie sind hier um zu konsumieren. Lassen sie sich bloß nicht ablenken.

22 Millionen Filme, TV-Serien, Songs, Apps, Computerspiele und Bücher hat Amazon deshalb laut eigenen Angaben im Angebot. Besonders die Vielfalt bei den E-Books ist ordentlich, wohingegen das deutschsprachige Angebot an Filmen und Serien über die Amazon-Tochter Lovefilm zu wünschen übrig lässt. Auch auf die Vielfalt des Google Play Stores müssen Fire-HD-Käufer verzichten: Zwar gibt es etwa für die großen sozialen Netzwerke wie Facebook oder Twitter durchaus passende Apps, wer aber auf Nischenangebote angewiesen ist, wird recht schnell auf Lücken im Angebot stoßen.

Amazon will Kunden langfristig binden

E-Books, Musik, Filme und zunehmend auch Computerspiele - damit verdient Amazon schon jetzt Geld. Vor allem aber will das Unternehmen damit in Zukunft noch viel mehr Geld verdienen. Mittels aggressiver Preisstrategie versucht Amazon nachzuholen, was Marktführer Apple so hervorragend gelungen ist: Die langfristige Bindung des Kunden ans eigene Ökosystem. Ist das verwerflich? Nein, es ist nur erstaunlich, mit welcher Vehemenz Amazon diese Strategie verfolgt.

Als Kunde sollte man jedenfalls wissen, worauf man sich da einlässt. Etwa darauf, dass Amazon häufig nur Nutzungslizenzenz und keine vollwertigen Digitalgüter verkauft. Wer also ein E-Book kauft, kauft im Grund keine digitale Kopie eines Buches, sondern er sichert sich nur das Recht, unter bestimmten Bedingungen auf das Werk zugreifen zu können. Das kann dann dazu führen, dass ganze Bibliotheken plötzlich und ohne überzeugende Angabe von Gründen ausgelöscht werden. Immerhin mag es darüber hinweg trösten, dass Amazon und seine Konkurrenten sich in dieser Hinsicht kaum unterscheiden.

Technisch liefert Amazon mit dem Kindle Fire HD ein gutes Tablet. Das herausragende Merkmal ist das Sieben-Zoll-Display mit einer Auflösung von 1280 mal 800 Bildpunkten, das ein farb- und kontrastreiches Bild liefert. Allein Googles Nexus 7 ist damit in dieser Geräteklasse konkurrenzfähig. Negativ fällt auf, dass das Display stark reflektiert. Als E-Book-Reader fürs Freie taugt das Fire HD kaum.

Einen schnelleren Prozessor bräuchte man nicht

Was Reaktionsgeschwindigkeit und Performance angeht, gibt es nichts zu meckern. Sämtliche Apps starten zügig. Auch anspruchsvolle Spiele werden überzeugend dargestellt. Das gleiche gilt für hochauflösende Videos. Der Zweikern-Prozessor mit einer Taktfrequenz von jeweils 1,2 Gigahertz ist zwar auf dem Papier nicht der schnellste, aber das stört bei der Benutzung des Kindle Fire HD nicht weiter.

Schwerwiegende Defizite hat das Kindle Fire HD dagegen in seiner äußeren Gestaltung. Der Einschaltknopf lässt sich kaum ertasten und unterscheidet sich auch nur unmerklich vom Lautstärkeregler. Die Lautsprecher sind seitlich genau dort angebracht, wo sie teilweise von den Handflächen überdeckt werden. Das mindert die unterdurchschnittliche Klangqualität weiter.

Amazon kann den Kindle Fire HD auch deshalb in der 16-Gigabyte-Version für unter 200 Euro verkaufen, weil auf dem Sperrbildschirm des Geräts Werbung ausgespielt wird. Die stört aber - und das ist bemerkenswert für Werbung - wenigstens nicht. Die täglichen Werbemails, mit denen Amazon Käufer nach Aktivierung des Kindle Fire HD behelligt, hingegen schon. Das ist dann alles ein bisschen zu viel, denkt man sich. Schließlich wurde man ja bereits beim ersten Einschalten von Amazon-Chef Jeff Benzos begrüßt. Persönlich und mit Namen, in einem Willkommensschreiben als E-Book. Das ist ein bisschen aufdringlich.

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