Debatte um Urheberrecht:Zählt ihr nur eure Erbsen

Was würde uns fehlen, gäbe es kein Urheberrecht? Seien wir ehrlich: Es ist der superreiche Künstler, der dem Rest der Welt den Stinkefinger zeigt. Sonst würden Millionäre ja nur noch im Internet gemacht - oder im Einzelhandel. Wie langweilig.

Tobias Kniebe

Im Grunde ist das Copyright eine verrückte Erfindung. In der ganzen Debatte, ob es im Netz der Zukunft überleben kann oder soll, wird das leider zu wenig gewürdigt. Innerhalb des größeren Verblendungszusammenhangs, den wir Kapitalismus nennen, reißt es eine ganz spezielle Nische auf, in der wirklich alles passieren kann.

Eminem Urheberrecht

Superreich und supercool: der erfolgreiche Künstler (hier im BIld: Eminem)

(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Stellen wir uns nur mal diese Single-Sozialhilfe-Mom vor, Edinburgh, Schottland, circa 1994. Sie sitzt im Café und schreibt fieberhaft, flehender Blick auf das schlafende Baby neben ihr, bitte nicht gleich wieder aufwachen. Der Held ihrer Geschichte, an die sie wider besseres Wissen glaubt, ist ein kleiner Typ mit Brille. Und jetzt Flashforward, Superzeitraffer, zehn Jahre später: Joanne K. Rowling ist mit Harry Potter soeben Milliardärin geworden, meldet das Forbes Magazin - als erster Schreiberling überhaupt.

Genau, seufzen an dieser Stelle die Gegner, die das Urheberrecht gerne abschaffen würden - da stimmt doch etwas nicht. Reicht es nicht, dass alle das Buch gelesen haben, dass Hollywood kam , dass die Autorin eine Art Legende wurde und eine Heilige aller Kinderzimmer? Musste sie auch noch so stinkend reich damit werden?

Gäbe es nur die faire und ausbalancierte Kulturflatrate schon, seufzen die Gegner weiter, würden wir diesen Exzessen schon einen Riegel vorschieben. Ganz leer ausgehen müsste die Dame nicht, schon klar, aber statt dieser Unsummen auf ihrem Konto und auf dem ihres Verlages gäbe es dann beispielsweise mehr Förderung für junge Dichter. Wäre das nicht gerechter, ausgewogener, cooler?

Nein, ganz ehrlich, es wäre sehr fad. Immer wieder gibt es ja Autoren, Musiker, Filmemacher, die mit wilder Intuition ins Blaue feuern und dann irgendwo hintreffen, wo das kollektive Unbewusste eines Landes - und vielleicht sogar der ganzen Welt - verrückt spielt. Wo dann plötzlich Millionen Bücher, Alben, Tickets über den Ladentisch gehen. Wo über Nacht ein Wahnsinnsbedarf entsteht und ein absolutes Monopol, weil dieser Bedarf nur von einer einzigen Buchreihe, einer einzigen Band, einem einzigen Film-Franchise gedeckt werden kann. Und dann ist es crazy old Urheberrecht, das diesen Wahnsinn erst möglich macht.

Standardisierte Neidreflexe

Künstler, denen so etwas widerfährt, können nicht mehr in ihr früheres Leben zurück, sie existieren danach in einer anderen Sphäre. So wie die Protagonisten der mythischen Heldenreise aus Sagen und Märchen nach Vollendung ihres Abenteuers auch nicht in ihre Dorfgemeinschaft zurückfinden. Zwar hätte es ein Teil von uns gern, dass sie bald wieder im Büro stehen und Männchen machen, als wäre nichts geschehen. Aber das sind standardisierte Neidreflexe.

Denn im Grunde ist klar, dass solche Künstler reich sein müssen. Wichtig ist das vor allem für die Idee des Reichtums selbst. Das Copyright erlaubt - in seltenen, aber dafür umso spektakuläreren Sonderfällen - das Reichwerden gegen alle Regeln, ganz ohne Erbsenzählen und Ochsentour, und ganz ohne Verkauf der eigenen Seele. Es wird nicht mal jemand geschädigt dabei.

Endgültig den Stinkefinger zeigen

Stellen wir uns nur mal eine Fernsehmoderatorin mit sehr spezieller Fangemeinde vor - brillant, aber auch recht eigenwillig -, die im weichgespülten TV-Alltag kaum noch vermittelbar ist. Eines Tages startet sie, Gott weiß warum, eine Art autoaggressiven Angriff auf die eigene bürgerliche Existenz: Sie füllt ein ganzes Manuskript mit Analfissuren, Hämorrhoiden, Eiter und Sperma und nennt es "Feuchtgebiete".

Verleger, die das lesen, erbleichen und murmeln entsetzt "Nein, danke". Nur einer überwindet seinen Ekel, in der Hoffnung auf einen kleinen Skandal. Das Buch erscheint. Und plötzlich, Gott weiß warum, können die Deutschen gar nicht mehr aufhören, es zu kaufen. Das Urheberrecht sorgt nun dafür, dass diese Moderatorin Millionärin wird und dem Rest das Landes endgültig den Stinkefinger zeigen kann - bis zum Ende ihres hoffentlich aufregenden Lebens.

Gäbe es solche Geschichten nicht, man müsste sie erfinden. Und das Urheberrecht gleich mit dazu. Denn sonst würden Millionäre und Milliardäre ja nur noch im Internet gemacht oder im Einzelhandel, im kleinlichen Feilschen um Zehntelprozente und im Terrorisieren von Geschäftspartnern, und am Ende hat man dann Jeff Bezos oder die Aldi-Brüder. Oder die Reichen kommen aus dem gnadenlosen russischen Oligarchensystem, wo man wirklich nicht wissen will, wie sie es an die Spitze geschafft haben.

Der bescheidene Wunsch an dieser Stelle wäre also, dass es bitte auch noch andere Wege geben muss, sehr, sehr reich zu werden: So, wie die Filmemachern George Lucas oder Steven Spielberg es gemacht haben, oder Paul McCartney und Bono von U2, oder eben Joanne K. Rowling. Herrje, hätte Homer das Urheberrecht und die modernen Medien an seiner Seite gehabt, könnten seinen Erben Griechenland heute wahrscheinlich allein entschulden! Und dem weitverzweigten Shakespeare-Clan würde halb England gehören, inklusive aller Fußballvereine.

Zugedröhnte Rocker

Genauso muss es all die arroganten Rapper mit ihren Luxusvillen geben und ihren Garagen voller Luxuskarossen, all die zugedröhnten Rocker und Hotelzimmerzertrümmerer, all die Bad Boys & Girls, die stellvertretend für uns alle eben nicht wie geplant funktionieren, dafür aber "Fuck you"-Money haben und der Welt auch gelegentlich ein massives "Fuck you" entgegenschleudern.

Der Punkt ist dabei nicht, dass diese Leute jeden Cent, den sie besitzen, auch verdient haben. Das würde keiner behaupten. Ebensowenig geht es darum, dass sie hunderttausend oder millionenmal besser schreiben, komponieren oder Filme machen als der durchschnittliche Künstler nebenan, der ein bescheidenes Auskommen findet - auch wenn ihr Kontostand das suggeriert. Jeder weiß, dass es nicht so ist. Und keiner kann wirklich erklären, warum gerade ihre Filme oder Songs oder Bücher irgendwann so viel begehrter waren als alle anderen.

Der Punkt ist, dass sie eine symbolische Möglichkeit repräsentieren, aus dem großen Hamsterrad der Existenz schlagartig auszubrechen. Und zwar nicht durch Funktionieren und Bravsein und Buckeln, nicht durch Erbsenzählen und geschäftliche Brutalität oder gnadenlose Selbstdisziplin, sondern durch eine Idee, eine Inspiration, eine Laune des Schicksals. Einfach so. Und das winzige Fenster, durch das so ein Ausbruch nur gelingen kann, heißt crazy old Urheberrecht. Versucht man, es wegzudenken, sieht die Welt plötzlich wie eine endlose Castingshow aus, in der auch die Künstler immer nur lächeln und schuften und Bauspar-Raten abbezahlen - und am nächsten Morgen pünktlich zum Dienst antreten. Eine furchtbare Vorstellung.

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