Internet-Millionär Tony Hsieh:So soll aus Las Vegas das neue Silicon Valley werden

Las VEGAS

Der Ruf von Las Vegas ist längst verblasst: Straßenmusiker auf einer Fußgängerbrücke in der Wüstenstadt.

(Foto: AFP)

Internet-Unternehmer Tony Hsieh hat seine Firma für Millionen an Microsoft verkauft. Damit will er jetzt Las Vegas zum neuen Silicon Valley machen. Die Idee hatte er in einer Nacht mit vielen Drinks.

Von Irmela Schwab, Las Vegas

Die einst bunten Fassaden des Fremont Casino in Downtown Las Vegas sind längst verblasst. Obdachlose trinken vor dem Eingang schweigend ihren Kaffee. In zerschlissene Daunenjacken gehüllt, die Mützen tief ins Gesicht gezogen, suchen sie hinter einem Mauervorsprung Schutz vor dem Wind, der um die Häuser pfeift und die Stromleitungen flattern lässt. Eine Verkehrsampel blinkt. "Alcohol is good for you", steht auf einem Plakat, auf dem das Hotel für sich Werbung macht. Es zeigt eine Krankenschwester, die in ein Martini-Glas gefallen ist.

In den Fünfzigerjahren war das Hotel-Casino mit 155 Zimmern das größte Gebäude in ganz Nevada. Es war zu einer Zeit, als in Las Vegas das Glücksspiel groß gemacht wurde, mit dem sich die Stadt später ihren Ruf erworben hat. In der sich Geldverleiher, Gangster, Prostituierte und Hollywoodstars trafen. Heute verirren sich nur noch wenige Touristen an die Fremont Street und in ihre Casinos. Die große Show findet jetzt am Stadtrand statt, in Glitzerpalästen am Strip wie dem Bellagio und dem MGM Grand Hotel. Es hat 40-mal so viele Betten wie das Fremont. Und ist nur eine halbe Autostunde entfernt.

In der Mitte von Las Vegas hat sich dagegen Ödnis ausgebreitet. Das Rathaus, in den Sechzigern als Prachtbau erdacht, steht verloren im weiten Rund. Früher umgaben es Verwaltungsgebäude. Bis die Abrissbirne kam. Im Herbst aber wird ein neuer Besitzer in die Vegas City Hall ziehen: Tony Hsieh, Chef des Online-Händlers Zappos. 2000 Mitarbeiter bringt er mit, Ende 2013 will er hier seine Firmenzentrale aufmachen. "Die Idee stammt aus einer Nacht mit vielen Drinks", sagt der 39-Jährige. Der Computerwissenschaftler, der an der Harvard-Universität studierte, denkt gerne groß: Er kennt sich mit Geschäften im Internet aus - und er hat das nötige Kapital.

350 Millionen Dollar aus privatem Vermögen

1999 hat er, mit gerade 24 Jahren, seine erste Firma, das Werbenetzwerk Linkexchange, für 265 Millionen Dollar an Microsoft verkauft. Seither handelt er online mit Kleidung und Schuhen, auch damit hat er eine Branche umgekrempelt. Inzwischen hat Amazon die Firma übernommen. Hsieh trägt Jeans und ein blaues T-Shirt mit dem Zappos-Logo, so zeigt er sich oft. Er sagt: "Die Menschen werden hierher kommen, allein schon um sich das alles anzusehen." Dieses Jahr soll ein wichtiges Jahr für Las Vegas werden. Und für Hsieh, ihren selbst ernannten Stadtplaner.

Mit 350 Millionen Dollar aus privatem Vermögen baut sich Hsieh seine Nachbarschaft einfach selbst. 200 Millionen Dollar sind für Investitionen in Gebäude vorgesehen, für 100 Millionen Dollar sollen Schulen, Restaurants und kleine Dienstleister finanziert werden. 50 Millionen Dollar stecken im Vegas Tech Fund, zusammen mit einer Handvoll Partnern und Zappos-Kollegen hat Hsieh den Fonds aufgelegt, um seine Idee von einem Utopia in der Wüste Nevadas umzusetzen.

Damit sollen Technologie- und Design-Firmen gegründet werden, erfolgreiche natürlich. Hsieh will aus den Ruinen des alten Las Vegas eine Musterstadt für Start-ups erschaffen: eine Art Campus ohne Grenzen, auf dem Alltag, Freizeit und Beruf verschmelzen. Das Modell soll zum internationalen Vorbild avancieren. Downtown-Project Las Vegas, DTP, nennt Tony Hsieh sein Revitalisierungs-Projekt.

Die Bauarbeiten am halbkreisförmigen Rathaus kann der Internetunternehmer von seinem Apartment im 23. Stock des Ogden-Wohnkomplexes direkt mitverfolgen. Dazu braucht Hsieh nicht mal ein Fernglas, das Gebäude liegt nur etwa 100 Meter entfernt. Die große Fensterfront des Ogden bietet auch einen Blick auf die leeren Flächen rundherum. Noch. Wo einst Pfandleiher und Filialen der Bank of America residierten, entstehen heute Restaurants, Boutiquen und Bäckereien, weil Hsieh das so will.

Nur wenige Gehminuten von seiner Wohnung entfernt sitzen in einer finsteren Bar in der Fremont Street ein paar Leute vor ihren Rechnern. Sie arbeiten dort, bis um 17 Uhr die ersten Drinks serviert werden. Nur durch eine Tür von dem Bar-Büro getrennt, liegt die Coterie, ein neu eröffnetes Modegeschäft. Die Designerkleider hängen akkurat zwischen alten Bankschaltern. T-Shirts, Hosen und Pullover sind fein säuberlich auf Tischen aufgeschichtet, die mit grünem Filz von Pokertischen bezogen sind.

Mehr Leidenschaft als Intelligenz

Eine Hommage an die Geschichte des Gebäudes. Im Hinterzimmer der einstigen Spielbank sitzt im grellen Schein der Deckenröhren Tony Hsiehs rechte Hand: Zach Ware. Er hat das 25-köpfige Team des DTP zusammengestellt: eine Art Vorauskommando. Bei Zappos hatte Ware noch das Produktmanagement geleitet. Heute ist er stolz, keinen Jobtitel mehr zu tragen, sagt er. Auf seiner Visitenkarte steht: Zach Ware, Zappos, No Title. Leidenschaft sei besser als Intelligenz und Know-how, sagt Ware.

Lieber stelle er Menschen ein, die ihm sympathisch sind, anstatt solcher, die den perfekten Lebenslauf vorweisen können. So sei der Erfolg von Zappos zu erklären - ein Milliardenunternehmen, das bei Fragen nach Umsatz, Gewinn und Gehältern allerdings schnell einsilbig wird. Und so solle auch Las Vegas wieder zu blühen beginnen. Zu einem neuen Silicon Valley, das auch auf einem neuen Konzept beruht.

In seinem Apartment lebt Hsieh so, wie er sich sein eigenes Silicon Valley vorstellt. In der offenen Küche finden sich ein paar leere Flaschen als Zeugen einer feuchtfröhlichen Nacht. Eines der Betten im angrenzenden Zimmer ist noch zerwühlt. Am Vorabend durfte Adobe einige illustre Gäste aus der Tech-Szene in die Wohnung einladen. Am Eingang des Apartments hängt eine Tafel mit Post-it-Zetteln. Darauf werden die Wünsche der Mitarbeiter für die Gemeinschaft gesammelt. In einem demokratischen Abstimmungsprozess hat sich neulich die Forderung nach einer Hundebetreuung durchgesetzt. Thai Massagen und ein indisches Restaurant sind aber erst mal hintenan gestellt.

Zaghaftes Interesse

Auch wenn tagsüber für den Hund gesorgt ist - wer zieht in die Ödnis von Las Vegas? Hsiehs Idee eines Technologie-Utopias weckt vorsichtiges Interesse. Im vergangenen Jahr haben sich zehn Start-ups im neuen alten Vegas niedergelassen. Eine der Firmen ist Wedgies, ihre App ermöglicht Umfragen zu aktuellen Themen auf Diensten wie Facebook und Twitter und wertet die Ergebnisse sekundenschnell aus.

Auf die Frage der Zeitung USA Today "Sollen Sturmgewehre verboten werden?" stimmten 85 Prozent der Menschen, die antworteten, mit nein. Auch im Freundeskreis findet das Tool Anwendung, wenn abgestimmt wird, wo man sich zum Mittagessen trifft. Die Gründer Porter Haney und Jimmy Jacobsen arbeiteten ein Wochenende durch, um Wedgies zu entwickeln. Dann drückte der Vegas Tech Fund ihnen eine halbe Million Dollar in die Hand. Eine Menge Geld für kleine Daten: Die Umfrage-App wird erst von knapp 100 Facebook-Nutzern genutzt. Ein großes Geschäft ist das noch nicht. Jetzt wohnen und arbeiten sie mit vier Mitarbeitern in einem Einfamilienhaus. Dort, eine halbe Meile vom Stadtzentrum entfernt, bleiben sie, bis der Campus fertig ist. Große Träume inklusive.

Einmal in der Woche treffen sich die Gründer mit Gleichgesinnten und anderen, die sich für das Downtown-Projekt interessieren, in der Tech-Bibliothek in einem ehemaligen Ärztehaus. In den kleinen Behandlungszimmern stellen nun Künstler ihre Werke aus. Im Erdgeschoss ist auch der Coffee Shop untergebracht, wohin Tony Hsieh seine Las-Vegas-Gäste lädt, um Geschäftliches zu besprechen.

Hsieh beschreibt sich selbst als einen Menschenfreund, der am liebsten mit Freunden zusammenarbeitet. Er hat ein Buch darüber geschrieben, wie man es anstellt, glücklich und erfolgreich zu werden, "Delivering happiness" heißt es. Doch der Mann, der mehr als eine Viertelmilliarde Dollar investieren will, ist auch ein kühler Rechner. Und so steckt hinter der Idee einer Stadt voller hungriger Jungunternehmer immer das Kalkül, dass eines Tages Mieten und Immobilienpreise steigen werden - woran Hsieh verdienen wird. Eines nämlich ist Tony Hsieh auch in Las Vegas nicht geworden: ein Zocker.

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