Diskussion um Volumengrenzen für Internet-Flatrates:Netz-Utopien

Schlummernde Firmenwerte in den Bilanzen

Die Deutsche Telekom hat mit ihren Plänen, Volumengrenzen für DSL-Flatrates einzuführen, eine Diskussion über die Netzneutralität ausgelöst.

(Foto: dpa)

Die einen wollen Geld verdienen, die anderen freien Zugang zum öffentlichen Raum des Internets: Im Streit um die Pläne der Telekom, die Flatrate für den Internetgebrauch abzuschaffen, haben beide Seiten irgendwie recht. Mit den Flatrates droht aber auch der Freiheitsgedanke zu verschwinden. Was der Netzgemeinde nun bleibt, ist die Frage, wer die Netzneutralität besser erhalten kann: der Staat oder die Privatwirtschaft?

Ein Kommentar von Andrian Kreye

Sterben Utopien, wird der Schmerz rasch ideologisch. Im Streit um die Pläne der deutschen Telekom, die Flatrate für den Internetgebrauch abzuschaffen, haben beide Seiten irgendwie recht. Die einen wollen Geld mit ihrer Leistung verdienen, die anderen freien Zugang zu dem öffentlichen Raum des Internets. Tatsache ist aber: Mit den Flatrates wird auch der Freiheitsgedanke verschwinden, der das Internet zu einem Spielfeld für gesellschaftliche und politische Experimente gemacht hat. Der Grund dafür liegt allerdings genau in diesem Freiheitsgedanken.

Dass Flatrates eine wirtschaftliche Utopie sind, wissen die Anbieter der Internetindustrie schon lange. Immer leistungsfähigere Kabelnetze, Router und Speicherfarmen kosten Geld. Die Konkurrenz der Tarife hat die Einkünfte jedoch über die Jahre kontinuierlich verringert. In den USA haben die Anbieter deswegen schon länger begonnen, ihre Kunden aus den Flatrate-Tarifen zu drängen. Und auch in Deutschland wird die Telekom nicht die einzige Firma bleiben, die sich den Verbrauch der Datenmengen bezahlen lässt.

Der Freiheitsgedanke, der dabei verloren geht, geistert seit einiger Zeit mit dem Begriff der Netzneutralität durch die Debatten. Dabei geht es um eine Gleichbehandlung aller Daten, egal ob es sich um die Megabyte-Ströme handelt, die beim Onlinespielen und Ansehen von Filmen anfallen, um Webseiteninhalte, oder um die Kurznachrichten politischer Oppositioneller, auf die jeder gleichen Zugriff haben soll. Das wiederum läuft auf einen radikalen Gleichheitsgedanken zurück. Der hatte im Netz von Beginn an zwei Seiten.

Kommerzieller Service oder öffentliche Struktur?

Auf der einen Seite standen da die Gerechtigkeitsbegriffe früher Demokratiebewegungen und des Sozialismus. Immerhin - die Pioniere der digitalen Technologien und Kulturen rekrutierten sich zu einem Großteil aus dem Umfeld der kalifornischen Hippieszene in der Bay Area zwischen San Francisco und San Jose.

Auf der anderen Seite geht es aber auch um Adam Smiths Idee vom Markt, der sich wie von einer unsichtbaren Hand gelenkt von selbst reguliert. In der Praxis stehen diese beiden Gedanken im Widerspruch zueinander - gesellschaftliche Gerechtigkeit und wirtschaftliche Freiheit sind nur selten dasselbe. Das zeigt sich nun im Streit um die Telekom. Da stellt sich die Frage - ist das Internet ein kommerzieller Service oder eine öffentliche Infrastruktur?

In Deutschland wurde die Frage 1995 erstmals beantwortet. Damals wurde das Fernmeldewesen der Deutschen Bundespost privatisiert. Wenn man Infrastrukturen und Grundversorgung den Kräften des freien Marktes aussetzt, spart sich oder verdient der Staat Geld. Er sorgt auch für wirtschaftliche Freiheit. Die gesellschaftlichen Folgen sind in solche Fällen aber selten zum Nutzen der Bürger.

"Information Superhighway"

In den USA war das Fernmeldewesen dagegen schon in privater Hand, als der Telefonerfinder Alexander Graham Bell 1877 in Boston die Bell Telephone Company gründete. Die hielt das Monopol auf die Leitungen in den USA, bis das amerikanische Justizministerium das Firmenkonglomerat 1984 zerschlug.

Nun konnte man sowohl im Amerika von 1984 als auch im Deutschland von 1995 voraussehen, dass aus dem neuen Medium Internet einmal eine Infrastruktur werden würde, die den gesamten privaten und öffentlichen Alltag tangiert. Der Umgang mit dieser neuen Infrastruktur unterschied sich in Amerika und Europa dann allerdings erheblich.

In den USA machte der damalige Senator aus Tennessee Al Gore als Vizepräsidentschaftskandidat neben Bill Clinton das Internet schon im Wahlkampf von 1992 zum Thema. Sein Schlagwort war der "Information Superhighway". Das war ein stimmiges historisches Bild. Gore spielte auf Präsident Eisenhowers Programm für den Ausbau des Highway-Netzes von 1956 an. Das war der Motor für das amerikanische Wirtschaftswunder. Genauso sollte das Internet neue Märkte erschließen, sowie Bildung und Medien demokratisieren.

Behäbige Behörden

In Europa wurden die Chancen des Internets zunächst verschlafen. Dann entdeckten die Populisten das Thema, um mit vermeintlichen und echten Bedrohungen durch das Netz Stimmung zu machen. Das bremste die heimische digitale Entwicklung noch stärker ein.

Weltweit gibt es nun schon seit einiger Zeit Versuche, die Utopie vom Internet als frei zugängliche Infrastruktur neu umzusetzen. Meist sind das Versuche auf regionaler oder lokaler Ebene. Regionen wie die Bay Area, Singapur, Städte wie Paris oder Taipei richten Stück für Stück Wifi-Netze ein, die jedem gratis zur Verfügung stehen. Wie utopisch dieses Unterfangen ist, zeigte sich ausgerechnet in der Bay Area, wo die Innovation des Internets im Silicon Valley bei San José ja ihren Ursprung hat. Der Wust aus lokalen, bundesstaatlichen und nationalen Verordnungen, die Stahlbetonkomplexe der Innenstädte und Industrieparks, die technischen Unzulänglichkeiten der verschiedenen Systeme brachten die ersten Experimente in den letzten zehn Jahren immer wieder zum Scheitern.

In einem Land wie Singapur stellt sich zudem die Frage, ob man das Internet von einer Regierung kontrollieren lassen will, die das Bürgerrechtsverständnis einer viktorianischen Gouvernante hat. Dazu kommt, dass Behörden und Regierungen viel zu behäbig sind, um die nötige Innovation voranzutreiben, die mit der Entwicklung des Internets einhergeht. Einzige Ausnahme ist da vielleicht das amerikanische Verteidigungsministerium, dessen Forschungsinstitut Darpa an der Erfindung des Internets entscheidend beteiligt war. Fraglich, ob sich die Interessen der Wehrtechnik mit den gesellschaftlichen Freiheitsgedanken der digitalen Kultur vereinbaren lassen.

Bürgerbewegung in Deutschland

Was der Netzgemeinde nun bleibt, ist die Frage, wer die Infrastruktur des Internets wohl technisch innovativer ausbauen und dabei die Freiheitsgedanken der Netzneutralität erhalten kann: Der Staat oder die Privatwirtschaft? Die Antwort lautet: keiner von beiden. Weil das Internet aber Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur gleichermaßen verändert, braucht die digitale Welt keine Nutzer, die nur Konsumenten sind, sondern sich als Bürger der Bedeutung des Internets sowohl als Infrastruktur wie auch als Freiraum bewusst sind.

Erste Anzeichen für eine solche Bürgerbewegung gibt es auch in Deutschland - die Digitale Gesellschaft, der Chaos Computer Club oder Konferenzen wie die re:publica leisten hervorragende Arbeit. Der Ausbau der Netzes wird jedenfalls ein Ringen um Hoheiten bleiben. Dieses darf man nicht Politik und Wirtschaft allein überlassen.

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