Debatte um Urheberrecht:Warum Entwicklungen im Internet umkehrbar sind

Alle, die glauben, derzeit im Netz etwas zu verlieren zu haben, sollten nicht in allzu festgefügten Bildern zu denken. Stattdessen sollte der Fokus der Urheber darauf liegen, nicht auch dem nächsten Generationenzyklus wieder mit fünf Jahren Verzögerung hinterherzulaufen.

Niklas Hofmann

Da scheint er also wieder zu lauern, der Generationenkonflikt. Die Debatte um das Urheberrecht wird auch deswegen derzeit mit solcher Heftigkeit geführt, weil bei allen Beteiligten das Gefühl vorherrscht, an einem Scheidepunkt nahezu historischen Ausmaßes zu stehen. Die eine Seite sich sorgt sich, dass per Acta & Co. nun die Generation der Offliner ein Recht noch einmal in Stein meißelt, das schon die Realität der Gegenwart nicht mehr recht zu fassen mag. Die Seite der Urheber und Rechteverwerter ist dagegen besessen von einer ganz anderen Furcht: Jetzt und nur noch jetzt entscheide sich, ob man einer ganzen Generation den Respekt für das Werk eines Künstlers noch beibringen kann - sowie die minimale Bereitschaft, diesen auch zu entlohnen.

Wie viele diesen Kampf bereits jetzt im Innersten verloren geben, zeigt sich am kaum noch werbenden, dafür umso aggressiveren Ton der Urheber gegenüber jenen, die eigentlich ihre Fans und Kunden sein sollten, wie der Urheberrechtsexperte Till Kreutzer im Interview mit der Süddeutschen Zeitung zu Recht bemerkt hat.

Ur-Erfahrung ganzer Jahrgänge

Kreutzer betont im Interview die entscheidenden fünf Jahre, die die Musikindustrie nach der Zerschlagung der Downloadplattform Napster bis zum iTunes-Durchbruch verloren hat - was dazu führte, dass die Ur-Erfahrung ganzer Jahrgänge in der Suche nach illegalen Downloadmöglichkeiten bestand. Das verweist auf zwei Dinge zugleich: Wie leicht man im Netz das Kind in den Brunnen fallen lassen kann - aber auch, dass es sich dort wieder herausholen lässt. Auch die Generation Download war für das Bezahlen nicht gänzlich verloren.

Dem Generationenbegriff, wie er gerade in Amerika zur Gesellschaftsanalyse selbstverständlich benutzt wird, steht man in der deutschen Forschung skeptisch gegenüber. Tatsächlich ist es problematisch, über alle sozialen und sonstigen Unterschiede hinweg, ganzen Jahrgangsreihungen bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben. Zahlen des Oxford Internet Institute zum veränderten Nutzungsverhalten im Netz zeigen zum Beispiel, dass die Wahrscheinlichkeit, dass (jüngere) Studenten sich neue Nutzungsformen des Netzes zu eigen machen, nicht größer ist als die, dass es (tendenziell ältere) Berufstätige tun. Im Vergleich zu Arbeitslosen ist dieser Unterschied aber gegeben.

Zugleich jedoch gibt es unbestreitbar Einstellungsunterschiede, etwa zur Nützlichkeit von Technologie, die sich auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Alterskohorte zurückführen lassen. Zwar nimmt der Anteil der Älteren im Netz zu, aber keine Gruppe ist online so vollständig vertreten wie jene, die unter 25 sind. Und zweifellos ist für sie die Ubiquität des Netzes, die permanente Durchdringung des Alltags mit Online-Elementen zu einer gar nicht mehr hinterfragbaren Realität geworden.

NIcht nur Generationen unterscheiden sich

Diese prägenden Generationserfahrungen dürfen dann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die jeweiligen Einstellungen viel dynamischer sind, als man denken könnte. Neben den Generationszyklen laufen schließlich auch die persönlichen Lebenszyklen weiter. Nicht nur Generationen unterscheiden sich, auch ihre einzelnen Mitglieder verändern sich im Laufe der Zeit.

Wer sich als Student noch gerne die Mühe gemacht hat, Filesharing-Seiten nach seiner Lieblingsmusik zu durchforsten, schätzt einige Jahre später womöglich dennoch den unkomplizierten Bezahldienst - und dies nicht nur, weil der Verfolgungsdruck durch die Abmahnwellen der Musikindustrie Wirkung zeigt. Alters- und lebensweltspezifisch setzt sich dann doch der Wunsch nach Zeitersparnis und Bequemlichkeit durch, oder nach einer Dateiqualität, die mit der nun höherwertigen Musikanlage korrespondiert. Nicht zuletzt kann man auch davon ausgehen, dass die 99 Cent nun doch etwas lockerer sitzen.

Banalitätsverdacht

Zum anderen, auch das sei trotz Banalitätsverdacht gesagt, entsteht ja auch die jüngste Altersgruppe der Onliner ständig neu. Und wenn auch das Erlebnis der Vernetzung für die heute 18-Jährigen schon seit Grundschultagen selbstverständliche Lebenserfahrung ist und es gewiss bleiben wird, so heißt das doch keineswegs, dass für sie dafür auf Dauer jene blauen Seiten das attraktivste Angebot sein werden, auf denen schon ihre großen Brüder und Schwestern abhingen.

Alle, die glauben, derzeit im Netz etwas zu verlieren zu haben, sind gut beraten, nicht in allzu festgefügten Bildern zu denken. Das Netz als Pandoras Büchse zu sehen, die, einmal geöffnet, nie wieder zu schließen ist, geht an der Realität vorbei.

Stattdessen sollte der Fokus der Urheber eher darauf liegen, nicht auch dem nächsten Generationenzyklus wieder mit fünf Jahren Verzögerung hinterherzulaufen. Wenn Eltern von Kindern im Vorschulalter heute davon berichten, dass ihrem mit Youtube und DVDs sozialisierten Nachwuchs das Konzept eines linearen Fernsehprogramms gar nicht mehr begreiflich ist, dass die Kleinen nicht einsehen wollen, dass das, was sie gerade so gerne sehen möchten, "jetzt nicht kommt" - dann ist es angesichts einer so geprägten Seherfahrungen beinahe unausweichlich, dass hier gerade über die Zukunft des Fernsehens entschieden wird.

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