Internet im Irak:Revolution mit Ladebalken

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In einer von Krieg und Instabilität geprägten Dekade hat der Irak den Anschluss an die digitale Welt verpasst. Dass sich das nun ändern soll, macht manchen Politiker misstrauisch. Vom "internationalen Spion" aus der Telefondose ist die Rede.

Von Jan Hendrik Hinzel und Johannes Kuhn

Ausländische Agenten haben sich schon viele in ihrem Land getummelt, doch dieser war buchstäblich nicht zu fassen. Ein "internationaler Spion" bedrohe die Sicherheit des Irak und könne spielend leicht Telefonate oder die elektronische Post kontrollieren, warnte vor einigen Monaten der irakische Parlamentarier Mohammed Redha al-Khafaji seine Landsleute.

Der dem Lager des Schiitenpredigers Muktada al-Sadr zugehörige Abgeordnete sprach nicht etwa von einem Mitglied der CIA oder eines anderen ausländischen Geheimdienstes. Sondern von einem neuen Internetkabel, das den Irak mit Europa verbinden soll. Zehn Jahre nach dem Einmarsch der "Koalition der Willigen" in den Irak mangelt es dem Land an vielem, nicht aber an Verschwörungstheorien. Selbst der Ausbau des Internets wird so schnell zur Projektionsfläche für das Misstrauen gegenüber fremden Mächten.

Auch Teile der Regierung schüren gern die Angst vor dem Neuen. Das ändert jedoch nichts daran, dass der Irak gerade seine Internetrevolution erlebt. Während anderswo in der arabischen Welt das Netz die Organisation und Dokumentation von Protesten ermöglichte, geht es hier erst einmal darum, der Bevölkerung überhaupt Zugang zum Internet zu verschaffen. Zu Saddam Husseins Zeiten konnte nur eine privilegierte Minderheit ins Netz. Als in den Jahren nach 2003 das Netz weltweit seinen Siegeszug antrat, tobte im Irak der Bürgerkrieg nach dem Krieg.

Der Irak, ein Drehkreuz für Kommunikation?

Noch 2010 hatte nur ein Prozent der Bevölkerung Zugang zum Netz, die meisten davon über Internet-Cafés, da das Land zu diesem Zeitpunkt die höchsten Breitband-Gebühren der Welt hatte. Inzwischen hat sich die Zahl der Online-Nutzer immerhin versiebenfacht, Tendenz steigend. Das in Katar ansässige Konglomerat Gulf Bridge International (GBI) konnte das Land jüngst per Überseekabel mit anderen Golfstaaten und dem europäischen Netz verbinden; ein Glasfaser-Link über Istanbul bis nach Frankfurt am Main soll demnächst gebaut werden.

Das ist womöglich nur der Anfang: Weil die Nachbarstaaten Iran und Syrien auf absehbare Zeit international geächtet sind, könnte Irak zum Knotenpunkt für den Datenverkehr zwischen Europa und den Golfstaaten werden. Das Land sei dabei, ein "Drehkreuz für Telekommunikation" zu werden, prophezeite vor einiger Zeit die New York Times.

Premier befürwortet Zensurgesetze

Der größte Teil der Bevölkerung dürfte schon mit bezahlbaren DSL-Anschlüssen, schnelleren Verbindungen und besserem Service zufrieden sein. Und darauf hoffen, dass die Regierung mit der wachsenden Breitband-Verbreitung nicht zum Internet-Saboteur wird: In der Vergangenheit hatte Premierminister Nuri al-Maliki immer wieder Online-Zensurgesetze befürwortet, um ähnlich wie viele Nachbarstaaten "unmoralische Inhalte" zu filtern.

So brachte die Regierung im vergangenen Jahr ein Gesetz zur "IT-Kriminalität" ein, in dem die Online-Veröffentlichung von Äußerungen gegen "religiöse, moralische, familiäre oder soziale Werte" unter Strafe gestellt wird. Offiziell soll damit verhindert werden, dass Extremisten über diverse Online-Kanäle weiterhin den Hass zwischen Schiiten und Sunniten anstacheln.

Die digitale Bürgerrechtsgruppe Access.com bezeichnete das Gesetz allerdings als Vollmacht für die Einschränkung der freien Rede im Web. Die Kritik zeigte offenbar Wirkung: Im Januar 2013 sprach sich ein einflussreicher Parlamentsausschuss gegen die Verabschiedung des Gesetzes aus, offenbar ruht es nun zunächst einmal.

Sollte der Gesetzentwurf der Angst vor einer digital getriebenen Revolution geschuldet sein, so scheint diese derzeit unbegründet: "Die Iraker verfolgen die Proteste in den anderen arabischen Ländern sehr aufmerksam", sagt Hayder Hamzoz, in Malmö lebender Exil-Iraker und Koordinator des Iraqi Network for Social Media. "Sie konzentrieren sich aber am Ende eher auf die Situation im Irak und die Probleme dort."

Zu denen zählt neben dem anhaltenden Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten vor allem die grassierende Korruption im Land. Sie treibt immer wieder Aktivisten auf die Straße. Während zu Zeiten der amerikanischen Besatzung viele Iraker noch Blogs nutzten, um über die Realität des Bürgerkriegs zu berichten, hat sich die Debatte inzwischen zu Facebook und damit in einen etwas weniger öffentlichen Raum verlagert.

Fast zwei Millionen Iraker haben dort derzeit ein Konto, eine zentrale politische Massenbewegung ist aber noch nicht entstanden. "Der Protest dort findet nicht wirklich in Gruppen statt, sondern hauptsächlich auf den eigenen Facebook-Profilen", sagt Amir Lemina, Journalist für die kurdische Zeitung Al Awat.

Untersuchungen des Arabischen Frühlings zeigen ohnehin, dass das Internet in Ländern wie Ägypten und Tunesien auch deshalb zu einem solch mächtigen politischen Werkzeug werden konnte, weil Aktivisten über das mobile Breitband-Internet Informationen, Bilder und Videos direkt online stellen konnten.

Preis zu hoch, Bandbreite zu schmal

Im Irak wird das auf absehbare Zeit nicht der Fall sein: Zwar haben fast 80 Prozent der Bevölkerung ein Handy, doch via UMTS ins Internet gehen kann nur jeder Fünfzigste - hohe Kosten und die schmale Bandbreite sind schuld. Eine Initiative zum Ausbau der mobilen Breitbandversorgung stockt seit einigen Monaten, weil sich Regierung und Mobilfunkanbieter finanziell nicht einigen konnten. Einmal mehr steht der Korruptionsvorwurf im Raum.

"Die Regierung steht vor einer strategischen Entscheidung", erklärte jüngst ein genervter Branchenvertreter. "Will man einen wichtigen Wachstumssektor weiterentwickeln? Oder will man sich nur das Geld in die Tasche stecken und die Ankunft des Irak im 21. Jahrhundert verzögern?"

Es braucht keine Verschwörungstheorien, um der irakischen Internetrevolution noch einen schwierigen Weg zu prophezeien.

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