Das leisten führerlose Systeme:Achtung, hier spricht Ihr Computer

Autonome Staubsauger, U-Bahnen und Autos gibt es längst - und bald auch Passagierflugzeuge ohne Piloten. Aber ist der Mensch schon bereit dafür?

Von Alexander Stirn

Das dunkelblaue Propellerflugzeug, das über der Irischen See seine Runden dreht, hat etwas Gespenstisches. Kein Pilot rüttelt am Steuerhorn, kein Offizier meldet sich übers Funkgerät. Die Maschine fliegt einfach vor sich hin. Stundenlang. Nein, die Crew der 18-sitzigen Turboprop-Maschine ist nicht ohnmächtig geworden. Sie hat auch keine Fischvergiftung. Sie ist schlichtweg am Boden geblieben.

Auf dem Flughafen Warton in der englischen Grafschaft Lancaster verfolgen die Piloten genau, was an Bord ihres Flugzeugs vor sich geht. Sie sehen Videoaufnahmen und Radarbilder. Sie könnten jederzeit eingreifen, wenn sie denn wollten.

Der Flug der umgebauten Jetstream 31 ist Teil eines ambitionierten Forschungsprojekts: Unter Leitung des britischen Konzerns BAE Systems untersuchen sieben europäische Luftfahrtunternehmen, ob Flugzeuge nicht auch ohne Besatzung unterwegs sein könnten. Sie testen, welche technischen Systeme dafür notwendig sind, versuchen die Grenzen der Autonomie auszuloten. Rund 70 Millionen Euro fließen dafür in das Experiment namens Astraea. Auch in Deutschland laufen ähnliche Projekte. Werden wir also schon bald ohne das obligatorische Genuschel der Piloten auskommen müssen?

Fragt man die Ingenieure, so sagen sie, man sei auf einem guten Weg. "Betrachtet man die Probleme, die technisch fürs unbemannte Fliegen gelöst werden müssen, dann fehlt nicht mehr viel", sagt Stefan Levedag, Direktor des Instituts für Flugsystemtechnik beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig.

Problem Mensch

"Eines der größten Hindernisse, das wir noch aus dem Weg räumen müssen, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen", sagt Levedag. Und dann ist da noch ein anderes, nicht gerade kleines Problem: der Mensch. Von dem weiß niemand, ob er sich jemals mit der Idee eines führerlosen Flugzeugs anfreunden kann.

Immerhin hat er Gelegenheit, sich langsam an die Vorstellung zu gewöhnen: Automatische Systeme erobern schließlich immer mehr Aspekte des Alltags. Sie helfen Staubsaugern, selbständig durch die Wohnung zu fahren. Sie bringen U-Bahnen schneller ans Ziel. Sie unterstützen überforderte Autofahrer - und ersetzen sie im Notfall sogar. Und sie sind schon heute ein wichtiger Faktor in Flugzeugen. "Wir werden mehr und mehr Autonomie erleben", sagt Chris Elliott, Ingenieur, Jurist und Berater des Astraea-Projekts. "Das hat Auswirkungen auf die Sicherheit und Leistungsfähigkeit all dieser Systeme."

Auf der Schiene funktioniert das bereits sehr gut. Vor fünf Jahren ist zum Beispiel in Nürnberg die erste fahrerlose U-Bahn in Betrieb gegangen. Heute finden sich vergleichbare Systeme in Paris genauso wie in São Paulo. Ein Radar unterhalb der Bahnsteigkante überwacht dabei, dass sich keine Menschen oder größeren Gegenstände im Gleisbett befinden.

Die Züge können dadurch in einem dichteren Takt fahren. Und sie sind sparsamer unterwegs, weil niemand nervös am Fahrhebel ruckelt. Auch im Auto sind eigenständige Systeme auf dem Vormarsch. Moderne Fahrzeuge parken auf Knopfdruck ein, sie lassen das Lenkrad vibrieren, sobald der Wagen die Spur verlässt, sie halten automatisch Abstand zum Vordermann, und - falls nötig - bremsen sie selbständig.

Gefahren erkennen

Vor Kurzem hat Audi im US-Bundesstaat Nevada eine Lizenz erhalten, computergesteuerte Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen einzusetzen. Der Internetkonzern Google macht das schon länger. Seine autonomen Autos, auf deren Dächern Kameras, Radar- und Laserscanner thronen, haben inzwischen schon mehr als eine halbe Million Kilometer zurückgelegt. In fünf Jahren sollen sie, so das Versprechen, serienreif sein - und den Weg zum unfallfreien Fahren ebnen.

Und nun also der Luftraum. Schon heute können sich Piloten im Grunde zurücklehnen und zuschauen. Lediglich beim Start müssen sie noch selbst Hand anlegen, weil der nötige Schub und die extremen Flugmanöver die Auslegung des Autopiloten sprengen würden. Anschließend aber hält der Bordcomputer brav den zuvor programmierten Kurs, die Höhe, die Geschwindigkeit. Auch landen und bremsen kann die Maschine von alleine - geführt von einem elektronischen Leitstrahl oder künftig von einer verbesserten Variante des Navigationssystems GPS.

Automatische Helfer

Bei extrem schlechtem Wetter ist das sogar gesetzlich vorgeschrieben: Ohne Sicht hat der Pilot ja keine Chance, rechtzeitig auf unerwartete Situationen zu reagieren. "In so einer Situation kann er nur noch auf seinen Monitor schauen und kontrollieren, ob alles wie geplant funktioniert", sagt Bernd Korn, Leiter Pilotenassistenz beim Braunschweiger DLR-Institut für Flugführung. Die Cockpit-Crew von heute ist zu Systemmanagern geworden - zumindest solange alles planmäßig läuft. Sie überwacht ihre Technik, spricht mit der Flugsicherung, hält Ausschau nach schlechtem Wetter und programmiert, wenn es nötig wird, ihre automatischen Helfer neu.

Dass angesichts dieser technischen Fähigkeiten auf Menschen an Bord verzichtet werden kann, macht das Militär bereits vor: Seit Mitte Januar zieht am Himmel über dem oberbayerischen Manching ein seltsames Fluggerät seine Kreise - der Euro Hawk. Mit einer Spannweite von fast 40 Metern übertreffen seine dünnen Flügel selbst die Abmessungen eines Airbus A320. Ein Pilot ist dennoch nicht an Bord; er überwacht die graue Aufklärungsdrohne vom Boden aus. In den USA übt derweil der nächste Kampfjet seine Landungen - unbemannt, auf dem schwankenden, 300 Meter langen Deck eines Flugzeugträgers.

Ein Problem haben die autonomen Militärjets allerdings noch: Sie lassen sich nicht in den Luftraum integrieren. Wenn der Euro Hawk in Manching startet, muss er sich zunächst spiralförmig im gesperrten Luftraum gen Himmel schrauben. Erst auf seiner Einsatzhöhe von 15 oder 20 Kilometern, weit oberhalb der Bahnen der Verkehrsflugzeuge, darf er sich frei bewegen.

Für Passagierjets ist das keine Lösung. Sie müssen sich der obersten Direktive der Luftfahrt unterwerfen: "See and Avoid", Erkennen und Ausweichen. Wann immer ein Flugzeug in der Luft unterwegs ist, muss es Hindernisse aus eigenem Antrieb umsteuern können. Heutzutage ist dafür - wenn alle Warnsysteme versagen - der Pilot mit seinem hoffentlich wachen Blick durch die Cockpitscheiben verantwortlich.

Künftig muss dagegen die Technik Gefahren zuverlässig erkennen und umfliegen. Ganz ähnlich wie Googles Roboterautos hat deshalb auch das dunkelblaue Versuchsflugzeug über der Irischen See Kameras und Radarsensoren an Bord. Sie sollen andere Flugzeuge entdecken, schlechtes Wetter, Hochhäuser und alle anderen denkbaren Hindernisse.

Den Mann oder die Frau hinterm Steuer entlässt all das jedoch nicht aus der Verantwortung - zumindest nicht nach aktueller Rechtslage: Im Straßenverkehr schreibt die Wiener Konvention von 1968, in der Luftfahrt das Chicagoer Abkommen von 1944 vor, dass der Fahrzeugführer stets die letzte Entscheidung über sein Gefährt haben muss. Egal, was die Technik macht.

Wohin der Weg geht

Die Ingenieure stellt das vor eine Reihe rechtlicher Unwägbarkeiten: Was passiert, wenn irgendwann einmal die Verbindung zwischen Kontrollraum und unbemanntem Flugzeug abbricht? Wie müssen die Piloten am Boden ausgebildet sein? Dürfen sie mehrere Flugzeuge parallel überwachen oder immer nur eines? Und ist das dann noch billiger als ein Pilot an Bord? "Es kann durchaus sein, dass die Regeln, die künftig etabliert werden müssen, so streng ausfallen, dass sich unbemannte Luftfahrzeuge kaum sinnvoll und wirtschaftlich betreiben lassen", warnt DLR-Forscher Levedag.

Viel Geld dürften die Fluggesellschaften durch den Verzicht auf Menschen im Cockpit ohnehin nicht einsparen. Astraea-Berater Chris Elliott hat berechnet, dass die Crew an Bord lediglich zwölf Prozent der Betriebskosten eines Flugzeugs ausmacht. Dem stehen Ausgaben für den Operator am Boden, für den zusätzlichen Treibstoffverbrauch durch die schweren Sensoren und für die Funkverbindung gegenüber. Dirk Kügler, Leiter des DLR-Instituts für Flugführung, ist daher skeptisch: "Wirtschaftlich betrachtet, wäre ein Flugzeug mit zwei Piloten wahrscheinlich noch immer preiswerter als ein unbemanntes Luftfahrzeug."

Im Zentrum der Autonomie-Bestrebungen steht aber ohnehin ein anderer Aspekt: die Sicherheit. Das Thema ist heikel. Zwar gibt es genaue Statistiken, wie oft Pilotenfehler bereits zu einem Absturz geführt haben. Wie häufig die Crew einen Fehler der Technik ausgebügelt und Schlimmeres verhindert hat, wird dagegen nicht erfasst.

Bei einer Befragung durch die "Vereinigung Cockpit" haben allerdings mehr als ein Drittel der Flugzeugführer eingeräumt, schon einmal am Steuer eingeschlafen zu sein. Mehr als 90 Prozent der Piloten geben sogar zu, aus Müdigkeit Fehler gemacht zu haben. Die Pilotenvereinigung nutzt diese Zahlen, um für bessere Arbeitsbedingungen und kürzere Einsatzzeiten zu kämpfen. Man kann aber auch fragen: Wenn Piloten ein offenbar derart großes Sicherheitsrisiko darstellen, sollten Ingenieure nicht alles daransetzen, um sie zu entlasten oder gar zu ersetzen?

Astraea-Berater Elliott ist davon überzeugt - und macht nicht einmal vor einem Helden der Luftfahrt halt: Chesley Sullenberger hat 2009 einen mit 150 Menschen besetzten Airbus auf dem New Yorker Hudson River gelandet, nachdem beim Start beide Triebwerke ausgefallen waren. "Die erfolgreiche Notlandung war aber vor allem eine Leistung des Computers", behauptet Elliott bei der Präsentation der Astraea-Ergebnisse in London.

"Ein toller Kerl"

"Sullenbergers große Leistung war es dagegen, rechtzeitig zu erkennen, dass er nicht zum Flughafen zurückkommt und notwassern muss." Dürfen Maschinen solche Entscheidungen in Zukunft selbst treffen? Und können sie es - wenn ihnen alle nötigen Informationen zur Verfügung stehen - sogar schneller und besser? "Falls ja, und das erscheint durchaus möglich, dann wäre Sullenberger zwar ein toller Kerl, aber durchaus ersetzbar", meint Elliott.

Nur, was sagen die Passagiere dazu? Flugzeuge ohne Piloten, das klingt irreal, beängstigend, falsch. "Da wird man sicher noch einiges an Vertrauen schaffen müssen", sagt DLR-Forscher Kügler. "Andererseits setzen wir uns heute auch ohne Bedenken in führerlose Schienenfahrzeuge. Das hätte vor 30 Jahren noch ganz anders ausgesehen."

Die automatischen U-Bahnen können sogar zeigen, wohin der Weg geht: Als sie in Nürnberg eingeführt wurden, waren viele ältere Menschen besorgt - allerdings nicht wegen des fehlenden Fahrers. Die Angst galt vor allem dem Notfall. Denn dann ist niemand da, der helfen oder Anweisungen geben kann. Für die Flugzeugbranche ist das eine klare Botschaft: Die Piloten, die zweimal pro Flug etwas in ihre Mikrofone nuscheln, sind in letzter Konsequenz entbehrlich. Die Flugbegleiter allerdings, die den Tomatensaft bringen und im Notfall die Evakuierung organisieren, die sollten keinesfalls am Boden bleiben.

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