"Deichkind" über die Youtube-Sperre:"Wahrscheinlich ist unser Song einfach zu schlecht"

Helle Aufregung in der Musikbranche: Das neue Video der Hip-Hopper "Deichkind" war bei Youtube kurzzeitig verschwunden. In dem Film wird gezeigt, wie Betrunkene mit Filzstiften bemalt werden, Kinder rauchen und Menschen von der Bühne geschubst werden. Hatte Youtube moralische Bedenken?

Martin Zips

SZ: Für alle, die es noch nicht genau wissen: Was machen Sie eigentlich?

Deichkind startet Tournee

 Ferris MC von Deichkind

(Foto: dapd)

Deichkind: Wir machen elektronische Musik, eher eine Art Performance-Kunst. Es gibt uns seit zwölf Jahren.

SZ: Bei Ihrem Publikum soll es sich um unterbezahlte Angestellte handeln, die "nach Arbeiterliedern für ihr postindustrielles Zeitalter" dürsten. So stand es jüngst in dieser Zeitung.

Deichkind: Klar, wir sind ja auch eine Art Arbeiter. Man kann ziemlich viel in uns sehen, wir sind eine Projektionsfläche für Vielerlei.

SZ: Egal, ob es heißt "Krawall und Remmidemmi", "Arbeit nervt", "Befehl von ganz unten" oder "Aufstand im Schlaraffenland" - die Jugendsprache ist voll mit Zitaten aus Ihren Liedern.

Deichkind: Wir nehmen uns einfach die Freiheit rauszuschießen, was in unserem Kopf ist.

SZ: Doch jetzt wurde bei YouTube Ihr Song "Leider geil" gesperrt. Dort heißt es unter anderem: "Oh Gott, wer ist diese Schrulle neben mir im Bett? Ich war wohl gestern Abend - leider geil." Ist die Sperrung eine Jugendschutzmaßnahme?

Deichkind: Wahrscheinlich ist unser Song einfach zu schlecht, und die Anstandspolizei ist eingeschritten.

SZ: Nach der Sperrung haben Sie auf Facebook jedenfalls protestiert: "Regelt euren Scheiß jetzt endlich mal und macht eure Hausaufgaben." Was haben Sie damit gemeint?

Deichkind: Das war eine ehrliche Emotion. Auf diesen Eintrag folgten satte 20.000 Klicks von unseren Fans. Was uns nervt, ist: Als Band dürfen wir nicht selber darüber entscheiden, was im Internet von uns gratis gesehen werden darf und was nicht. Das entscheiden die Plattenfirmen, die Urheberrechtsgesellschaft Gema und eine Firma wie YouTube. Als Künstler werden wir da einfach nicht gefragt. Das geschieht unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es ist aber so, dass wir sehr gerne selber entscheiden möchten, welche Filme von uns umsonst zu sehen sein dürfen und welche nicht.

SZ: Mittlerweile ist das Video ja auch wieder abrufbar.

Deichkind: Wieso und warum es weg war, das wissen wir aber nicht. Man redet einfach nicht mit uns.

SZ: Machen Sie denn nicht genau das Gleiche? In Ihrem Video sind Menschen mit epileptischen Anfällen zu sehen, prügelnde Rentner. Männer und Frauen, die sich gerade verletzen oder denen der Rotz aus der Nase läuft. Haben die denn alle einem Auftritt in Ihrem Video zugestimmt?

Deichkind: Das sind künstlerische Collagen, Filme aus dem Internet. Aber natürlich kann es sein, dass sich irgendjemand bei uns meldet und das nicht haben möchte.

SZ: Das könnte man sogar verstehen.

Deichkind: Andererseits geht es in unserem Lied ja auch um Ohnmacht. Ich sehe ein Video im Internet, das finde ich - leider geil. Andererseits werden da vielleicht Persönlichkeitsrechte verletzt, das ist dann nicht so gut. So ist es auch mit Fleischkonsum oder Turnschuhen, die zwar schön sind, aber irgendwo in Asien von Kindern genäht wurden.

SZ: Klingt ein bisschen konstruiert.

Deichkind: Als Musiker jedenfalls wollen wir tolle Musik und Bühnenshows machen und selber entscheiden, was öffentlich gezeigt wird. Es ist doch so, dass die Politik viel zu wenig die kulturelle Vielfalt schützt. Was ist denn mit den kleinen Bands und Clubs, die Pleite machen, weil Gelder einfach ungerecht verteilt werden? Wenn jetzt plötzlich auch bei YouTube was rausgestrichen wird, dann kann das zumindest eine kleine Band ganz schnell kaputtmachen.

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