Interview am Morgen:Von Bitcoin zur "Deutschland-Chain"

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Vergangene Woche stieg der Wert eines Bitcoin erstmals auf mehr als 10 000 US-Dollar. Die zugrundeliegende Technik, die sogenannte Blockchain, wurde mittlerweile deutlich weiterentwickelt.

(Foto: REUTERS)

Der Kurs von Bitcoin steigt rasant. IT-Professor Roman Beck sagt im Interview am Morgen, die Technik dahinter - die Blockchain - sollte auch deutsche Politiker interessieren.

Von Christoph Behrens

Roman Beck erforscht an der IT-Universität Kopenhagen unter anderem die Anwendungen von Blockchains und leitet das "European Blockchain Center". Zuvor lehrte der Informatiker an der Goethe-Universität Frankfurt.

Zum Hintergrund: Die Blockchain ist eine neue Art von Datenbank, die beispielsweise die Digitalwährung Bitcoin steuert. Bitcoin kann man sich wie ein sehr langes Buch vorstellen, das alle vergangenen Transaktionen mit der Währung enthält. Dieses Buch wird Blockchain genannt und permanent mit allen neuen Transaktionen fortgeschrieben. Damit niemand betrügen kann, liegt diese Datenbank aber nicht auf einem einzigen Computer oder Server, sondern verteilt auf sehr vielen Rechnern, die wie ein Netzwerk miteinander verbunden sind. Dadurch überwachen sich die Besitzer von Bitcoin gegenseitig, und es ist unmöglich, beispielsweise einen neuen Bitcoin unbemerkt hinzuzufügen. Auf so einer Blockchain lassen sich aber auch andere Daten speichern, beispielsweise wenn verschiedene Firmen sensible Geschäftsinformationen miteinander teilen wollen, die nicht verändert werden dürfen.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

SZ: Die meisten großen Internetfirmen wie Apple und Google sitzen in den USA. Europa hat den Zug verpasst, mit dem Internet viel Geld zu verdienen. Verschlafen wir jetzt mit der Blockchain den nächsten großen Trend?

Beck: Die Gefahr ist da. Anders als viele andere Technologien ist die Blockchain aber kein Thema, das vorrangig aus den USA, aus dem Silicon Valley kommt. Es handelt sich um eine wichtige Infrastruktur-Technologie, die nicht von den einschlägig bekannten Firmen betrieben wird. Da kristallisieren sich gerade Standorte heraus, an denen Innovationen der Blockchain der ersten Generation entstehen, also Bitcoin. Das ist eine Chance, Europa könnte sich hier etablieren. Aber das sag ich schon seit zwei Jahren, das Fenster schließt sich bereits wieder. Wir sind nicht schnell genug, andere Länder im Osten Europas sind deutlich aggressiver.

Bitte ein wenig Nachhilfe. Wie sieht die Weiterentwicklung von Bitcoin derzeit aus?

Ein Vordenker ist Vitalik Buterin, ein junger Mann mit russischen Wurzeln, der gemeinsam mit anderen Freidenkern verstanden hat, dass man aus der Bitcoin-Technologie mehr machen kann. Er hat mit "Ethereum" eine neue Blockchain entwickelt, die nicht nur Zahlungsverkehr ermöglicht - also eine Cryptowährung wie Bitcoin - sondern jedwede Form von Rechteübergang. Damit wird es möglich, Geschäftsvorgänge und Verträge zwischen Geschäftspartnern auf einer Blockchain abzuwickeln (lesen Sie in diesem Artikel mehr zu den Hintergründen der Technik und wie sie funktioniert). Seit es Ethereum gibt, setzt sich auch die Finanzindustrie ernsthaft mit dem Thema auseinander. Früher haben sie gesagt, das ist etwas für Kriminelle, die damit Drogengeschäfte im Darknet abwickeln, damit wollen wir nichts zu tun haben. Als Ethereum an den Markt ging, fand die erste ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung mit der Technologie statt.

Wo wird denn am meisten an der Weiterentwicklung gearbeitet?

Die Entwicklung findet genauso statt wie die Technologie selbst aufgebaut ist: in Netzwerken und virtuellen Teams. Das ursprüngliche Ethereum-Entwickler-Team hat sich in alle Winde verteilt. Wir sehen jetzt sehr starke Entwicklungen aus Russland, langsam auch aus Singapur. Es gibt Anwendungen aus London und Kopenhagen. Es gab auch ein Ethereum-Lab in Berlin, aber das war keine Initialzündung. Leider.

Angeblich ist ja sogar Russlands Präsident Wladimir Putin an Blockchain-Technik interessiert. Zumindest gab es dieses Jahr ein Treffen zwischen ihm und Vitalik Buterin.

Einige Länder haben heute schon eine Blockchain-Strategie. Dazu gehört sicher auch Russland. Die haben erkannt, dass es eine Schlüsseltechnologie der Zukunft sein kann, und möchten diesen Zug nicht verpassen. Entsprechend stellen sie politische und ökonomische Ressourcen bereit, um diese Entwicklung voranzutreiben.

Europa hat so eine Strategie nicht - woran liegt das?

Es ist sicher einfacher, in Russland oder China eine solche Strategie vorzugeben. Die EU ist gerade dabei, in ersten Schritten eine EU-weite Position zu erarbeiten. Das ist sehr löblich. Ich würde mir wünschen, dass es ein wenig schneller geht.

Wie könnte denn eine europäische Blockchain-Lösung aussehen? Brauchen wir einen "Crypto-Euro"?

Wir brauchen vielleicht nicht unbedingt einen Crypto-Euro, aber wir brauchen eine Europäische Zentralbank, die imstande wäre, ihn zu erzeugen, sollten wir einen benötigen. Die Bank of England und die Schwedische Reichsbank arbeiten an Crypto-Repräsentationen des Britischen Pfund und der Schwedischen Krone. Ziel ist es, eine 1:1 Kompatibilität zwischen der jetzt von der Nationalbank ausgegebenen Währung und einer kryptografischen Repräsentation herzustellen.

Wie könnte eine staatliche Crypto-Währung der Gesellschaft zugutekommen?

Man könnte etwa die Bezahlung in der Sharing Economy durch Cryptowährungen regeln. Stellen Sie sich einen wachsenden Industriezweig vor, der sich klassischer Besteuerung entzieht. Wie viele Leute ich auf meiner Couch schlafen lasse oder mit meinem Auto von A nach B fahre, lässt sich relativ schlecht besteuern, wenn ich nicht aktiv daran teilnehme und die Steuern nicht abführe. Vielleicht weiß ich aber auch gar nicht, wie das geht. Man könnte sich ein System vorstellen, in dem Sharing-Economy-Aktivitäten verbindlich in einer Cryptowährung abgewickelt werden müssen, und zwar der Cryptowährung des eigenen Landes. Und an diese Cryptowährung angeschlossen sind weitere Smart Contracts (Programme, die festgelegte Regeln überwachen und beispielsweise Gelder verwalten; Anm. der Red.), die zum Beispiel automatisch Steuern abführen.

Das würde aber eine erhebliche Kontrolle durch den Staat bedeuten.

Das ist jetzt eine sehr deutsche Position, die Sie artikulieren. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus Dänemark. Viele Unternehmen haben ja einen hohen Bürokratieaufwand. Wenn eine Firma beispielsweise mit Gefahrgütern handelt, muss sie an den Staat berichten, wie die Stoffe gelagert und gehandhabt werden. Die dänische Regierung hat beschlossen, diese Bürokratiekosten zu sparen - indem die Firmen nicht mehr verpflichtet werden, diese Berichte zu schicken. Stattdessen greift der Staat direkt in die ERP-Systeme ("Enterprise Resource Planning", Ressourcenmanagement im Unternehmen; Anm. d. Red.) der Firmen und zieht sich die relevanten Informationen selber - also in diesem Fall, wie gefährliche Stoffe gehandhabt werden. Das spart 1,3 Milliarden Euro, eine Menge Geld für ein kleines Land. In Dänemark hat man gesagt, prima, ich bin diese Arbeit los und hab Geld gespart. Ich könnte mir vorstellen, wenn man diesen Vorschlag in Deutschland macht, würde ein Proteststurm losgehen - weil viele eine Überwachung durch den Staat befürchten würden.

Bitcoin ist aus einer anarchischen Szene heraus entstanden, eher gegen etablierte Institutionen und den Staat gerichtet. Sie sprechen vom Einsatz von Blockchains auch für öffentliche Aufgaben. Lässt sich die Technik demokratisch kontrollieren?

Wenn man die Verwaltungsstrukturen so aufstellt, ja. Sie können zum Beispiel eine Deutschland-Chain aufbauen und sagen, die steht unter einer bundeseinheitlichen Verwaltung, gesteuert über Gesetze und demokratisch gewählte Repräsentanten. Diese könnten dann bestimmen, wie dem Bürger am besten Dienstleistungen über die Blockchain angeboten werden, nach deutschem Recht und demokratisch legitimiert.

Was für Services könnten über eine Deutschland-Chain angeboten werden?

Wir haben in Berlin einen Workshop gemacht mit Vertretern von Bund und Ländern, und sie einen ganzen Tag lang brainstormen lassen. Ein Anwendungsbeispiel, das sich als sehr attraktiv herausgestellt hat, ist das Flüchtlingsmanagement über verschiedene Bundesländer, aber auch Länder in Europa hinweg.

Wenn man sicherstellen will, dass ein Asylsuchender nicht schon woanders registriert ist, braucht es einen Datenbankabgleich. Das unterliegt vielen Regulierungen. Momentan ist es so: Der Bund darf nicht mit den Ländern reden, und dann ist der Flüchtling vielleicht noch in Frankreich registriert. Das heißt, man hat mehrere Partner, die rechtlich unabhängig sind, aber ein gemeinsames Interesse haben. Ein Prozess, der alle betrifft, der aber zu keinem ganz gehört: Das wäre ein typischer Anwendungsbereich, wo eine Blockchain hilft.

Eine Blockchain würde beim Flüchtlingsmanagement eine europaweite Lösung ermöglichen. Man könnte beispielsweise einen Fingerabdruck nehmen und das System würde zurückspiegeln: Der ist schon woanders registriert. Es würde aber nicht verraten, wo. Nur um zu sagen, dann kann der Flüchtling hier nicht registriert werden. Dieser minimale Datenabgleich würde somit auch die Privatsphäre des Asylsuchenden schonen.

Die UN erprobt so etwas bereits in Jordanien.

Die Vereinten Nationen setzen sich sehr stark mit der Frage auseinander, wie man länderübergreifend personenbezogene Daten verarbeiten kann, unter Beachtung der jeweiligen landesspezifischen Rechte und Schutzrechte der Bürger. Wie kann man sicherstellen, dass jemand nicht in fünf Flüchtlingslagern gleichzeitig registriert ist? Wie kann man sicherstellen, dass jemand, der kein Bankkonto besitzt, über Geld verfügen kann, um im Lager Lebensmittel zu kaufen - und gleichzeitig verhindern, dass er das Geld nicht nach Hause überweist? Das ist zwar menschlich nachvollziehbar, aber nicht unbedingt im Sinne des Steuerzahlers, der dafür aufkommen muss. Solche nichtbeabsichtigte Nutzung lässt sich mit einer Blockchain-Lösung vermeiden.

Genaue Informationen, welche Daten für den Messenger-Dienst genutzt und gespeichert werden, finden Sie in der Datenschutzerklärung.

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